ORLANDO
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Theater an der
Wien Il giardino
armonico |
Orlando - Christophe
Dumaux |
Mit der vorletzten Premiere der laufenden Spielzeit hat sich das Theater an der Wien einmal mehr Georg Friedrich Händel zugewandt. Nach „Alcina“ und „Teseo“ stand jetzt der „Orlando“ auf dem Programm. Händels „Orlando“ dreht sich um den „rasenden Roland”, dem Ludovico Ariosto mit seinem „Orlando furioso” ein bleibendes literarisches Denkmal gesetzt hat. Die 1733 uraufgeführte Oper unterscheidet sich von anderen Vertonungen des Stoffes aber durch die Hinzufügung der Figur des Magiers Zoroastro, der Orlando von seiner Eifersucht und seinem Liebeswahn befreit. Zoroastro ist der Fels in der Brandung dieses von Liebe angefachten Verwirrspiels, an den sich Orlando, seine angebetete Angelica, Medoro und die Schäferin Dorinda gerade noch festklammern können, um nicht vom Strudel der Emotionen fortgerissen zu werden. Zoroastro weiß dank Erfahrung und psychologischem Einfühlungsvermögen die überschießenden Gefühlsnotstände der Genannten jedenfalls in die richtigen Bahnen zu lenken, wobei ihm als deklariertem „Magier“ überirdische Hilfsmittel zu Gebote stehen. Außerdem ahnt er durch sein astrologisches Vermögen, dass Orlando zu weiteren Heldentaten berufen ist. Er heilt den Helden von seiner Liebes-Lebens-Krise und führt ihn auf den Weg der ritterlichen Bestimmung zurück. „Orlando“ behandelt also einmal mehr das aufklärerische Primat der Vernunft über die menschliche Gefühlswelt – aber es ist nicht zu übersehen, dass sich hier etwas Neues einschleicht: eine Art von Versuchsanordnung in Liebesdingen, wie sie später in „Cosi fan tutte“ so überdeutlich arrangiert werden sollte. Händel hat das auch musikalisch unterstrichen, die Dacapo-Arien der klassischen „Opera seria“ reduziert, Accompagnato-Rezitative eingebaut, und das Finale des zweiten Aktes, in dem Orlando dem Wahn verfällt, zählt ohnehin zu den bemerkenswertesten „Erfindungen“ des Komponisten. Dazu gesellt sich viel sensibles Liebesflüstern und -sehnen einschließlich Dorindas Arioso am Beginn des zweiten Aktes, in dem sich Traurigkeit und Nachtigallenschlag zu süßer Melancholie verbinden. Melancholie, Gefühlstiefe, der Traum vom individuellen Glück emanzipieren das Werk vom üblichen Formalismus der Opera seria und unterwandern ihre vordergründige „Affekthascherei“ mit einer „Beunruhigung“, in der sich aufklärerischer Rationalismus und die „empfindsame Sittlichkeit“ gesellschaftlich tolerierter und geglückter Liebesbeziehungen nicht mehr so 1:1 zu überdecken scheinen. Die Heilung Orlandos „klebt“ diese Bruchlinien mit deus ex machina-artigem Stoff: Ein Adler bringt aus himmlischen Sphären eine Vase, mit deren Inhalt Zoroastro Orlando übergießt – und schwupps ist der Held wieder bei Sinnen. So einfach ist das. 2013 hat sich das Theater an der Wien in der Kammeroper an das Werk gewagt und ein kleines „Treibhaus der Gefühle“ auf die Bühne gestellt, 2016 gab es im Theater an der Wien eine konzertante Aufführung – und in der aktuellen Neuproduktion des Theaters an der Wien hat sich Regisseur Claus Guth dem Werk gewidmet. Guth hat Orlando zum abgekämpften, traumatisierten Soldaten gemacht, der aus Liebe und Eifersucht Amok läuft, der sich im Finale mit Benzin übergießt, und sich dann doch nicht anzündet. Die Figur des Zoroastro wurde geteilt (!!): ein besoffener Sandler und ein beanzugter „Businessman“, der vielleicht Söldner rekrutiert, wechseln – warum auch immer – einander ab. Medoro fährt einen MG, an dem er gerne herumbastelt. Angelica ist eine moderne Frau, die so gerne mit Medoro verreisen würde. Die Schäferin Dorinda arbeitet in einem wohnwagenähnlichen Imbissstand. Orlando, Angelica, Medoro wohnen in einem auf die Drehbühne gestellten Wohnhaustorso, der mit seiner hochgezogenen Betonfassade Händels Musik zu erschlagen droht, aber praktikabel rasche Szenenwechsel zulässt. Eine grindige