MESSIAH
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Theater an der Wien
27.3.2009
Szenische (!) Aufführung

Musikalische Leitung: Jean-Christophe Spinosi

Orchester: Ensemble Matheus

Sopran 1 - Susan Gritton
Sopran 2 - Cornelia Horak

Knabensopran - Martin Pöllmann
Tenor - Richard Croft
Alt - Bejun Metha
Bass - Florian Boesch
Tänzer - Paul Lorenger
Gebärdendarsteller - Nadia Kichler


Der Messias ist nicht gekommen
(Dominik Troger)

Der „Messiah“ als Uraufführung? Das Theater an der Wien machte es möglich: Händels Oratorium von 1742 wurde szenisch in Form gebracht. Eine handwerklich beeindruckende, aber gemessen an der Vorlage ziemlich sinnentleerte Übung.

Händels „Messiah“ basiert auf einer Reihe vertonter biblischer Texte, die seismographisch verschiedene Ebenen religiöser Empfindungen und Sehnsüchte durchmessen, ohne dabei ein Handlungsgeflecht zu entwickeln. Dabei geht es neben Theologie vor allem um eine emotionale Glaubens- und Hoffnungserfahrung. Die heutzutage so gerne bekrittelte „Erbauung“ ist als trostspendendes Element durchaus einkalkuliert: die himmlischen Chöre der Engel werden in einen irdischen Konzertsaal transponiert und verteilen ihre musikalische Kommunion.

Kaum anders ist es zu erklären, dass das Werk im anglikanischen Sprachraum immer noch als künstlerische Folie für gelebte und empfundene Religiosität gilt. Auf die Oberfläche des „Messiah“ in seiner abstrakten konzertanten Gestalt vermag jeder christlich geprägte Zuhörer selbst seine individuelle Religiosität konfessionslos abzubilden und darüber zu meditieren.

Eine szenische Umsetzung drängt Bilder auf – und lässt sich unter den genannten Vorzeichen überhaupt als wagemutiges Experiment bezeichnen. Das Inszenierungsteam um Claus Guth hat dem „Messiah“ ein Paar Handlungskrücken verpasst, auf denen selbiger mehr schlecht als recht dahinstolpert. Eine der Vorlage aufgezwungene Familiengeschichte soll die „Erlösungssehnsucht heutiger Menschen thematisieren“ (Zitat: Programmheft Seite 60). Erzählt wird die Geschichte von drei Brüdern: einer psychopathisch, einer Selbstmord begehend, einer ehebrechend. In Abstimmung mit den einzelnen Musiknummern wird versucht, einen Handlungsfaden zu flechten: beginnend bei der Trauerfeier für den Selbstmörder, über Rückblenden, bis zum Leichenschmaus und der Rückkehr des Toten ins Ehebett – als nur mehr unbewusst wahrgenommener „Auferstandener“?

Die textlichen Bezüge wirkten dabei teils fast skurill oder fast schon peinlich – der Ehebruch wird beispielsweise mit „How beautifiul are the feet“ gekoppelt, und Tenor (hier als Priester) und Alt (der ehebrechende Bruder) machen sich betrunken über die Frage nach des „Todes Stachel“ her; im Anschluss an den Leichenschmaus, der vom psychopathischen Bruder (Bass „Siehe, ich sage euch ein Geheimnis) schwer gestört wird. Schon die Trauerfeier zu Beginn wirkt befremdlich, wenn der Bass beginnt in der Trauergemeinde Unruhe zu stiften („Thus said the Lord“), den Sargdeckel aufklappt und einen Skandal inszeniert.

Verwundern kann das freilich nicht: wird doch im Programmheft darauf hingewiesen, dass man hier keine „salbungs- und weihevolle Erbauung“ zu suchen hat. Die Aufgabenstellung war, so Dramaturg Konrad Kuhn, einen konkreten Bezug zur „Unerlöstheit der Welt“ herzustellen, um die „vordergründige theologische Botschaft, die der Librettist im Sinn hatte, zu abstrahieren.“ (Programmheft Seite 60). Bei solcher Zielsetzung ist klar, dass vom eigentlichen Gehalt des Stücks nichts übrig bleiben kann – und dass die Gesamtwirkung eine gewisse ernüchternde Langeweile nicht ausschließt.

Doch es wäre ungerecht, wollte man nicht anerkennen, dass gerade vor der Pause durchaus eine künstlerische Vision erahnbar war – wenn nämlich dieser Tote plötzlich als Wiederauferstandener durch die Räume und Gänge des Hotels wankt, das die Bühne offenbar darstellen sollte. Paul Lorenger als Tänzer prägte diese stumme, dazu erfundenen Rolle. Mit großer Körperbeherrschung verlieh er ihr eine halbbewusste Aura; ein Scheintoter gewissermaßen, der hier zwischen Lebenden wandelt. Diese Idee hatte viel kreatives Potential – das im Fortgang der Handlung leider nicht ausgeschöpft wurde. Im Gegenteil: gerade an dieser Figur wurde das existentielle Scheitern bis zum Selbstmord vorgeführt – und stellte damit das Aussagepotential von Händels „Messiah“ geradezu auf den Kopf.

Lohnend war auch das Einfügen einer Gebärdensprecherin (Nadia Kichler) in den szenischen Ablauf, eines „Engels“ gewissermaßen, der in seiner Gestik ein wenig von dem unaussprechlichen Geheimnis göttlicher Wahrheit zu vermitteln schien. Hier wurde deutlich, dass das Theater gegenüber dem Messiah nicht „sprachlos“ sein muss.

Eine weitere Herausforderung bei der szenischen Umsetzung ist der Umgang mit dem Chor: Im Rahmen einer Trauerfeier lässt er sich noch gut einbauen, im Fortgang der Handlung wurde der Chor aber immer „funktionsloser“, um als Ansammlung von Sektenmitgliedern (?!) zu enden. So wurde der Chor zwar gut geführt, aber im szenischen Handlungsgefüge zunehmend zum Fremdkörper.

Gesungen hat der Arnold Schönberg Chor in gewohnter Qualität, die strahlende Wucht der Chöre konnte sich aber nicht entfalten – was wohl am Raum selbst, aber auch am musikalischen Konzept von Jean-Christoph Spinosi lag. Spinosi dirigierte gefühlvoll, manchmal für meinen Begriff zu langsam, manchmal wieder forscher, eine Höhepunkte ansteuernde Dramaturgie entwickelte sich aber nicht. Außerdem spielt dass Ensemble Matheus wohl doch nicht „in der ersten Reihe“.

Im Sängerteam war Bejun Metha mit seinem „Alt“ die herausragendste Erscheinung, Florian Boesch als Bass wurde von der Regie zu forschem Singen gedrängt und sein Vortrag wirkte deshalb zu ungeschliffen und konsequent „unerbaulich“. Richard Croft sang den Tenor solide und spielte ebenso einen verzweifelten Priester. Die beiden Damenstimmen Susan Gritton und Cornelia Horak fügten sich gut ins Ensemble ein, ohne besonders daraus hervorzustechen. Insgesamt wird es regelmäßigen Konzertbesuchern nicht schwer fallen, sich an insgesamt musikalisch qualitätsvollere Aufführungen zu erinnern.

Das Publikum reagierte mit viel Beifall und Bravorufen – und dass es keine Buhrufe gab, hat wohl damit zu tun, dass allen Anwesenden der experimentelle Charakter des Abends bewusst war.