RADAMISTO
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Theater an der Wien
20. Jänner 2013
Premiere

Musikalische Leitung: René Jacobs

Inszenierung: Vincent Boussard
Bühne: Vincent Lemaire
Kostüme: Christian Lacroix
Licht: Guido Levi
Dramaturgie & Videodesign: Barbara Weigel

Freiburger Barockorchester

Radamisto - David Daniels
Tiridate - Florian Boesch
Polinessa - Sophie Karthäuser
Zenobia - Patricia Bardon
Tigrane - Jeremy Ovenden
Farasmane - Fulvio Bettini
I


Die Oper als Aquarium
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien hat das Wiener Opernpublikum in den letzten Jahren mit einer ganzen Reihe an sehr gute Händel-Aufführungen verwöhnt – konzertant und szenisch. Die Premiere von „Radamisto“ konnte sich in diese Erfolgsgeschichte nicht einreihen.

Regisseur Vincent Bussard hat dem thrakischen Thronerben Radamisto eine „Initiationsreise“ verordnet. Zum Finale wird eine große, aus eckigen Teilen geschichtete Schokotorte kredenzt: 22 brennende Kerzen sind aufgesteckt. Drei Stunden lang wohnte das Publikum bis zu diesem „Geburtstagsfest“ einer Art „Traum des Erwachsenwerdens“ bei. Dieser „Traum“ spielte in einem meist eher dunkel gehaltenen, leeren, von drei Aufzugs(?)türen (Seite Rechts, Seite Links, Mitte) durchbrochenen Bühnenraum: Stationen einer Lebenskrise, in denen Radamisto während allerhand familiärer Wirren „seelische Reife" erlangt, eingebettet in eine psychoanalytische Symbolik. „An Freuds Psychoanalyse interessiert uns die Poesie, wir lesen sie wie ein poetisches Objekt“, so der Regisseur erläuternd im Programmheft. Dann bringt er auch noch Strindberg ins Spiel: „Nach Damaskus“!

Nun sind nicht nur die Tiefen des menschlichen Unterbewusstseins unergründlich, sondern auch die der modernen Opernregie – und „Radamisto“ ist schon kurz nach dem Beginn der Vorstellung in diese Tiefen „abgetaucht“. Belebt wurden diese unterbewussten Tiefen von Fischen, die in Form von Projektionen über Bühnenwände huschten. Sie wurden im Laufe der Vorstellung immer größer, und dienten möglicherweise als Symbole für unterdrückte, triebhafte, auch sexuell besetzte Wünsche. Mit Fortschreiten des Abends erzeugte dieses sich wiederholende Element allerdings eine „enervierende Langeweile“!

Bis auf die wendigen Wasserbewohner tat sich auf der Bühne meist wenig. Es wurden ein paar schön „gefältelte“ Damenkostüme zur Schau gestellt, immerhin stammten sie von Christian Lacroix. Der böse Tiridate balancierte einen Sessel überm Kopf, mit knackigem Kiefer in die Lehne beißend. Ein weißer Regenschirm tauchte auch einmal auf. Ganz am Beginn sah man eine weißbetuchte Tafel mit massakrierter Geburtstagstorte, die dann noch während der Ouvertüre abgeräumt wurde. Das Fußvolk erschien in der Form von Mägden von flämisch anmutenden Häubchen behütet. Zur „Schlachtenmusik“ im ersten Akt wurde von ihnen der Bühnenboden poliert. Aber besonders seltsam war dieses große „Goldfischglas“, angefüllt mit einer gelben, leicht grünstichigen, putzmittelartigen Flüssigkeit: Dieses Glas wurde immer wieder „ins Spiel“ gebracht. Radamisto näherte sich diesem Behältnis im Finale so, als habe es für ihn eine besondere Bedeutung. Fische waren aber keine darin.

Selbst mit den „Fußnoten“ zu dieser Produktion aus dem Programmheft im Kopf, wollte sich während der Aufführung für mich keine zwingende Verbindung zur Oper „Radamisto“ von Georg Friedrich Händel herstellen. Die Theorie ist immer willig, aber die Umsetzung in die Bühnenpraxis scheitert oft. Dieses Resümee muss Bussard vom Theater an der Wien mit nach Hause nehmen – zumal auch seine Personenführung vor allem einen Eindruck hinterließ: bemühte konzertante Oper im Kostüm.

