RINALDO
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Kammeroper Bach Consort
Wien |
Rinaldo - Jake
Arditti |
Wer sich von der neuen Händel-Produktion an der Kammeroper einen anspruchsvollen Barockopernabend erwartet, wird enttäuscht sein. Georg Friedrich Händels „Rinaldo“ wird in einer stark gekürzten Fassung gespielt – und die Inszenierung biegt die Handlung auf einen Hitchcock-Agententhriller hin. Aber was hat Georg Friedrich Händel mit Alfred Hitchcock zu tun? Regisseurin Christiane Lutz klärt im Programmheft zur Aufführung über die vermeintlichen Parallelitäten in den Lebensläufen und im künstlerischen Schaffen zwischen Händel und Hitchcock auf. Papier ist bekanntlich geduldig. Vor allem aber stimmt das Genre nicht: Das nach Torquato Tassos Kreuzrittergeschichte „La gerusalemme liberata“ gefertigte Libretto würde szenisch heutzutage ohne Probleme als Fantasystory mit historischen Anklängen durchgehen – doch als Persiflage auf Agententhriller im Stil der 1950er-Jahre inklusive unübersehbaren James-Bond-Anleihen? Dabei kam der „Altmeister“ sogar selbst auf die Bühne (als Person und in szenischen Zitaten aus seinen Filmen), ließ das Publikum sozusagen bei seinen Dreharbeiten zuschauen, und sang sogar eine Arie. Der Film, der in der Kammeroper zu Händels Musik entsteht, heißt übrigens: „Crusade for love“ – und ein Vorspann, der zur Ouvertüre läuft, zeigte das Porträt von Händel und dann von Hitchock als Emblem – nämlich dort, wo sonst der Metro-Goldwyn-Mayer-Löwe thront. Auffallend
war jedoch wieder – wie schon bei der „Perlenfischer“-Produktion,
die erst kürzlich im Theater an der Wien zu sehen war – dass
die Kunstgattung Oper hier einmal mehr den „Produktionsbedingungen“
eines anderen Mediums unterworfen wird. Schon wenn Hitchcock während
der Ouvertüre auf die Bühne kommt und ohne das Ende der Musik
abzuwarten, ein paar Worte an das Publikum richtet, kann von einem ausgewogenen
Verhältnis zwischen Bühne und Musik keine Rede mehr sein. Es
zählt das Amüsement – und der musikalische Ausdruck wird
so stark szenisch überfrachtet, dass sein spezieller emotionaler
Gehalt schnell verloren geht. Dazu passte auch das Wiederholen von Szenen
im zweiten Teil des Abends, wie es bei Filmdrehs üblich ist samt
obligatorischer Filmklappe, das Einbeziehen von Befindlichkeiten der „Filmdarsteller“,
das Auf-die-Bühne-bringen von Kamera und Hilfspersonal. Diese grundlegenden Einwände ändern aber nichts daran, dass handwerklich sehr gut gearbeitet wurde. Die kleine Bühne der Kammeroper ist einem durch die Projektionen richtig „groß“ vorgekommen, die Personenführung war detailreich durchgearbeitet. Raffiniert gelöst war die Reise von Rinaldo und Goffredo in der Schlusssequenz des ersten Teils. Ein Zugabteil, im Hintergrund vorüberziehende Landschaften – und plötzlich „Sirenen“ als außen am Zug mitfahrende „Girls“, die immer wieder zum Fenster hineinschauen und den offenbar durch K.O.-Tropfen belämmerten Titelhelden unter Armidas Mithilfe dazu verleiten, das Fenster als „Notausstieg“ zu wählen. Konsequenterweise wurde auch das filmisch furiose Finale mit einem Flugzeug-Doppeldeckerangriff auf Rinaldo und einem aufgedeckten Sprengstoffanschlag im Londoner Agentenhauptquartier stark von der Szene beherrscht, ehe sich alle Beteiligten bei überschäumendem Sekt versöhnen. Die virtuose Musik Händels diente hier nur mehr als Untermalung. Die musikalische Ebene konnte sich gegenüber diesem szenischen „Frontalangriff“ nur phasenweise behaupten – und das lag auch am Orchester. Das Bach Consort Wien unter Rubén Dubrovsky verfiel bei den langsamen Arien in ein leiernd-schwerfälliges Musizieren, das aus der Musik zu viel Spannung abzog. Es gab wenig dynamische Schattierungen und Händels Musik erklang insgesamt viel zu einförmig. Außerdem erwischten einige Solisten (wie die Solo-Violine in der Ouvertüre oder später die Trompeten) nicht ihren besten Tag. Natürlich fungiert die Kammeroper als eine Art von „Studiobühne“ für das Theater an der Wien – aber wenn am großen Haus erst 2013 „Rinaldo“ in einer ausgezeichneten konzertanten Aufführung gegeben wurde, dann darf davon ausgegangen werden, dass einige Besucher Vergleiche ziehen. Gespielt wurde eine adaptierte Fassung von 1711, Goffredo und Mago waren als Tenor und Bass nach der Fassung von 1731 besetzt, Eustazio wurde eingespart. Eingespart wurde auch jede Menge an Arien, grob geschätzt wurde rund ein Drittel (!) der Oper gestrichen, die drei Akte wurden auf zwei Teile zusammengefasst. Die Aufführung dauerte inklusive Pause nicht einmal zweieinhalb Stunden. Es ist das Konzept des Theaters an der Wien in der Kammeroper das junge Ensemble durch die ganze Operngeschichte zu „jagen“, und es scheint logisch, dass die Stimmen und Persönlichkeiten der Ensemblemitglieder nicht für alle Stilrichtungen „am besten“ geeignet sein können. Ein Countertenor hat möglicherweise bei Händel Vorteile, die ein aus dem slawischen Raum kommender Tenor mit kräftiger Stimme vielleicht nicht hat. Insofern wird Vladimir Dmitruk seinen Weg höchstwahrscheinlich nicht mit Händel machen, auch wenn er einen präsenten Goffredo gesungen und gespielt hat – während Jake Arditti, der als Rinaldo stimmlich ein wenig „Anlaufzeit“ benötigte, hier quasi zu Hause ist. Natalia Kawalek-Plewniak gab die böse Zauberin Armida mit viel Biss und Erotik und „vampte“ als Agentin und Gegenspielerin von Rinaldo durch den Abend. Als ihr Helfer und von Almirena gerührter Argante fungierte Tobias Greenhalgh. Gan-ya Ben-gur Akselrod lieh ihre leichte Sopranstimme der Almirena und spielte die blonde Geliebte des Agentenhelden. Ihr sensibel vorgetragenes „Lascia ch’io pianga“ bewährte sich trotz der geschilderten Umstände. Christoph Seidl spielte Hitchcock als älteren, wohlbeleibten Herrn und zeigte dabei Buffoqualitäten – und das ist für einen jungen Bass schon fast die „halbe Miete“. Das Premierenpublikum spendete am Schluss viel zustimmenden Beifall – bis auf einen Herrn in den hinteren Reihen, der Dirigat und Regie mit jeweils einem Buhruf bedachte. Fazit:
Wer solchen Humor mag, wird gut unterhalten. Händels „Rinaldo“
ist aber keine (!) Opera buffa. |