ARMINIO
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Theater an der Wien
20. April 2016
Konzertante Aufführung

Dirigent: George Petrou

Armonia Atenea

Arminio - Max Emanuel Cencic
Tusnelda - Sandrine Piau
Ramise - Ruxandra Donose
Sigismondo - Vince Yi
Varo - Vassilis Kavayas
Segeste - Pavel Kudinov
Tullio - Owen Willetts


„Musikalischer Cherusker mit Eichenlaub
(Dominik Troger)


Im Theater an der Wien marschierten die Cherusker zu einer Händel’schen „Herrmannschlacht” auf. Die Oper „Arminio“ wurde 1737 uraufgeführt – und dann weitgehend vergessen. Selbst die Händel-Renaissance der letzten Jahrzehnte hat weitgehend einen Bogen um sie gemacht.

Bis vor kurzem gab es meines Wissens nur eine Gesamtaufnahme des Werks eingespielt von Alan Curtis. Szenische Aufführungen waren eine Rarität. Zuletzt kam die Oper bei den Händel-Festspielen in Halle auf die Bühne sowie im Badischen Staatstheater Karlsruhe. In Karlsruhe agierte Max Emanuel Cencic als Sänger der Titelpartie und als Regisseur – und auf dieser Produktion basierte die konzertante Aufführung im Theater an der Wien.

Die Handlung zwingt Arminio in römische Ketten, weil der Schwiegervater Segeste verräterischer Weise mit den Römern paktiert. Außerdem ist der römische Feldherr Varo hinter der Gemahlin Arminios, Tusnelda, her. Sigismondo, der Sohn Segestes (verlobt mit Arminios Schwester Ramise), begehrt gegen den Vater auf und befreit Arminio. Varo fällt, die Römer flüchten, Segeste wird von Arminio verziehen und dem barocken Happyend, das die Milde des Cheruskerfürsten besingt, steht nichts mehr im Wege.

„Arminio“ besitzt einen tragischen Ernst, der auch in der Musik zu Ausdruck kommt. Die Handlung wird vom Krieg überschattet. Der Held verbringt viel Zeit, die Hinrichtung vor Augen, im römischen Kerker. Tusnelda wird zwischen Hoffnung und Furcht hin und her gerissen und durch Ramise am Selbstmord gehindert. Dazu gesellt sich der Streit zwischen Sohn und Vater. Man muss an der Oberfläche der „Historienmalerei“ gar nicht viel herumkratzen, um den Familienkonflikt zu erkennen, der in „Arminio“ ausverhandelt wird, und zwar auf eine recht konkrete Weise.

Spiritus Rector des Abends war einmal mehr Max Emanuel Cencic. Er trug einen schwarzen Anzug und lackglänzende schwarze Schuhe. Das Sakko hatte goldene Eichenblätter aufs Revers genäht und goldenes Eichenlaub zierte die schwarze Krawatte: Derart war der Fürst der Cherusker durch die Garderobe und mit leicht selbstironischem Anstrich schon optisch deutlich charakterisiert. Cencic hat mit dem Arminio eine Partie gefunden, die seinem leicht sämigen mezzoaffinen Countertenor bestens konveniert. Mit samtig überhauchtem Timbre folgte er den Spuren des Cheruskerfürsten, mit langem Atem und einer Ausgewogenheit im Vortrag, die sich sowohl in den lyrischen Passagen als auch bei den bis in die Sopranlage reichenden Effekttönen bewährte. Cencic feuerte hier weniger „barocke Raketen“ ab, sondern es handelte sich um luxuriöse Bronzen, die von ihm aus dem feingliedrigeren „Figurenwerk“ stimmlich gleichsam ans „Licht“ gehoben wurden. Sein Countertenor schmiegte sich eng an die Händel’sche Musik, kam im Laufe des Abends ins „Schnurren“ wie der in Watte gepackte 12-Zylinder-Motor einer eleganten Limousine. Cencic sang auswendig, andere Mitwirkenden hatten ihre Noten dabei. Gesungen wurde im bühnenmittig abgetrennten Bühnenbild der aktuellen „Anti-Capriccio“-Produktion des Theaters an der Wien.

