RINALDO
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Kammeroper
4. Dezember 2014
Premiere

Musikalische Leitung: Rubén Dubrovsky

nszenierung: Christiane Lutz
Bühne: Christian Tabakoff
Kostüme: Natascha Maraval
Licht: Frank Sobotta

Bach Consort Wien

Rinaldo - Jake Arditti
Goffredo - Vladimir Dmitruk
Almirena - Gan-ya Ben-gur Akselrod
Argante - Tobias Greenhalgh
Armida - Natalia Kawalek-Plewniak
Mago - Christoph Seidl



Kreuzfahrer auf Abwegen

(Dominik Troger)

Wer sich von der neuen Händel-Produktion an der Kammeroper einen anspruchsvollen Barockopernabend erwartet, wird enttäuscht sein. Georg Friedrich Händels „Rinaldo“ wird in einer stark gekürzten Fassung gespielt – und die Inszenierung biegt die Handlung auf einen Hitchcock-Agententhriller hin.

Aber was hat Georg Friedrich Händel mit Alfred Hitchcock zu tun? Regisseurin Christiane Lutz klärt im Programmheft zur Aufführung über die vermeintlichen Parallelitäten in den Lebensläufen und im künstlerischen Schaffen zwischen Händel und Hitchcock auf. Papier ist bekanntlich geduldig. Vor allem aber stimmt das Genre nicht: Das nach Torquato Tassos Kreuzrittergeschichte „La gerusalemme liberata“ gefertigte Libretto würde szenisch heutzutage ohne Probleme als Fantasystory mit historischen Anklängen durchgehen – doch als Persiflage auf Agententhriller im Stil der 1950er-Jahre inklusive unübersehbaren James-Bond-Anleihen?

Dabei kam der „Altmeister“ sogar selbst auf die Bühne (als Person und in szenischen Zitaten aus seinen Filmen), ließ das Publikum sozusagen bei seinen Dreharbeiten zuschauen, und sang sogar eine Arie. Der Film, der in der Kammeroper zu Händels Musik entsteht, heißt übrigens: „Crusade for love“ – und ein Vorspann, der zur Ouvertüre läuft, zeigte das Porträt von Händel und dann von Hitchock als Emblem – nämlich dort, wo sonst der Metro-Goldwyn-Mayer-Löwe thront.

Auffallend war jedoch wieder – wie schon bei der „Perlenfischer“-Produktion, die erst kürzlich im Theater an der Wien zu sehen war – dass die Kunstgattung Oper hier einmal mehr den „Produktionsbedingungen“ eines anderen Mediums unterworfen wird. Schon wenn Hitchcock während der Ouvertüre auf die Bühne kommt und ohne das Ende der Musik abzuwarten, ein paar Worte an das Publikum richtet, kann von einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Bühne und Musik keine Rede mehr sein. Es zählt das Amüsement – und der musikalische Ausdruck wird so stark szenisch überfrachtet, dass sein spezieller emotionaler Gehalt schnell verloren geht. Dazu passte auch das Wiederholen von Szenen im zweiten Teil des Abends, wie es bei Filmdrehs üblich ist samt obligatorischer Filmklappe, das Einbeziehen von Befindlichkeiten der „Filmdarsteller“, das Auf-die-Bühne-bringen von Kamera und Hilfspersonal.

Ein gutes Beispiel dafür, wie die Nebensache zur Hauptsache erklärt wurde, bot die szenische Umsetzung der wahrscheinlich bekanntesten Musiknummer des „Rinaldo“, des „Lascia ch’io pianga“. Der Traurigkeit und Verzweiflung der gefangenen Almirena, die eigentlich keines weiteren szenischen Kommentars bedarf, wurde von Christiane Lutz im Rahmen dieser „Kriminalkömodie“ ein Argante beigesellt, der plötzlich einen Kaffeefilterautomaten auf die Bühne „zaubert“. Diese Pointe weckte Erheiterung, und schon war der emotionale Rahmen, der von Händels Musik gesetzt wird, durchbrochen und zerstört. Zuvor hat Argante Almirena noch mit einem Gürtel die Hände gebunden und diesen an einer von der Decke baumelnden Kette befestigt. Die Sängerin steht also mit nach oben gestreckten Armen auf der Bühne, und ist quasi fixiert – eine unnatürliche Haltung, die den Kontrast zur musikalisch natürlich fließenden Trauer dieser Frau verstärkt.

