ALCINA
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Theater a.d. Wien
19. Dezember 2024
Konzertante Aufführung

Dirigent: Francesco Corti

Il Pomo d'Oro

Alcina - Elsa Dreisig
Ruggiero - Juliette Mey
Morgana - Sandrine Piau
Bradamante - Jasmin White
Oronte - Stefan Sbonnik
Oberto - Bruno de Sa
Melisso - Alex Rosen


Achtung! Verzauberin!
(Dominik Troger)

Knapp vor Weihnachten hat noch die Zauberin Alcina konzertant im Theater an der Wien vorbeigeschaut und viel Interesse geweckt. Georg Friedrich Händels gleichnamige Oper zählt ohnehin zu den „Hits“ des barocken Repertoires und auch dieses Mal folgte das Publikum dem Werk mit Begeisterung.

Natürlich hat an diesem Abend Alcina keinen der anwesenden Herren im Publikum in einen Löwen oder einen Stein oder ähnliches verwandelt: Dergleichen Tricks wären auch zu gefährlich, wie das Beispiel Obertos zeigt, der von Alcina verleitet in Gefahr gerät, seinen in einen Leu verwandelten Vater zu meucheln.

Doch bevor sich jemand beunruhigt: Sängerinnen verfügen meist über Zauberkräfte anderer Art – denen man sich dann aber gerne aus freiem Willen überlässt.
Zwar „umarmt“ Elsa Dreisig die Alcina noch mehr, als dass sie bereits ganz mit ihr „verwachsen“ wäre, doch ist sie offenbar eine Sängerin, die über solchen „Zauber“ verfügt. Dabei hat sie sich die Alcina erst jüngst erarbeitet und aktuell in drei konzertanten Aufführungen in Paris, Madrid und Wien zum Bühnenleben erweckt. Woran es vielleicht noch ein wenig mangelt, ist die Tiefe des Charakters, die diese Figur aus der Vielzahl Händelscher Operngeschöpfe wie nur wenige heraushebt.

In Wien ist Dreisig seit dem Sommer in drei unterschiedlichen Partien zu hören gewesen. Sie hat im September in der Staatsoper die Micaëla gesungen, im Theater an der Wien Schumanns Paradies suchende Peri  – und jetzt die Alcina.  Einerseits betört einen dieser leicht kühl getönte, silbrige Sopran, andererseits scheint die „neue Akustik“ im Theater an der Wien die Stimmen – vor allem Soprane – noch ein Spur kühler klingen zu lassen, als sie eigentlich sind. Dreisigs Alcina wurde ein Hauch zu viel an „Wärme“ abgezogen und dabei gingen ein wenig die Nuancen tief gefühlten Liebesschmerzes verloren.

In Alcinas großer Szene im zweiten Akt (die Aufführung setzte danach die Pause) zwang Dreisig Alcina sogar auf die Knie, um die konzertante Aufführungssituation aufzubrechen, um Alcinas Gefühle als verzweifelt Liebende dort optisch auszukleiden, wo es der Stimme ein wenig an entsprechenden Abschattierungen gefehlt haben mag. Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass sich Dreisigs Sopran bei Händel und in den kleineren Räumlichkeiten des Theaters an der Wien recht wohl fühlt, dass dessen spezieller Reiz aber schnell unter einer zu ambitionierten Rollenwahl leiden könnte.

Sandrine Piau
erntete als Morgana die Früchte ihrer langen Karriere: Ihr Sopran zehrte nach meinem Eindruck bereits zu stark von seinem technischen Rüstzeug, als dass er zum Sinnbild für Morganas feenhafte Jugendlichkeit geworden wäre. In der Präsentation des Bühnencharakters war sie allerdings beispielgebend und nach einem nicht so überzeugenden „O s’apre al riso” zum Einstand, geriet später das „Credete al mio dolore“ zum ausdrucksstarken Dialog mit dem Solocello. Der Applaus danach galt nicht nur der Sängerin, sondern auch dem eine virtuose Kadenz beisteuernden Cellisten.

Auch Bruno de Sa hat als Vater suchender Oberto mit seinem spektakulär-eigentümlichen Sopran das Publikum mitgerissen. Er hat es sogar geschafft, der Figur ihre von Händel intendierte Knabenhaftigkeit zu bewahren. Die Schlichtheit von Obertos Gemüt ist allerdings ein wenig de Sas Virtuosität zum Opfer gefallen, der wie meist bei seinen Auftritten die Chance genützt hat, so manchen Koloratursopran blaß aussehen zu lassen. 

Juliette Mey
steht erst am Beginn ihrer Karriere, ihr Ruggerio war zwar ein Versprechen, wirkte aber noch recht jugendlich, fast unbekümmert, der Wechsel vom verzauberten Liebhaber zum selbstbestimmten Ritter wurde nicht wirklich greifbar. In der Höhe ist die Stimme noch ein bisschen „stressanfällig.“ Jasmin White lieh Bradamante einen „brustig“ unterfütterten Alt, der fast nostalgisches Flair verströmte. Die Sängerin war von 2022 bis 2024 im Opernstudie der Volksoper, sie hat dort unter anderem die Frau Reich in den „Lustigen Weibern von Windsor“ gesungen und vor dem Sommer John Adams bigottes Festwochenoratorium mit Gospelfeeling aufgewertet. Alex Rosen hat den Melisso mit angenehm fülligem Bass gegeben und der Tenor Stefan Sbonnik blieb als seriöser Oronte in diesem stimmlichen Umfeld etwas „blass“.

Il Pomo d`'Oro unter Francesco Corti spielten in kleiner Besetzung historisch informiert und virtuos, aber der erotischen Charme von Händels Musik blieb trotz seidiger Streicher etwas auf der Strecke. Händels „Alcina“ verträgt für meinen Geschmack ein bisschen „üppigere“ Klangwelten und Sinnlichkeit, um nicht zu sagen: ein bisschen mehr „Verzauberung“. Das Orchester war wieder auf der Bühne platziert. Die Sänger waren davor an der Rampe positioniert, traten je nach Szene auf, hatten aber die Noten dabei. Insofern war das Setting doch mehr konzertant als „semi-konzertant“ – auch wenn vor allem Elsa Dreisig, Sandrine Piau und Bruno de Sa da und dort darstellerische Akzente setzten.

Um die Wiederholung des Schlusschores musste das Publikum erst gar nicht lange bitten. Die Länge des starken Applauses blieb knapp unter zehn Minuten. Das Haus war sehr gut besucht, die Sitzplätze möglicherweise bis auf den letzten Platz gefüllt. Beim Verlassen des Theaters an der Wien regnete es in Strömen – irgendwie hat es Alcina also doch noch geschafft, sich für die erlittene Liebesschmach zu rächen. Davon hat sie nicht einmal die Anwesenheit der berühmtesten Kriminalromanautorin von allen abgehalten, deren Faible für Barockoper bekannt ist.

PS: Ein amüsanter Tippfehler war groß auf den zwei Untertiteldisplays über der Bühne zu bestaunen, die das deutsche Libretto zum Mitlesen projizierten: „Ich schöre es" ! So wird der Liebe Schwur zur Schur.