GIULIO CESARE IN EGITTO
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Staatsoper
6. Juli 2024
Premiere

Gastspiel der Opéra de Monte-Carlo

Musikalische Leitung: Gianluca Capuano
Inszenierung: Davide Livermore
Bühne: Giò Forma
Kostüme: Marianna Fracasso
Licht: Antonio Castro
Video: DWOK
Choreinstudierung: Stefano Visconti

Les Musiciens du Prince - Monaco
Choeur de l'Opéra de Monte-Carlo

Giulio Cesare - Carlo Vistoli
Cleopatra - Cecilia Bartoli
Sesto - Kangmin Justin Kim
Cornelia - Sara Mingardo
Tolomeo - Max Emanuel Cencic

Achilla - Péter Kálmán
Nireno - Federica Spatola
Curio - Luca Vianello



„Kreuzfahrt auf dem Nil“
(Dominik Troger)

„Coronaviren“ können einer Cleopatra nichts anhaben. Sie wirft trotzdem ihre Liebesnetze aus, um den berühmtesten Römer aller Zeiten einzufangen, den es nach „Egitto“ verschlagen hat: Das Gastspiel der Opéra de Monte-Carlo an der Wiener Staatsoper begann mit einer Ansage – und endete mit einem großen Erfolg.

Am Beginn der Vorstellung traten der Staatsoperndirektor und Cecilia Bartoli vor den Vorhang. Die Sängerin leide noch unter den Nachwirkungen einer Corona-Infektion, informierte Bogdan Roscic sinngemäß das Publikum. Und Cecilia Bartoli, die in Englisch ein paar Worte anfügte und um Verständnis bat, wurde gleich mit viel Applaus zum bevorstehenden Auftritt ermutigt.

Bartoli ging es dann etwas vorsichtig an, die Stimme ein bisschen nüchterner in der Farbe, dynamisch kontrolliert, und vielleicht nicht ganz so freigiebig und glutvoll bei den verschwenderischen Auszierungen wie erhofft – aber spätestens im zweiten Akt war wieder viel von dieser unbezwingbaren Opernlust und Bühnenpräsenz zu spüren, die sie auszeichnen. Bartolis Mezzo verlieh der Cleopatra eine individuelle Ausprägung, formte im Vergleich zu einem Sopran den Charakter vielleicht pathetischer, fügte mehr charakterliche Tiefe hinzu und tragische Größe.

Die Inszenierung von Davide Livermore assoziiert das vom Film her bekannte Ambiente von Agatha Christis Kriminalroman „Tod auf dem Nil“ und nimmt das Publikum auf eine Schiffsreise mit. Das dient zwar nicht immer dem Verständnis der Handlung, etwa wenn sich der berühmte „Julius“ als Schiffskapitän in das Geschehen einführt und man für sich erst einmal die Figurenaufstellung „sortieren“ muss. Der helle Countertenor von Carlo Vistoli hob sich als Giulio Cesare aber sehr gut von Cecilia Bartolis Mezzogrundierung ab. Höhepunkt seiner Darbietung war das „Se in fiorito amena prato“ im zweiten Akt, von Livermore wie eine Showeinlage in der varietéartig aufgemachten Schiffsbar inszeniert: Cesare im weißen Anzug mit unbekümmertem, „musicalhaftem“ Schwung, der Soloviolinist Thibault Noally mit Fes am Kopf als „Mitspieler“. Vistoli konnte in dieser „Bar“-Szene sein ganzes künstlerisches Können in die Auslage stellen und das Publikum begeistern – und die Solovioline ebenso.

Die eingesetzten Kräfte waren insgesamt vom Stimmcharakter sehr gut abgestuft und betreffend Musikalität und Spiel mit Geschmack ausgewählt. Das betraf auch die Countertenöre: Neben dem „adretten“ Kapitäns-Cesare verlieh Kangmin Justin Kim dem jugendlichen, rachedustigen Sesto gesangliche Power, großen Stimmumfang sowie das nötige Maß an Exaltiertheit, mit nicht immer ganz klarem Sopranton, in der Höhe leicht „hysterisch“ färbend. Max Emanuel Cencic, mit dunklerem Stimmbouquet versehen und einer Portion Ironie, wusste den Tolomeo mit der ihm gesanglich eigenen Eleganz zu gestalten, als hedonistischen auf seinen Vorteil bedachten, skrupellosen Gegenspieler.

