RINALDO
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Händel-Portal

Theater an der Wien
27. April 2019
Konzertante Aufführung

Musikalische Leitung: Jean-Christophe Spinosi

Ensemble: Ensemble Matheus

Goffredo - Dara Savinova
Almirena - Ekaterina Bakanova
Rinaldo - Eric Jurenas
Eustazio - Evann Loget-Raymond
Argante - Riccardo Novaro
Armida - Emilie Rose Bry



Vergnügliche Kreuzfahrt“
(Dominik Troger)

Die letzte konzertante Opernaufführung der Saison 2018/19 im Theater an der Wien galt einem Werk von Georg Friedrich Händel: Es erklang der „Rinaldo“ in der Fassung aus dem Jahr 1711.

Die Kreuzrittergeschichte um den standhaften Rinaldo samt Bekehrung der „bösen“ Zauberin Armida zum Christentum stimmt ein Loblied auf Rittertugend und wahre Liebe an – und ist einer von Händels größten Opernerfolgen gewesen. Das Libretto basiert auf Torquato Tassos Versepos „La gerusalemme liberata“. Im Theater an der Wien wurde die Oper in einer gekürzten Version geboten. Die Gesamtspieldauer inklusive einer Pause lag bei rund zweidreiviertel Stunden.

Die Produktion war zwar halbszenisch, doch Eric Jurenas, der Sänger des Rinaldo, hatte Noten mit dabei, was zuerst ein wenig verwunderte. Aber im Rahmen der Konzerttournee, mit der Jean-Christophe Spinosi und das Ensemble Matheus den „Rinaldo“ zuerst durch Frankreich und dann über Moskau nach Wien „getragen“ haben, ist Anfang April der Sänger der Titelpartie, Filippo Minecca, ausgefallen. Weil so schnell kein Ersatz greifbar war, wurde Jurenas vom Eustazio zum Rinaldo „befördert.“ Der Sänger hatte zwei Tage Zeit, um sich die für ihn neue Partie zu erarbeiten. Als neuer Eustazio wurde der Contré-Tenor Evann Loget-Raymond „ins Rennen“ geschickt. Die Partie des Eustazio wurde stark gekürzt, einige Szenen (wie die mit dem Magier) gestrichen.

2013 hat Franco Fagioli den „Rinaldo“ in einer konzertanten Aufführung im Theater an der Wien gesungen, und die Partie nach seiner Art virtuos-manieriert und „primadonnenhaft“ überzeichnet. Jurenas ist ein Sänger mit etwas nüchternerem „Material“, das leicht metallisch gefärbt den Feldherrn ebenso herauszukehren vermochte wie den – nicht zu „süßen“ – Liebhaber. Insofern war der Rinaldo von Jurenas ein etwas „festerer“ Charakter, von hoher gesanglicher Güte, zwar nicht ganz so mitreißend wie der Rinaldo von Fagioli, aber vom Gesamtausdruck wahrscheinlich rollenadäquater. Bei den Rezitativen war Jurenas einige Male noch zu deutlich auf die Noten angewiesen, was die Interaktion auf dem Podium mit seinen Kollegen bremste.

Evann Loget-Raymond, der Einspringer für den Einspringer, wirkte hingegen recht elevenhaft: eine junge, aufstrebende Stimme, die noch eine Portion Selbstbewusstsein nötig hat. Riccardo Novaro passte sehr gut in die Rolle des Argante. Er führte einen weich abgerundeten, leicht dunkel gefärbten Bariton ins Feld, der ein bisschen „schwammig“, aber eloquent, Händels Noten folgte.

Die Damen wurden von der Zauberin Armida angeführt. Emilie Rose Bry gab dieser Rolle einen Anstrich von manischer Liebesbessenheit – in ein langes, leicht arabesk-luftiges, grünes Kleid gehüllt, das es erlaubte, fast schon outrierend, ein (!) Bein zu zeigen. Ihr Sopran hatte etwas vom kühlen Licht kristallinen Glases, bei Spitzentönen nicht mehr wirklich klangschön: eine interessante, in den Verzierungen manchmal etwas fragil wirkende Stimme, die dem durch sie ausgedrückten Charakter eine leicht hysterischen Anstrich verlieh.

