ARIODANTE
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Staatsoper
4. März 2018

Dirigent: William Christie

Regie: David McVicar
Ausstattung: Vicki Mortimer
Licht: Paule Constable
Choreographie: Colm Seery

Les Arts Florissants
Gustav Mahler Chor

Ariodante - Sarah Connolly
Ginevra - Chen Reiss
Il Re - Wilhelm Schwinghammer
Lurcanio - Rainer Trost
Dalinda - Hila Fahima
Polinesso - Christophe Dumaux
Odoardo - Benedikt Kobel


„Schottisches Mittelalter
(Dominik Troger)

Staatsoperndirektor Dominique Meyer hat sich noch einmal an eine Händel-Produktion gewagt. 2010 hat man erfolgreich die „Alcina“ aus der Taufe gehoben, jetzt folgte die Erstaufführung der „Ariodante“ im Haus am Ring. Die Premiere ist am 24. Februar über die Bühne gegangen, nachstehenden Eindrücke beziehen sich auf die vierte und vorletzte Aufführung der Premierenserie.

Georg Friedrich Händels „Ariodante“ ist wie die „Alcina“ 1735 uraufgeführt worden. Beide Opern wurden und werden relativ häufig gespielt. Hierzulande hat Ritter Ariodante zuletzt 2008 (szenisch), 2012 sowie 2017 (jeweils konzertant und immer im Theater an der Wien) „vorbeigeschaut“ (2012 mit Sarah Connolly, der aktuellen Staatsopern-Ariodante, als Einspringerin für Joyce DiDonato!).

Die Handlung spielt am schottischen Königshofe. Im ersten Akt scheint alles glücklich auf die Hochzeit zwischen Ariodante und Ginevra hinauszulaufen, aber die böse Intrige des Polinesso am Beginn des zweiten Aktes verzögert das Happy End um zwei Stunden. Der Absturz aus dem Wonnegefühl der Liebe schleudert sowohl Ariodante als auch Ginevra auf den „Nullpunkt“ ihrer kreatürlichen Existenz: Ariodante sucht den Tod und Ginevra verzweifelt. Im dritten Akt erhellt sich dem geretteten Ariodante die Intrige, weil ihm Dalinda das von Polinesso geschmiedete Komplott aufdeckt. Der Bösewicht fällt, die Hochzeit kann stattfinden.

Wie schon bei der „Alcina“ hat man sich an der Wiener Staatsoper entschlossen, Händels Werk in keiner „Konzeptregie“ zu zeigen, sondern im Wesentlichen die Handlung zu erzählen – eine gute Entscheidung. Dabei hat sich Regisseur David McVicar mancher „Ironismen“ und einer leicht interpretativen Grundhaltung gar nicht entschlagen, sondern zumindest klar gemacht, welche destabilisierenden Auswirkungen die gescheiterte Heirat zwischen Ariodante und Ginevra auf das Königreich hat: Wenn am Beginn des dritten Aktes im Hintergrund Bücher der königlichen Bibliothek zerlegt und in einer Tonne verheizt werden, dann deutet er zudem an, dass Polinesso, der sich über die Intrige zum neuen König aufschwingen möchte, wohl auch gröbere Reformen des schottische Staatswesens selbst im Auge haben könnte. Ginevras „Gefängnis“ wurde auf der Bühne durch zwei kirchenfensterartige, rot beschmierte Elemente angedeutet, mit denen ihre „Schamlosigkeit“ an den „Pranger“ gestellt wurde. Aber diese szenischen Andeutungen gaben mehr Hinweise, schoben sich nie so stark in den Vordergrund, dass das Staatsopernpublikum sich dadurch hätte „provoziert“ fühlen können. McVicar hat ansonsten die Szenen gut geordnet, durch Komparsen für Bewegung gesorgt, und zumindest die Handlung plausibel erzählt.

Ein ironisches Element war der mit prächtigem Geweih ausgestattete Hirsch, der im ersten Akt als Jagdbeute angeschleppt wird und bei dessen Anblick Ariodante sich mit Hochprozentigem stärkt, während er in seiner Arie Amor (!) huldigt („Con l’ali di constanza“). Der etwas absurde Humor dieser Szene hatte auflockernden Charakter, allerdings tauchten der Hirsch (bzw. sein Haupt) als Running Gag immer wieder auf und McVicar hat die Gegenwart des erjagten Rotwildes über die drei Akte ein bisschen überstrapaziert. Aber in den großen zentralen Momenten hat der Regisseur der Musik und den Gefühlen Raum gelassen, mit Licht und durch Veränderung des Bühnenraums den Seelenraum geöffnet (etwa beim „Scherza infida“ Ariodantes mit dem Meerblick) und damit dem Publikum die Möglichkeit geboten, szenisch unabgelenkt (!!), den existentiellen Schmerz der Figuren auch in sich finden zu können. In diesen Momenten hat die Inszenierung jene Erhabenheit und Größe gewonnen, die solchen menschlichen Gefühlsregungen zusteht und für die die Kunstform der Oper das ideale Ausdrucksmittel darstellt.