Aber nichts gegen „konzertante Oper“! Die meisten im Theater an der Wien in den letzten Jahren konzertant gegebenen Händelopern haben mehr „Feuer“ versprüht, als dieser szenische „Radamisto“. Also ist es falsch, den Grund für dieses Scheitern nur bei der Inszenierung zu suchen. Einerseits gilt das Werk, dass einen Familienzwist zwischen den Königreichen von Thrakien und Armenien behandelt, sogar für die lockere dramaturgische Handhabung der Barockzeit in ihrem Handlungsablauf als weniger zwingend, andererseits haben konzertante Aufführungen in Wien in den letzten zehn Jahren bewiesen, dass das Werk an sich funktioniert. Erschwerend kommt hinzu, dass Händel von „Radamisto“ vier Fassungen erarbeitet hat – im Theater an der Wien spielt man die dritte Fassung mit Änderungen. Kann sein, dass diese schon von Händel noch weiter verschlankte dritte Fassung auch manche Erwartungshaltungen an eine musikalisch „opulente“ Barockoper nicht einlöst. In Wien wurden zuletzt die erste und die zweite Fassung gegeben.

Auffallend war jedenfalls, dass fast den ganzen Abend lang der „magische Funke“ von der Bühne und vom Orchestergraben nicht auf das Auditorium übersprang. Dem Abend fehlte es „ganz einfach“ an dieser spielerisch-virtuosen „Zurschaustellung“ barocker Musizierfreude, die in der Handlung mehr den Anlass, als den wahren Grund für ihre Bemühungen sieht. Selbst das Freiburger Barockorchester unter René Jacobs und die Solisten konnten sich offenbar von dieser zu starr gedachten Regieidee nicht freimachen, um den Abend mit virtuosem Aplomb „aufzufetten“: Der musikalische Eindruck blieb zu einförmig, um das trübe Wasser des inszenatorischen „Goldfischglases“ aufzumischen.

So richtig zur Anteilnahme lud der Abend selten ein: natürlich gab es Ausnahmen wie bei Radamistos langer Arie vor der Pause mit dem stimmungsvollen Ausklingen der Musik, was von Jacobs feinfühlig gestaltet wurde, oder wie beim mozarterahnenden Quartett oder beim Finale. Nicht unerheblichen Anteil an dieser allgemeinen Blässe im Ausdruck hatte zudem die Besetzung: Farasmane (Fulvio Bettini) war überhaupt seiner Arie beraubt worden, der Tenor Jemery Ovenden (Tigrane) vermochte nur peripheres Interesse zu erwecken – und letztlich konnte sogar Radamisto selbst, gesungen von David Daniels, das Heft nicht an sich zu reißen. Es mag ein Wunsch der Regie gewesen sein, Radamistos „Schwächeln“ zu betonen, aber Daniels Countertenor klang an diesem Abend für meine Ohren überhaupt etwas abgespannt, mit wenig lyrischer Süße und zu matt in der Attacke.

So war es nicht überraschend, dass der erst im Finale geläuterte Bösewicht Tiridate, gesungen von Florian Boesch, bei den Herren den prägnantesten Eindruck hinterließ. Da konnte man die Bühnenfigur greifen: grimmig, böse, polternd und am Schluss plötzlich von der Tugend „erleuchtet“. Die Damen schlugen sich besser: Patricia Bardon gab die Zenobia sehr selbstbewusst, allerdings für meinen Geschmack zu wenig raffiniert im Stil; Sophie Karthäuser sang die Polinessa mit am Beginn etwas angespannt klingendem Sopran, konnte sich nach der Pause aber zu einer schönen Leistung steigern.

Man hat im Theater an der Wien beim Schlussvorhang zwar schon mehr gejubelt – aber trotzdem waren die Reaktionen sehr positiv. Das Regieteam wurde nur mit wenigen Buhrufen bedacht. Das Ensemble wurde eifrig beklatscht.