Diese grundlegenden Einwände ändern aber nichts daran, dass handwerklich sehr gut gearbeitet wurde. Die kleine Bühne der Kammeroper ist einem durch die Projektionen richtig „groß“ vorgekommen, die Personenführung war detailreich durchgearbeitet. Raffiniert gelöst war die Reise von Rinaldo und Goffredo in der Schlusssequenz des ersten Teils. Ein Zugabteil, im Hintergrund vorüberziehende Landschaften – und plötzlich „Sirenen“ als außen am Zug mitfahrende „Girls“, die immer wieder zum Fenster hineinschauen und den offenbar durch K.O.-Tropfen belämmerten Titelhelden unter Armidas Mithilfe dazu verleiten, das Fenster als „Notausstieg“ zu wählen. Konsequenterweise wurde auch das filmisch furiose Finale mit einem Flugzeug-Doppeldeckerangriff auf Rinaldo und einem aufgedeckten Sprengstoffanschlag im Londoner Agentenhauptquartier stark von der Szene beherrscht, ehe sich alle Beteiligten bei überschäumendem Sekt versöhnen. Die virtuose Musik Händels diente hier nur mehr als Untermalung.

Die musikalische Ebene konnte sich gegenüber diesem szenischen „Frontalangriff“ nur phasenweise behaupten – und das lag auch am Orchester. Das Bach Consort Wien unter Rubén Dubrovsky verfiel bei den langsamen Arien in ein leiernd-schwerfälliges Musizieren, das aus der Musik zu viel Spannung abzog. Es gab wenig dynamische Schattierungen und Händels Musik erklang insgesamt viel zu einförmig. Außerdem erwischten einige Solisten (wie die Solo-Violine in der Ouvertüre oder später die Trompeten) nicht ihren besten Tag. Natürlich fungiert die Kammeroper als eine Art von „Studiobühne“ für das Theater an der Wien – aber wenn am großen Haus erst 2013 „Rinaldo“ in einer ausgezeichneten konzertanten Aufführung gegeben wurde, dann darf davon ausgegangen werden, dass einige Besucher Vergleiche ziehen.

Gespielt wurde eine adaptierte Fassung von 1711, Goffredo und Mago waren als Tenor und Bass nach der Fassung von 1731 besetzt, Eustazio wurde eingespart. Eingespart wurde auch jede Menge an Arien, grob geschätzt wurde rund ein Drittel (!) der Oper gestrichen, die drei Akte wurden auf zwei Teile zusammengefasst. Die Aufführung dauerte inklusive Pause nicht einmal zweieinhalb Stunden.

Es ist das Konzept des Theaters an der Wien in der Kammeroper das junge Ensemble durch die ganze Operngeschichte zu „jagen“, und es scheint logisch, dass die Stimmen und Persönlichkeiten der Ensemblemitglieder nicht für alle Stilrichtungen „am besten“ geeignet sein können. Ein Countertenor hat möglicherweise bei Händel Vorteile, die ein aus dem slawischen Raum kommender Tenor mit kräftiger Stimme vielleicht nicht hat. Insofern wird Vladimir Dmitruk seinen Weg höchstwahrscheinlich nicht mit Händel machen, auch wenn er einen präsenten Goffredo gesungen und gespielt hat – während Jake Arditti, der als Rinaldo stimmlich ein wenig „Anlaufzeit“ benötigte, hier quasi zu Hause ist.

Natalia Kawalek-Plewniak gab die böse Zauberin Armida mit viel Biss und Erotik und „vampte“ als Agentin und Gegenspielerin von Rinaldo durch den Abend. Als ihr Helfer und von Almirena gerührter Argante fungierte Tobias Greenhalgh. Gan-ya Ben-gur Akselrod lieh ihre leichte Sopranstimme der Almirena und spielte die blonde Geliebte des Agentenhelden. Ihr sensibel vorgetragenes „Lascia ch’io pianga“ bewährte sich trotz der geschilderten Umstände. Christoph Seidl spielte Hitchcock als älteren, wohlbeleibten Herrn und zeigte dabei Buffoqualitäten – und das ist für einen jungen Bass schon fast die „halbe Miete“. Das Premierenpublikum spendete am Schluss viel zustimmenden Beifall – bis auf einen Herrn in den hinteren Reihen, der Dirigat und Regie mit jeweils einem Buhruf bedachte.

Fazit: Wer solchen Humor mag, wird gut unterhalten. Händels „Rinaldo“ ist aber keine (!) Opera buffa.