Als „szenische Raumteiler“ fungierten große, massive, bewegliche Blöcke grauer Burgmauern. Auch in den festlichen, frohen Momenten der Handlung – etwa im ersten Akt – verbreiteten diese Mauern eine feuchte Düsternis, so als warteten dort böse Schatten darauf, ihnen bedrohlich entsteigen zu können. Die Zauberoper „Alcina“ ist zweifelsohne das „fröhlichere“ Werk, über der „Ariodante“ liegt ein melancholischer Zug, den der Ritter und seine Angebetete womöglich ihr Leben lang nicht mehr los werden. Historisierende, teils phantasievolle Kostüme und Frisuren, die im Stil vom Mittelalter bis zur Zeit Händels reichten (sehr hübsch zum Beispiel das einfache „Ladykostüm“ für Ginevra im ersten Akt) sorgten für optische Akzente auf der im Wesentlichen offenen Bühne. Ein riesiger Kerzenluster, Schwerter, Schneefall sorgten für „authentische“ Stimmungen, bei denen das Publikum wahrscheinlich auch an mittelalterliche Filmserien denken sollte. Die Aktschlüsse wurden noch um Balletteinlagen vermehrt, der Gustav Mahler Chor trat im Orchestergraben auf.

Les Arts Florissants unter William Christie haben die Aufführung getragen – im ersten Akt nicht sehr schwungvoll und behäbiger als erwartet (viele jüngere „Originalensembles“ – wie man sich im Theater an der Wien in den letzten Jahren überzeugen konnte – treiben Händels Musik spritziger und schärfer voran). Aber die große Stunde von Les Arts Florissants schlug dann im zweiten Akt, wenn sich in den langen, traurigen Arien Händels Musik in ein fragiles, mit zartem goldenem Violinleuchten hinterlegtes Lamento verwandelte. Christie gerann in diesen Passagen die Musik zur Darstellung von Trauer, aber zugleich auch zu deren Tröstung, und er ließ einen als Zuhörer hineinlauschen in die filigranen Seelenräume der Helden – die dabei manchmal fast zu zerbrechen schienen, die Sekunde vor der Auslöschung des Ichs durch den Schmerz begreifend. Das „Scherza infida“ oder auch Ginevras „Il mio crudel martoro“ lösten sich von ihrer barocken Hülle und fanden dadurch zu einer Gegenwart allgemeinen Wehklagens, der man sich selbst nur zu gerne und gleichsam danach süchtig gemacht auslieferte. Die kultivierte feinnuancierte Klangpracht des Ensembles machte diesen Abend zu etwas ganz Besonderem. Man hat auch die Akustik gut in den Griff bekommen, der Klang strahlte mit einger Wärme durchs Auditorium, es zwar nicht sättigend, aber ausreichend füllend.

Gesanglich blieben vor allem beim Bösewicht des Christophe Dumaux keine Wünsche offen. Seine Counterstimme füllte das Haus mit ihrem straff-virilen Timbre, großem Tonumfang, locker gesungenen Koloraturen, und mit einigen das Auditorium effektvoll durchdringenden Sopranhöhen. Im Spiel war der Sänger präsent und ein ganz „böser“ und durchtriebener „Machiavellist“. Die anderen Mitwirkenden kamen an dieses hohe Niveau nicht heran, waren aber teils auch nicht als ausgewiesene Barockspezialisten angetreten. Sarah Connolly – optisch eine Mischung aus Rosenkavalier und Brienne von Tarth („King of Thrones“) – hat in der Vergangenheit ihre Barockaffinität zwar hinreichend bewiesen, aber ihr Mezzo klang etwas fahl und nach der Tiefe zu blass und schien in ihren Möglichkeiten, Händels technischen Gustostückerln zu folgen, schon ein wenig eingeschränkt, im dritten Aufzug mit leichten konditionellen Mängeln. Das Resultat hinterließ etwa im Vergleich zum selbstsicher seine Stimme produzierenden Christophe Dumaux einen merklich verhalteneren Eindruck.

Die Ginevra der Chen Reiss überzeugte in den langen ruhigen Klagepassagen, wo auch ihr Sopran ruhiger strömte. In der ausgelasseneren Stimmung im ersten Akt klang mir ihre Stimme zu angespannt und wie auch bei Hila Fahima (Dalinda) gab es eine Tendenz, Spitzentöne mit zu viel Kraft zu singen. Fahima hätte mit ihrem leichten beweglichen Sopran gut für die Dalinda gepasst, aber sie hat sich einige forte-gepresste Spitzentöne geleistet, die den guten Eindruck gleich wieder verwischt haben. Rainer Trost sang einen sicheren, unspektakulären Lurcanio, während Wilhelm Schwinghammer als König mehr solide als richtig überzeugend die Regierungsgeschäfte betrieb.

Der starke Schlussapplaus nach vier Stunden und fünfzehn Minuten (inklusive zweier Pausen) dauerte rund sieben Minuten lang. Nach der zweiten Pause waren einige Plätze leer geblieben.