RADAMISTO
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Theater an der Wien
20. April 2018
Konzertante Aufführung

Musikalische Leitung: Martin Haselböck

Wiener Akademie

Radamisto - Carlos Mena
Tiridate - Florian Boesch
Polinessa - Sophie Karthäuser
Zenobia - Patricia Bardon
Tigrane - Melanie Hirsch
Fraarte - Valerie Vinzant
Farasmane - Christian Hilz


Der geläuterte Bösewicht
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien lud zu einer konzertanten Aufführung von Georg Friedrich Händels „Radamisto“. Die 1720 uraufgeführte Oper erzählt die Geschichte eines Familienzwistes zwischen den Königreichen von Armenien und Thrakien: der armenische Herrscher Tiridate will dem Thraker Radamisto an den Kragen. Warum? Es geht natürlich um die Liebe.

Tiridate, der mit Radamistos Schwester Polinessa verheiratet ist, hat sich in Radamistos Gemahlin Zenobia verliebt. Es kommt zum Krieg, Radamisto scheint zu unterliegen, aber die Soldaten sind der Gewaltherrschaft des Tiridate müde und stürzen ihn. Tiridate wird von Radamisto begnadigt: Happy end! Von „Radamisto“ existieren insgesamt vier Fassungen, die sich zum Teil schon in der Besetzung unterscheiden. Die hier besprochene Aufführung beruht auf der zweiten Fassung, die ebenfalls aus dem Jahr 1720 stammt.

Die Oper ist in den letzten Jahren in Wien öfter gespielt worden, 2013 gab es sogar eine szenische Produktion im Theater an der Wien. Insofern war es nicht verwunderlich, dass an diesem Abend eine in Wien bereits bewährte „Radamisto“-Besetzung anzutreffen war. Martin Haselböck und die Wiener Akademie haben das Werk schon seit den frühen 2000-er Jahren im Repertoire: Bereits 2004 haben Florian Boesch und Carlos Mena den Tiridate beziehungsweise den Radamisto unter Martin Haselböck im Wiener Musikverein gesungen. Boesch hat den im Finale geläuterten Bösewicht auch in der schon erwähnten szenischen Produktion von 2013 verkörpert – damals gemeinsam mit Patricia Bardon (Zenobia) und Sophie Karthäuser (Polinessa).

Doch genug der Statistik: Carlos Mena, Florian Boesch und die Wiener Akademie unter ihrem Leiter Martin Haselböck waren die wesentlichen Stützen dieses Abends. Die Wiener Akadamie fand schnell in den „Flow“ gemeinsamen Musizierens. Sie verbindet, so der Eindruck, ihre „historisch informierte Aufführungspraxis“ mit einer Klangkultur, die nicht darauf abzielt, selbige durch ein besonders ruppiges Spiel zu beweisen. Deshalb besaß ihre Darbietung einen angenehmen „Wiener-Charme", der das Orchester schon immer von hiesigen „Marktbegleitern“ wie dem Concentus Musicus unterschieden hat.

Auf der Bühne – diesmal in der offenen Kulisse der aktuellen Produktion von Bejamin Brittes „A Midsummer Night’s Dream“ – sorgte Carlos Mena mit seiner Counterstimme für das gesangliche Gustostückerl mit klaren Koloraturen, Intervallsprüngen und was der Herz mehr begehrt. Florian Boesch war – wie in den bereits genannten Aufführungen – ein machterfüllter, von dunklen Gedanken angetriebener Tiridate, der auch im konzertanten Umfeld mit starkem Selbstbewusstsein den bösen Kerl mimte.

Boeschs Bassbariton, dessen markigen Kern eine dunkle, weichere Aura umgibt, ist ein vorzügliches Instrument, um die Individualisierung von Bühnenfiguren voranzutreiben, auch weil der Sänger durch seine intensive Auseinandersetzung mit dem Liedgesang, die intimen Gedanken der Bösewichte oder der gequälten Kreatur (letzten Herbst etwa als Wozzeck im Theater an der Wien) in Musik zu übersetzen vermag. Wenn Tiridate im Finale der Oper zur Einsicht kommt („Du bringst mich wieder zu mir selbst“) nimmt Boesch die Stimme zurück, ein fahler Schatten legt sich über sie, ein Anflug von Demut bezähmt das dunkle Knistern der Triebe und lässt Tiridate von der läuternden Tugend kosten. Was die Radikalität im individuellen Zuschnitt von Bühnencharakteren betrifft, ist Boesch im (bass-)baritonalen Umfeld derzeit vor allem mit Simon Keenlyside vergleichbar – wobei Boesch das mächtigere, markigere Organ besitzt.

In diesem, von den beiden obgenannten Sängern errichteten Spannungsfeld bewegte sich die übrige Besetzung, ohne an die starke Leistung der beiden wirklich anknüpfen zu können. Patricia Bardon hat schon die Ulrica und Erda im Repertoire und ihr tiefgründiger, breiter Mezzo, der fast an eine Counterstimme erinnerte, musste als Zenobia gesanglich ihrem ziselierte Koloraturen singenden „Gemahl“ den Vortritt lassen. Der Sopran von Sophie Kartäuser (Polinessa) benötigte wieder etwas Anlaufzeit, klang im ersten Akt noch etwa angespannt, ehe er seine lyrisch in sich ruhende „Mitte“ fand. Valerie Vinzant sang den Fraatre mit einem hübschen und ein bisschen kecken „Papagena“-Sopran, der aber auch ein wenig „Anlaufzeit“ benötigte. Melanie Hirsch zettelte als Tigrane versiert den Aufstand gegen Tiridate an. Christian Hilz ergänzte das Ensemble um den Farasmane, dem Händel immerhin eine Arie spendiert hat.

Der Abend war dem Gedenken an Hans Gratzer gewidmet, dem 2005 verstorbenen Schauspieler, Regisseur und Theaterleiter, mit dem Martin Haselböck einst am Wiener Schauspielhaus in Sachen Barockoper zusammengearbeitet hat.

Das Publikum war von der Aufführung sehr angetan und spendete starken Schlussapplaus.