GIULIO CESARE IN EGITTO
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Theater an der Wien
14. Dezember 2021
Voraufführung

Musikalische Leitung: Ivor Bolton
Inszenierung: Keith Warner
Ausstattung: Ashley Martin-Davis
Choerographie: Mandy Demetriou
Licht: Mark Jonathan
Video: David Haneke

Orchester: Concentus Musicus Wien

Giulio Cesare - Bejun Mehta
Cleopatra - Louise Alder
Sesto - Jake Arditti
Cornelia - Patricia Bardon
Tolomeo - Christophe Dumaux

Achilla - Simon Baily
Nireno - Konstantin Derri

Pompeo (stumme Rolle) - Joni Österlund



„Oper im Kino“
(Dominik Troger)

Die letzte szenische Produktion von Georg Friedrich Händels „Giulio Cesare in Egitto“ im Theater an der Wien ist schon wieder vierzehn Jahre her. Damals hat Christof Loy einer seltsamen Schuhsymbolik gehuldigt, jetzt entführt Keith Warner das Publikum in ein Kino.

Weil es zu Anlieferproblemen bei Teilen des Bühnenbildes gekommen ist, wurde die für 14. Dezember geplante Premiere um drei Tage verschoben. Am 14. Dezember fand eine Voraufführung statt, zu der nur Abonnenten geladen wurden. Nachstehende Anmerkungen beziehen auf diese Voraufführung. Das Theater an der Wien war am dritten Tag nach Ende des dreiwöchigen Lockdowns sehr gut besucht. Allerdings war damit das Tragen einer FFP2-Maske während der Vorstellung verbunden.

Intendant Roland Geyer hielt vor Beginn eine kurze Rede, in der er auf die besonderen Umstände der Produktion hinwies und sich bei der Treue des Publikums bedankte. Die Aufführung dauerte inklusive einer Pause dreieinhalb Stunden. Man hat eine ganze Reihe an Arien gestrichen, um dem Abend eine praktikable Länge zu verleihen. Ivor Bolton, der musikalische Leiter der Aufführung, geht im Programmheft näher darauf ein. (Die erwähnte Produktion im Jahr 2007 hatte bei zwei Pausen eine Länge von rund viereinhalb Stunden.)

Keith Warner hat die Handlung in einem Kinosaal angesiedelt, ein Kino alter Bauart, mit klassizistischen Versatzstücken und einem Balkönchen rechts und links, ein Kino, das schon bessere Zeiten gesehen hat. Das Bühnenbild war leicht schräg versetzt, die Projektionswand im Hintergrund vom Zuschauerraum aus gesehen etwas nach links verschoben. Die Sicht ist von Randplätzen dadurch etwas eingeschränkt. Davor reiht sich Kinogestühl, ein paar Sessel sind schon umgefallen. Der Abend beginnt mit Cäsar und Kleopatra auf der Filmleinwand. Die Protagonisten schauen zu – und wenn die kurze Filmvorführung vorüber ist, wird die Oper im Kino gespielt.

Erst nach der Pause tritt die Drehbühne in Aktion, dann wird auch der Raum hinter der Projektionswand genützt. Dort wird zum Beispiel Achilla in einer schäbigen Badewanne Selbstmord begehen, obwohl er sich eigentlich im Kampf tödliche Verwundungen zuzieht. Auch wenn vieles mit einem Schuss an britischem Humor gewürzt ist, lässt nach der Pause die szenische Kreativität merklich nach und alles wirkt ein wenig düster. Am Schluss sitzen alle wieder im Kino und werden zum Publikum vom Beginn. Im Programmheft erzählt Keith Warner, dass er selbst als Teenager in einem Kino tätig war, um sich ein paar Shillings* zu verdienen. Insofern dürften auch Jugenderinnerungen in seinen „Giulio Cesare“ eingeflossen sein. Wirklich „beflügelt“ haben diese die Inszenierung aber nicht.