Sara Mingardo stand mit ihrer Altstimme als Cornelia wie ein Fels in der Brandung counterntenoralen Testosterons. Ein besonderer Höhepunkt der Aufführung war das Duett zwischen ihr und Sesto am Schluss des ersten Aktes, ein meditatives, die Zuhörer vereinnahmendes Klagen, das leider durch zu frühen Applaus gestört wurde, weil die Inszenierung hier ein ganz langsames Schließen des Vorhangs eingeplant hat, obwohl nur eine Umbaupause erfolgt. Péter Kálman lieferte als Achilla die passende bassbaritonale Abrundung zu diesem hochkarätigen Ensemble.

Les Musiciens du Prince – Monaco erwiesen sich wie schon vor zwei Jahren bei ihrem Wiener Rossini-Gastspiel als von Gianluca Capuano gut eingestelltes „historisch-informiertes“ Orchester; klanglich für die Staatsoper phasenweise vielleicht eine Spur zu schmal dimensioniert, wovon aber die Sänger profitierten. Sogar den Countertenören gelang es recht gut, mit ihren Stimmen durchzudringen. Trotzdem blieb die räumliche Distanz spürbar. Ein idealer Rahmen für Barockoper ist die Staatsoper nicht. Die erste halbe Stunde diente noch ein wenig der „Akklimatisation“, dann gewann die Aufführung zunehmend an Dichte.

Die Inszenierung lebt stark von einer riesigen bühnenbreiten Videokulisse im Hintergrund, die das bewegte Meer zeigt, Wolken oder am Schiff vorbeiziehende altägyptische Tempelanlagen. Dank einer guten Lichtregie wird die Bühne effektvoll als Raum in Szene gesetzt. Der Angriff von britischen Jagdfliegern und auflodernde Flammen verwandeln bei Tolomeos Militäraktion den Bühnenhintergrund in ein „Action-Movie“. Das Schiff selbst wird u. a. durch Schiffstreppen gekennzeichnet, die sich heben und senken lassen. Livermore hat sehr gut auf den Effekt hin inszeniert und den Sängerinnen und Sängern szenisch den Vortritt gelassen. Für die Regie gab es am Schluss nur Beifall und Bravorufe! (Das sollte der Direktion der Wiener Staatsoper eigentlich zu denken geben.)

Die erste und einzige Pause ist nach rund zweieinviertel (!) Stunden angesetzt, insgesamt dauerte die Vorstellung fast vier Stunden. (Eigentlich wären je eine Pause nach dem ersten und zweiten Akt der Aufführung angemessen gewesen.) Am Ende der Vorstellung gab es rund fünfzehn Minuten langen, starken Beifall, inklusive Wiederholung des Schlusschores und der Einspielung eines kurzen Stummfilms, der als Schlussgag noch einmal die Charaktere des Stücks in persiflierter „Kriminalfilmmanier“ mit Cleopatra als „Siegerin“ Revue passieren lässt.

PS: Man glaubt es kaum, aber es war nicht das erste Zusammentreffen von Cäsar und Cleopatra zu Händels Musik im Haus am Ring. Anlässlich des 200. Todestages von Georg Friedrich Händel wurde 1959 eine fünf Jahre alte Produktion des Werkes vom Theater an der Wien übernommen. Eberhard Wächter sang den streitbaren Römer, Irmgard Seefried die Kleopatra, dirigiert hat Heinrich Hollreiser. Aber diese Produktion kam insgesamt nur auf acht Vorstellungen. Zum letzten Mal wurde sie am 14. Jänner 1960 gegeben. Über sechzig Jahre später wurde diese Aufführungspause jetzt durch die Opéra de Monte-Carlo beendet. (Dass diese sechzig Jahre in Sachen Händelinterpretation keinen Stein auf dem anderen gelassen haben, sollte der Vollständigkeit halber aber auch noch erwähnt werden.)