Ekaterina Bakanova zählt zu den Sopran-Shootingstars der letzten Jahre, derzeit auf den Opernbühnen eine gefragte Violetta. Ihr war als Almirena eine der bekanntesten Händelarien anvertraut: das „Lascia ch’io pianga“. Sie ließ eine „aparte“ Stimme mit leichter „Kante“ hören, die das genannte Gustostückerl innig, aber nicht vollmundig „sinnlich“, sondern mit mehr kühl-schmerzlicher Farbgebung präsentierte: eine Stimme mit Individualität und technisch – wie mir scheint – besser „durchgeknetet“ als jene von Bry. Die Hosenrolle des Goffredo wurde von der Mezzosopranistin Dara Savinova gegeben: im Vergleich zu den beiden vorgenannten ließ sie die rundere, „edlere“ Stimme hören, gut geführt, auch einigermaßen tiefgründig, aber nicht sehr durchschlagskräftig. Insofern blieb ihr Goffredo trotz der genannten Vorzüge ein bisschen zu blass.

Das Ensemble Matheus unter Jean-Christophe Spinosi, der auch einmal selbst zur Violine griff, fand nach einer in den Streichern nicht ganz sauber gespielten Ouvertüre zu einem etwas trockenen, mit Esprit versehenen Vortrag. Beachtlich schlugen sich die Trompeten – und die Cembalistin spielte am Schluss des zweiten Aktes die von Händel in Armidas Arie eingeplanten „Cembalosoli“ mit mitreißendem Verve. (Der Witz lag darin, dass die Cembalistin den Eindruck erweckte, nicht mehr mit dem Spielen aufhören zu wollen, und so wurde es, der Länge nach, fast schon ein „Konzert“.) Ein Flötist nahm im ersten Akt im Zuschauerraum Aufstellung und ließ zwitschernd an die auf der Bühne vom Textbuch geforderten „Volieren mit Singvögel“ denken. Auffallend war auch, wie Spinosi am Ende der Arien das Orchester öfters „morendo“-gleich „ersterben“ ließ.

Armida gab nicht nur der Cembalistin Einsätze – einmal tat sie ihren Bühnenärger sogar mit einem lauten „Basta!“ kund – und unterstricht dadurch den pointiert selbstironischen Zug des gesamten Arrangements, das den Abend seines rein konzertanten Charakters enthob. Das wurde auch beim Sirenengesang am Beginn des zweiten Aktes deutlich, als die Violinen kurz mit „quietschenden Glissandi“ das Geschehen kommentierten oder als die Schlachtenmusik im dritten Akt dem Solo-Trompeter eine kurze jazzige Anspielung auf „modernere Zeiten“ entlockte.

Die Kunst dieser kurzen „Abschweifungen“ lag darin, dass sie wie „extemporiert“ wirkten und dass sie das konzertante Arrangement mit „Bühnenleben“ füllten. Sonst muss die Szene für solche "„Gags“ her halten – und oft – siehe die aktuelle „Orlando“-Produktion im Theater an der Wien – wirken selbige dann mehr plump als „inspiriert“. An diesem Abend zeigten die Musiker, wie das funktionieren kann, ohne dafür gleich die ganze Geschichte neu erfinden zu müssen. (Insofern sind semikonzertante Aufführungen ein Segen, weil die Musik das Diktat einer von Dramaturgen und Regisseuren egoistisch in Pose gesetzten Szene abwerfen kann.)

Die Aufführung war sehr gut besucht. Das begeisterte Publikum erklatschte sich beim Schlussapplaus als Zugabe eine Wiederholung des Schlusschores.