Bejun Mehta hat vor fast 20 Jahren im Konzerthaus bei einem konzertanten „Giulio Cesare“ unter Mark Minkowsi den Tolomeo gesungen. Sein Countertenor dürfte sich in all den Jahren ein wenig „gesetzt“ haben, der seriöse Feldherr ist ihr vom Charakter jetzt sicher angemessener. Die Stimme, die sich über all die Jahre ihre Spannkraft und Agilität erhalten hat, wird ihm zum Instrument feiner Gefühlsmalerei. Mag sein, dass Metha damit manchmal fast schon eine Spur zu „seriös“ unterwegs war. Allerdings bot ihm die Szene allerhand zusätzliche Möglichkeiten – und wenn er voller virtuosen Ziergesangs eine Leiter hinaufklettert, dann verdoppelt sich beim Publikum die Faszination über dieses sängerische Wagestück. Gegenüber dem doch recht deckenden Klang des Contentus Musicus unter Ivor Bolton hätte ich mir noch eine Spur mehr Durchschlagskraft gewünscht.

Der Countertenor von Jake Arditti liegt höher und wurde mit der Sopranpartie des Sesto betraut. Arditti kam locker über das Orchester und war für diesen rachedurstigen Sohn der Cornelia eine ideale Besetzung. Dieser Sesto wirkte inszenierungsbedingt ein wenig wie ein Albert Herring, der sich mit einem gefälschten Ausweis betreffs altersbedingter Zugangsbeschränkung in das Kino geschwindelt hat (und dem man die Gewissensbisse eines Musterknaben ansieht) – ein unbeholfenes Muttersöhnchen, das es letztlich doch schafft, Tolomeo zu enthaupten. (Diese Szene ist von der Personenregie sehr gut gelöst. Tolomeo liegt mit den Füßen zum Auditorium auf dem Boden, der Kopf, den man nicht sieht, hängt über einer Stufe. Sesto tut sein Werk und zeigt dann das abgeschlagene Haupt.)

Auf den Tolomeo hat Christophe Dumaux weltweit ein „Abonnement“. Er hat die Partie unter anderem auch am Theater an der Wien in besagter, szenisch wenig begeisternden Loy-Inszenierung gesungen. Dumauxs Countertenor ist ein wenig nüchterner im Charakter, nicht süßlich – der machthungrige Herrscher, nicht ohne Ironie gezeichnet, war bei ihm gut aufgehoben. Simon Baily lieh seinen Bassbariton einem stimmigen Achilla, Konstantin Derrei, ein weiterer Countertenor, gab den Nireno. Joni Österlund geisterte als stummer „Pompeius-Untoter“ immer wieder durch das Geschehen. Des Pompeus Haupt wurde vor Cäsar aus einer Hutschachtel gezogen – das ist britischer Humor.

Patricia Bardon sang mit gepflegtem Mezzo die Cornelia, beeindruckend in ihrer Mischung aus Witwenschmerz, verletztem Stolz und rachesinnender, römischer Überheblichkeit. Mit Louise Alder stand eine in Londinium geborene Kleopatra auf der Bühne, der deshalb der Humor des ebenfalls aus Londinium stammenden Regisseurs nicht ganz fremd gewesen sein sollte. Alder besitzt einen lyrischen Sopran, den sie an der Staatsoper letzte Saison bereits als Sophie dem Wiener Publikum vorstellen konnte. Alder spielte zuerst eine verführerische, später ernsthafte Kleopatra, der aber – auch stimmlich – ein wenig der Hauch des „Besonderen“ abging. Ihr Weg scheint mehr ins „klassische“ Repertoire zu führen.

Um noch ein bisschen weiter mit regionalbritischen „Zuschreibungen“ zu spielen: Ivor Bolton kommt aus dem Norden Englands, vielleicht klang der Concentus Musicus deshalb ein wenig düster, ein wenig schwergewichtiger, so als hätte sich doch noch ein Schatten des 19. Jahrhunderts über Händels Musik ausgebreitet. Mehr musikalischer „Esprit“ hätte seitens des Dirigenten nicht geschadet, der Gesamteindruck war mir in Summe dann doch zu getragen.

Am Schluss gab es minutenlangen, starken Applaus für alle Beteiligten. Die offizielle Premiere mit allgemeinen Kartenverkauf geht am 17. Dezember über die Bühne.

* alte britische Münze, sehr förderlich für das Bruchrechnen und bis 1971 in Gebrauch (1 Pfund bestand aus 20 Shillings, jeder Shilling aus 12 Pence)