„Achtung! Verzauberin!“
(Dominik Troger)
Knapp
vor Weihnachten hat noch die Zauberin Alcina konzertant im Theater an
der Wien vorbeigeschaut und viel Interesse geweckt. Georg Friedrich
Händels gleichnamige Oper zählt ohnehin zu den „Hits“ des barocken
Repertoires und auch dieses Mal folgte das Publikum dem Werk mit
Begeisterung.
Natürlich hat an diesem Abend Alcina keinen der anwesenden Herren im
Publikum in einen Löwen oder einen Stein oder ähnliches verwandelt:
Dergleichen Tricks wären auch zu gefährlich, wie das Beispiel Obertos
zeigt, der von Alcina verleitet in Gefahr gerät, seinen in einen Leu
verwandelten Vater zu meucheln.
Doch bevor sich jemand beunruhigt: Sängerinnen verfügen meist über
Zauberkräfte anderer Art – denen man sich dann aber gerne aus freiem
Willen überlässt. Zwar „umarmt“ Elsa Dreisig die Alcina noch mehr, als dass sie bereits ganz mit ihr „verwachsen“ wäre, doch ist
sie offenbar eine Sängerin, die über solchen „Zauber“ verfügt. Dabei
hat sie sich die Alcina erst jüngst erarbeitet und aktuell in drei
konzertanten Aufführungen in Paris, Madrid und Wien zum Bühnenleben
erweckt. Woran
es vielleicht noch ein wenig mangelt, ist die Tiefe des Charakters, die
diese Figur aus der Vielzahl Händelscher Operngeschöpfe wie nur wenige
heraushebt.
In Wien ist Dreisig seit dem Sommer in drei unterschiedlichen Partien
zu hören gewesen. Sie hat im September in der Staatsoper die Micaëla
gesungen, im Theater an der Wien Schumanns Paradies suchende Peri
– und jetzt die Alcina. Einerseits betört einen dieser leicht
kühl getönte, silbrige Sopran, andererseits scheint die „neue Akustik“
im Theater an der Wien die Stimmen – vor allem Soprane – noch ein Spur
kühler klingen zu lassen, als sie eigentlich sind. Dreisigs Alcina
wurde ein Hauch zu viel an „Wärme“ abgezogen und dabei gingen ein wenig
die Nuancen tief gefühlten Liebesschmerzes verloren.
In Alcinas großer Szene im zweiten Akt (die Aufführung setzte danach
die Pause) zwang Dreisig Alcina sogar auf die Knie, um die konzertante
Aufführungssituation aufzubrechen, um Alcinas Gefühle als verzweifelt
Liebende dort optisch auszukleiden, wo es der Stimme ein wenig an entsprechenden Abschattierungen gefehlt haben
mag. Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass sich Dreisigs Sopran bei
Händel und in den kleineren Räumlichkeiten des Theaters an der Wien
recht wohl fühlt, dass dessen spezieller Reiz aber schnell unter einer
zu ambitionierten Rollenwahl leiden könnte.
Sandrine Piau erntete als Morgana die Früchte ihrer langen
Karriere: Ihr Sopran zehrte nach meinem Eindruck bereits zu stark von seinem technischen
Rüstzeug, als dass er zum Sinnbild für Morganas feenhafte
Jugendlichkeit geworden wäre. In der Präsentation des Bühnencharakters
war sie allerdings beispielgebend und nach einem nicht so überzeugenden
„O s’apre al riso” zum Einstand, geriet später das „Credete al mio dolore“
zum ausdrucksstarken Dialog mit dem Solocello. Der Applaus danach galt
nicht nur der Sängerin, sondern auch dem eine virtuose Kadenz
beisteuernden Cellisten.
Auch Bruno de Sa hat als Vater
suchender Oberto mit seinem spektakulär-eigentümlichen Sopran das
Publikum mitgerissen. Er hat es sogar geschafft, der Figur ihre von
Händel intendierte Knabenhaftigkeit zu bewahren. Die Schlichtheit von
Obertos Gemüt ist allerdings ein wenig de Sas Virtuosität zum Opfer
gefallen, der wie meist bei seinen Auftritten die Chance genützt hat,
so manchen Koloratursopran blaß aussehen zu lassen.
Juliette Mey steht erst am Beginn ihrer Karriere, ihr Ruggerio
war zwar ein Versprechen, wirkte aber noch recht jugendlich, fast
unbekümmert, der Wechsel vom verzauberten Liebhaber zum
selbstbestimmten Ritter wurde nicht wirklich greifbar. In der Höhe ist
die Stimme noch ein bisschen „stressanfällig.“ Jasmin White
lieh Bradamante einen „brustig“ unterfütterten Alt, der fast
nostalgisches Flair verströmte. Die Sängerin war von 2022 bis 2024 im
Opernstudie der Volksoper, sie hat dort unter anderem die Frau Reich
in den „Lustigen Weibern von Windsor“ gesungen und vor dem Sommer John
Adams bigottes Festwochenoratorium mit Gospelfeeling aufgewertet. Alex Rosen hat den Melisso mit angenehm fülligem Bass gegeben und der Tenor Stefan Sbonnik blieb als seriöser Oronte in diesem stimmlichen Umfeld etwas „blass“.
Il Pomo d`'Oro unter Francesco Corti spielten
in kleiner Besetzung historisch informiert und virtuos, aber der
erotischen Charme von Händels Musik blieb trotz seidiger Streicher
etwas auf der Strecke. Händels „Alcina“ verträgt für meinen Geschmack
ein bisschen „üppigere“ Klangwelten und Sinnlichkeit, um nicht zu
sagen: ein bisschen mehr „Verzauberung“. Das Orchester war wieder auf
der Bühne platziert. Die Sänger waren davor an der Rampe positioniert,
traten je nach Szene auf, hatten aber die Noten dabei. Insofern war das
Setting doch mehr konzertant als „semi-konzertant“ – auch wenn vor
allem Elsa Dreisig, Sandrine Piau und Bruno de Sa da und dort
darstellerische Akzente setzten.
Um die Wiederholung des Schlusschores musste das Publikum erst gar
nicht lange bitten. Die Länge des starken Applauses blieb knapp unter
zehn Minuten. Das Haus war sehr gut besucht, die Sitzplätze
möglicherweise bis auf den letzten Platz gefüllt. Beim Verlassen des
Theaters an der Wien regnete es in Strömen – irgendwie hat es Alcina
also doch noch geschafft, sich für die erlittene Liebesschmach zu
rächen. Davon hat sie nicht einmal die Anwesenheit der berühmtesten
Kriminalromanautorin von allen abgehalten, deren Faible für
Barockoper bekannt ist.
PS: Ein amüsanter Tippfehler war groß auf den zwei Untertiteldisplays
über der Bühne zu bestaunen, die das deutsche Libretto zum Mitlesen
projizierten: „Ich schöre es" ! So wird der Liebe Schwur zur
Schur.
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