FLAVIO, RE DE' LANGOBARDI
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Theater an der Wien im Museumsquartier Halle E
17. April 2024
Konzertante Aufführung

Dirigent: Benjamin Bayl

Concerto Köln

Flavio - Rémy Brès-Feuillet
Lotario - Tomás Král
Emilia - Julia Lezhneva
Ugone - Stefan Sbonnik
Guido - Max Emanuel Cencic
Teodata - Monika Jägerova
Vitige - Yuriy Mynenko


„Langobardenliebe
(Dominik Troger)

An diesem Mittwochabend wurde die Halle E des Museumsquartiers zum Zentrum der Wiener Barockopernenthusiasten. Georg Friedrich Händels selten aufgeführte Oper „Flavio, re de‘ Langobardi“ wurde in illustrer Besetzung konzertant gegeben.

Großer Erfolg war der Londoner Uraufführung des „Flavio“ im Jahr 1723 nicht beschieden – und nach einer Wiederaufnahme 1732 fiel das Werk dem Vergessen anheim. Erst in den späten 1960er-Jahren wurde „Flavio“ wieder „exhumiert“. Letztes Jahr wurde die Oper beim Bayreuth Baroque Opera Festival in der Regie von Max Emanuel Cencic szenisch aufgeführt. Ein großer Teil der Mitwirkenden vom Herbst 2023 kam auch in dieser konzertanten Aufführung zum Einsatz.

„Flavio“ spielt mit dem Ernst der Opera seria, unterläuft aber deren hochtrabende Gefühle mit Humor und Ironie, trägt sogar parodistische Züge und entzieht sich derart einer strikten Gattungszuordnung. Das Libretto von Nicola Francesco Haym bietet reichlich Stoff für Verwirrungen aller Art: Liebe, Eifersucht und Intrige am Hofe des Langobardenkönigs Flavio.

Es gibt zum Werk einen langen Wikipedia-Artikel, der für Wissenssuchende ausführliche Informationen und eine detaillierte Inhaltsangabe bereithält. Einem Beitrag im Programmheft des Theaters an der Wien kann zudem entnommen werden, daß Händel mit seinem „Flavio“ auch satirisch auf aktuelle politische Verhältnisse seiner Zeit Bezug genommen hat. Musikalisch hat sich Händel mehr an der venezianischen Oper des 17. Jahrhunderts orientiert, als bewusst gewähltes „Gegenmodell“ zur Opera seria.

Die Besetzung war ideal auf die Bühnencharaktere abgestimmt, die Charakterisierung der Figuren durch die szenische Einstudierung beim Bayreuth Baroque Festival ausgefeilt. Im Zentrum standen Julia Lezhneva und Max Emanuel Cencic, die als Emilia und Guido eine schwere Beziehungskrise erleben, tötet Guido doch Emilias Vater (Lotario) im Duell, weil dieser seinen Vater (Ugone) ehrverletzend geohrfeigt hat.

Juilia Lezhneva packte wieder alle Raffinessen ihres Soprans aus, überlud die einzelnen Arien fast mit Verzierungen, so dass man schon nicht mehr wusste, wo man den Atem fürs Zuhören hernehmen sollte, weil man so stark in das Abenteuer von langen Läufen und überraschenden Wendungen hineingezogen wurde, von kurzen sehnsuchtsvollen Piani und waghalsigen Koloraturen. Händel lässt Ermione die verschiedensten Gemütszustände durchleben, die von der Sängerin mit detailverliebter Kunstfertigkeit realisiert wurden.

Wenn man sich die Szene dazu denkt, kann man in diesem Feuerwerk gesanglicher Virtuosität außerdem einen parodistischen Zug erkennen, der mit der Bayreuther Produktion verknüpft ist. Auf Youtube gibt es einen Mitschnitt der Aufführung, die mit ihrem Hang zur heiter-frivolen szenisch-musikalischen Übertreibung auch als satirischer Kommentar auf die Barockoper selbst und ihre Protagonisten gelesen werden könnte. Und derart würzte die lustvolle Selbstironie der Mitwirkenden jetzt auch die konzertante Darbietung.

Emilias Geliebter, der von ihr als Vatermörder gehasste und später wieder versöhnte Guido, wurde von einem glänzend disponierten Max Emanuel Cencic gegeben, der mit bronzen koloriertem Countertenor seinen sicheren Weg durch Händels musikalische Barocklandschaften beschritt. Prunkstück war die Arie vor der Pause, etwa in der Mitte des zweiten Aktes situiert, eine Arie voller Wut und Melancholie, mit langsamem Mittelteil, in dem von schnellen Läufen erhitzt, plötzlich der Sehnsucht langer Atem das Sagen hat. Aber es muss nicht immer eine Arie sein: Besonders eindrucksvoll gestaltete sich die Szene im dritten Akt in der Guido Emilia das Schwert reicht, damit sie an ihm, dem Vatermörder, ihre Rache vollziehe. Cencic und Lezhneva gestalteten hier abseits virtuoser Gesangskunststücke Momente, in denen einzelne Seufzer so schwer wogen wie eine ausgezierte Kadenz.

Die Titelfigur des erotomanischen Langobardenkönigs wurde von Rémy Brés-Feuillet gesungen, einem weich timbrierten Countertenor, der allerdings der Hallenakustik etwas Tribut zollen musste. Eine weitere Entdeckung war die tschechische Altistin Monika Jägerova, mit angenehm gerundeter, leicht dunkel gefärbter Stimme, die als Teodata mit Humor Flavio Avancen machte und die Eifersucht ihres geliebten Vitige beförderte. Dessen Ärger fand im leicht grell schattierten, flexiblen Countertenor von Yuriy Mynenko einen ideale Verkörperung. Der leichtgängige Tenor von Stefan Sbonnig (Ugone) und der helle Bariton von Tomás Král (Lotario) rundeten als Staatsmänner mit Karrierebewusstsein die Männerstimmen nach „unten“ ab.

Das Orchester war auf der Bühne platziert, die Sänger davor. Benjamin Bayl leitete den Abend stehend vor einem Cembalo, das man auf ein kleines Podest gestellt hatte. Im Hintergrund war die Bühne mit einem schwarzen Vorhang abgedeckt. Das Concerto Köln legte gleich mit einer sehr akzentuiert dargebotenen Ouvertüre los, spielte sozusagen mit leicht „metallisch“ abgefederter „deutscher“ Barockakuratesse. Der Klang war mir fast schon eine Spur zu hell und dominant gegenüber den Gesangsprotagonisten (vielleicht ein Resultat der verstärkten Hallenakustik und des bühnenfernen Sitzplatzes). Das Tempo war eher flott, aber gut auf die Sänger abgestimmt. Das enthusiasmierte Publikum in der fast bis auf den letzten Platz gefüllten Halle erklatschte sich als Zugabe die Wiederholung des Schlusschores.

Mit „Flavio“ hat sich das Theater an der Wien zugleich von seinem Ausweichsquartier verabschiedet, ab der kommenden Spielzeit wird wieder das in den letzten beiden Jahren renovierte, ehrwürdige Stammhaus an der Linken Wienzeile bespielt. Start ist am 12. Oktober mit Mozarts „Idomeneo“.