Musikalisch „ausschweifende“ Arien hat Händel dem Sigismondo in die Kehle gelegt – im zweiten Akt das „Quella fiamma“ gleich mit einem kleinen „Oboenkonzert“ verquickt, weil sich bei der Uraufführung ein neuer Oboist dem Londoner Publikum vorgestellt hat (so das Programmheft). Sehr reizvoll ist auch die Arie „Posso morir, ma vivere“, mit der Sigismondo den ersten Akt prominent beschließt. Händel wechselt hier zwischen langsamen und schnellen Passagen und setzt das verhaltene „Posso morir“ immer wieder dem sehr belebt ausgeführten „ma vivere“ entgegen. Vince Yi sorgte für die ausgefeilte sängerische Umsetzung – nicht nur dieser herausfordernden Arie. Sein Countertenor ist einem lyrischer Sopran vergleichbar, der mit einem knabenhaften, farblich wenig ausschattierten „Odeur“ umflort ist. Derart sorgte Yi für große Faszination, allerdings waren einige Spitzentöne etwas unaustariert und sie verloren dann ihr unschuldiges Leuchten.

Der Countertenor Owen Willetts gab ein weiteres Beispiel für die derzeit hohe künstlerische Dichte unter den Countertenören. Er hat sich an diesem Abend erstmals dem Publikum im Theater an der Wien präsentiert. Als Volkstribun Tullio überzeugte er in der nicht sehr großen Rolle mit angenehmer beweglicher Stimme. Vassilis Kavayas lieh dem Varo einen leichtgewichtigen „Rossini“-Tenor, mit hübschem, schlanken „Kern“, aber in der Gesamtanlage auf mich noch recht jung wirkender Stimme, bei der man den heroischen Aspekt der Rolle durch das helle Timbre weniger heraushörte. Allerdings hat Händel sein musikalisches Füllhorn bei der Partie etwas zurückgehalten. Im dritten Akt hat er Varo aber eine „Feldherrnarie“ mit effektvoller Hornbegleitung spendiert. Pavel Kudinov war zwar als böser Schwiegervater ein wichtiger Treiber der Handlung, hatte aber nur wenig zu singen und entledigte sich der Aufgabe – wie schon oft im Theater an der Wien – mit bewährtem Bass.

Die Frauenrollen Tusnelda und Ramise waren mit Sandrine Piau und Ruxandra Donose prominent besetzt. Die Ramise ist eigentlich eine Alt-Partie, Donose aber doch wohl eher ein Mezzo, zwar mit einer dunkelgrundierenden Abrundung, aber sehr satt fundiert ist ihre Tiefe nicht. Sandrine Piaus Sopran passte sehr gut zur leidenden Tusnelda, nicht mehr so blühend im Klang, etwas dunkel in der Farbe, von einer fraulichen Reife überzogen, die neben aller Agilität und stilistischen Feinfühligkeit in der Stimme doch auch den Schmerz und das zum Selbstmordversuch anstachelnde Leid zu transportieren vermochte. Ein Höhepunkt des Abends war das Duett der beiden im dritten Akt „Quando più minaccuio“, ein Händel’sches Kleinod ersten Ranges.

Die Armonia Atenea unter George Petrou sorgte für eine griffige und wenn geboten auch mit Poesie erfüllte Wiedergabe, mit allerdings forscher Betonung der Bässe, was einen akustisch etwas groben Eindruck hinterließ. (Zum Vergleich: Die schon erwähnte Gesamtaufnahme mit dem Il Complesso Barocco unter Alan Curtis ist im Klangbild ausgewogener, in der Sängerbesetzung aber weniger kontrastreich.)

Am Schluss gab es stürmischen Beifall im sehr gut besuchten Theater an der Wien, der rund sieben Minuten lang andauerte.