Wohnung, in der Orfeo zwischen alkoholfreiem (!) Dosenbier und leeren Pizzaschachteln von seiner Geliebten träumt (und dabei auch mal an sich selbst rumfummelt), eine grindige Garage mit Müllsäcken, eine grindige Busstation, eine Hintertreppe mit üppigem Pflanzenbewuchs, ein von Palmen beflankter Vorplatz mit dem Imbissstand bilden die „Wohnlandschaft“, in der sich die genannten Figuren liebeshungrig und eifersüchtig herumtreiben. Die Handlung spielt übrigens – warum auch immer – in Mexiko. Wie meist bei Guth waren die Figuren bis in Details durchgeknetet und geformt, und der Versuch eine stringente Geschichte zu erzählen, kann ihm nicht abgesprochen werden. Die „Heilung“ Orlandos hat sich mir in der Guth’schen Version allerdings noch weniger erschlossen als in der Händel’schen – denn Zoroastro hat Orlando nicht einmal eine Dose Bier über das Gesicht geschüttet, um ihn von seinem Wahn zu befreien. Gelächter gab es bei einem Quickie auf der Außentreppe in der Höhe des zweiten Stockes und Sandler-Zorostaro entpuppte sich als Bühnenpinkler. Guth hat also auch dafür gesorgt, dass die Seichtheiten eines banalisierenden Amüsements nicht zu kurz kamen. Der aus meiner Sicht gelungenste Ansatz war das Schattenspiel zu Orlandos Wahnsinn im zweiten Akt, hier wurde endlich eine Außen- und eine Innenperspektive szenisch spürbar – und an dieser Idee hätte man weiter feilen können. Problematisch war die Aufteilung des Zoroastro auf zwei Personen: dem Werk wurde damit – siehe meine obigen Ausführungen – die dramaturgische Stütze abgesägt. Das Regieteam hat versucht, diese Lücke mit „Action“ und weiteren, stummen Figuren (eine Reinigungsfrau? ein Freund Orlandos?) aufzufüllen, Orlando rüstete sich „kriegsbemalt“ zur Rache, und der Sprung auf die Imbissbude während einer Arie war schon beachtlich. Händels Musik hatte gegen diesen „psychologischen Hyperrealismus“ Guth’scher Prägung aber einen schweren Stand und der Soldat Orlando war vom Händel’schen Ritter so weit entfernt wie das Theater an der Wien vom Mond – mindestens. In musikalischer Hinsicht hätte Il giardino armonico unter Giovanni Antonini noch ein bisschen mehr „Feuer“ unter das Liebesleben der Figuren legen können, um sich gegenüber der Szene stärker zu behaupten. (Der Abend dauerte rund dreieinviertel Stunden mit einer Pause und hatte auch Phasen, in denen ich mir den einen oder anderen Strich gewünscht hätte.) Gespielt wurde in historisch informierter Aufführungspraxis mit einem warmen Klang, der Händel mehr aus „mediterraner“ Sicht „beleuchtete“. Orchester „von der Insel“ legen „ihren“ Händel meist nüchterner, aber auch etwas „griffiger“ an. Die beiden Countertenöre Christophe Dumaux und Raffaele Pe waren das „Aushängeschild“ des Abends. Christophe Dumaux war gesanglich und darstellerisch gefordert und stellte seine körperliche Fitness mit dem erwähnten Sprung unter Beweis. Das war insgesamt eine großartige Leistung. Allerdings zählt sein Countertenor nicht zu den farbenreichsten und es klang ein bisschen „soldatisch einsilbig“, was Orlando in seinem Wahn so alles von sich gab. Pe ließ die etwas süßere Stimme hören, das passte gut zum Figurencharakter. Florian Bösch schauspielerte und sang beeindruckend den Zoroastro, vom glatten Soldatenrekrutanten bis zum arienverzierenden Sandlerrülpser ganz dem Guth'schen Bühnenkosmos ergeben. Die Damen fielen gegenüber den Herren etwas ab. Giulia Semenzato ließ einen hübschen lyrischen Sopran hören, leider mit wenig respektabler Tiefe (Prüfstein war das „Amor è qual vento“ im dritten Akt). Anna Prohaskas Sopran klang etwas herb, dünn und schon grellfärbend bei Spitzentönen – und so gar nicht mit barockblumiger Noblesse. Aber das passte zum Regiekonzept – und weil die Regie heutzutage „Alles“ ist, wird es auch „Gut(h)“ gewesen sein. Das ließ sich zumindest den rund acht Minuten langen, positiven Publikumsreaktion entnehmen, die paar Buhrufe für das Regieteam fielen kaum ins Gewicht. |