ORLANDO
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Theater an der Wien Dirigent: Harry Bicket The English
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Orlando - Iestyn Davies |
„Orlando
Britannicus“ Aus dem Theater an der Wien kann von einer gelungenen konzertanten Aufführung von Georg Friedrich Händels „Orlando” berichtet werden. Die Oper erblickte 1733 das Licht der Bühne. Die Handlung ist dem „rasenden Roland” des Ludovico Ariosto entnommen. Orlando treibt seine Liebe zur Königin Angelica in den Wahnsinn, weil sie seine Liebe nicht erwidert, sondern ihr Herz dem maurischen Prinzen Medoro schenkt. Der Magier Zoroastro lenkt Orlando dahingehend, dass er auf die Liebe verzichtet und – „vernünftig geworden“ – wieder nach Heldentaten Ausschau hält. Händels Musik ist reizvoll, malt mit zarten Liebesfarben und findet für Orlandos Wahnsinn ausdrucksstarke, geradezu rohe Effekte, die das Publikum in ein Wechselbad der Gefühle tauchen. Die Aufführung fand im Ambiente der aktuellen Rossini-„Otello”-Produktion statt – in jenem Zimmer mit dem großen Gemälde, das Francesca da Rimini auf dem Totenbett zeigt, den mit einem Schwert an sie gehefteten Paolo über ihr. Der Orlando der Aufführung, Iestyn Davies, betrachtete das liebestod-schwülstige Gemälde des Symbolisten Gaetano Previati im ersten Akt ausführlich, und bezog es dadurch in die Handlung ein. Auch wenn Orlandos Liebeswahn ein gutes Ende nimmt, steht für ihn selbst mit der Liebe nicht auch das Leben auf der Kippe? Die Idee, konzertante Aufführungen im Ambiente der aktuellen Stagione-Produktion zu zeigen, ist im Theater an der Wien vor ein paar Jahren aufgekommen, sie ist reizvoll und lässt den Zufall Regie führen. Es gibt in der Bühnenwirkung spektakulärere Countertenöre, mit individuelleren, mit virileren und mit süßer gefärbten Stimmen, als sie Iestyn Davies bereithält, aber die sachbezogene, klare und verzierungsfreudige Eleganz seines Gesanges reiht ihn genauso unter die Großen seines Faches. Davies sang den Orlando textbezogen, auf einem analytischen „Understatement“ basierend, das nicht den äußeren musikalischen Effekt sucht, sondern eine psychologisch fundierte Authentizität des Bühnencharakters. Er hüllte die Titelfigur in das Gewand einer sensiblen „Traumbefindlichkeit“, die er gesanglich und darstellerisch vom ersten Auftritt an durchhielt – bis zum „Heilschlaf“ im dritten Akt (der natürlich auf keinem Felsen gehalten wurde, sondern auf einem ganz gewöhnlichen Stuhl.) Auch wenn sein Countertenor in den emotionalen Ausbrüchen über raumfüllende dynamische Reserven verfügte, waren es vor allem die lyrischen Passagen, in denen Davies seinem Gesang eine reizvoll verhalten-melancholische Farbe abgewann, die mit langem Atem poesievoll auf der Kippe zwischen Vernunft und Gefühl balancierte. Als von ihm angebetete Angelica kam Erin Morley zum Zug, deren nicht sehr großer lyrischer Sopran im Theater an der Wien einen nachhaltigeren Eindruck hinterließ als bei ihrer Gilda in der von Monterones Fluch überschatteten Staatsopern-„Rigoletto“-Premiere vom Dezember 2014. Ihre wendige Stimme paarte das typisch glitzernde Funkeln nordamerikanischer Sopranstimmen mit einer ganz feinen dunklen Samtigkeit, die sich allerdings zu rasch verflüchtigte, wenn Morley Druck in die Stimme legte, um eine kräftige Forte-Höhe zu singen. Das war glücklicherweise nicht oft der Fall – und besonders in den lyrischen Passagen tänzelte dieser hübsche Sopran anmutig und mit einem kecken raschen Vibrato versehen zwischen Traurigkeit und mädchenhafter Liebeslust durch Händels ornamentale Gesangslinie. Ähnlich gelagert, aber nicht mehr so feinnervig und schon koketter, gab sich die Schäferin Dorinda alias Carolyn Sampson, deren Sopran bei kräftigeren Spitzentönen ebenfalls an die Grenzen seiner „Komfortzone“ stieß. Als Medoro stellte sich dem Wiener Publikum Sasha Cooke vor. Es war möglicherweise das erste Auftreten der Sängerin in Wien – zumindest auf einer Opernbühne. Cookes Karriere hat in den letzten Jahren vor allem in den USA durchgestartet. Die – laut Homepage – Mezzosopranistin bewegte sich an diesem Abend mehr als „Altus“ durch die Partie, mit einem dunklen, individuellen Timbre, das mich an eine Männerstimme erinnerte – sozusagen als der zweite „Counter“ am Podium. Medoro hat sich auf diese Weise von den Sopranstimmen Dorindas und Angelicas passend abgehoben. Alle drei ließen das Publikum genussvoll an ihren Amouren und an ihren Herzschmerzen teilhaben. Kyle Ketelsen war zumindest im Theater an der Wien zum ersten Mal zu Gast. Der aus Iowa stammende Sänger hat in der Vergangenheit oft in München gastiert. Dass Ketelsen nicht nur als Escamillo viel gefragt ist, bewies er an diesem Abend als Zoroastro mit passender Geläufigkeit seines Bassbaritons, der auch in der Tiefe noch gut, wenn auch nicht mehr voluminös klang und der mit einer reichhaltigen, leicht gerauten Stimme überzeugte. Ketelsen war auch als Persönlichkeit präsent, ein Magier mit Herz und Kalkül. Die ausgewogene Besetzung wurde von Harry Bicket und The English Concert begleitet, die diese „britische“ Händel-Exegese passend abrundeten. Bicket sorgte für eine detaillierte und lebendige Akzentsetzung zwischen Liebeslyrik und schroffem Wahn – und das Orchester spielte mit einem griffigen, leicht trocken aufpolierten Klang. Als Resultat durfte sich das Publikum an einer geschlossenen, bis in Details schlüssig durchgearbeitete Aufführung erfreuen. Nach über drei Stunden Spieldauer (bei zwei Pausen) gab es rund sechs Minuten langen, starken Applaus. |