ALCINA
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Theater a.d. Wien
15. September 2018
Premiere

Dirigent: Stefan Gottfried
Inszenierung: Tatjana Gürbaca
Bühnenbild & Kostüme: Katrin Lea Tag
Licht: Reinhard Traub

Concentus Musicus
Arnold Schönberg CHor

Les Musiciens du Louvre – Grenoble

Alcina - Marlis Petersen
Ruggiero - David Hansen
Morgana - Mirella Hagen
Bradamante - Katarina Bradic
Oronte - Rainer Trost
Oberto - St. Florianer Sängerknabe
Melisso - Florian Köfler


Entzaubert
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien ist mit Georg Friedrich Händels barocker Zauberoper „Alcina” in die neue Saison gestartet. Aber die Premiere verströmte wenig Glanz und Zauber und wurde stark durch die Drehbühnenmechanik am Laufen gehalten.

Die Zauberin Alcina ist in Wien kein unbekannter Gast: 2010 gelang Staatsoperndirektor Dominique Meyer mit dem Werk einer seiner wenigen unumstrittenen Premierenerfolge. Bis 2016 folgten von dieser Produktion (Inszenierung: Adrian Noble, Ausstattung: Anthony Ward) 13 Vorstellungen. Zudem haben zwei konzertante Aufführungen stattgefunden: 2007 im Konzerthaus und 2016 im Theater an der Wien. Bei all diesen Aufführungen war die Partie des Ruggiero allerdings mit einem Mezzo besetzt. Die Neuproduktion im Theater an der Wien ist in diesem Punkt „historisch-kritischer“ und greift auf einen Countertenor zurück: Bei der Uraufführung im Jahr 1735 hat der Kastrat Giovanni Carestini die Partie gesungen.

Die Geschichte von der männerhungrigen Alcina, die die ablegten Liebhaber in Tiere verwandelt, besitzt ein leicht anrüchig-erotisches Flair. Händel lockte und lockt das Publikum in einen Zaubergarten, in ein barockes Labyrinth aus Liebe und Lust, aus Eifersucht und Verzweiflung. Bei Alcina handelt es sich um eine starke, selbstbewusste Frau, die zugleich ein Aura frühromantischer Melancholie umweht. In ihrem Lamento im zweiten Akt bringt Händel quasi die Zeit selbst zum Stillstand, erreicht er einen tranceartigen Schwebezustand der Klage, entwickelt er eine der „mitfühlendsten“ und verinnerlichendsten Szenen der ganzen Opernliteratur. Aber wie es sich für eine Barockoper gehört, siegt zuletzt das Pflichtbewusstsein über all die verlockende Ablenkung, und der von Alcina umgarnte, seine Bestimmung vergessende Ruggiero wird wieder auf den Weg der ritterlichen Tugend und des Kampfes zurückgeführt. Alcina und ihr Reich verschwinden.

Im Theater an er Wien war natürlich ein „moderner“ szenischer Zugang zu erwarten gewesen. Doch das Team um Regisseurin Tatjana Gürbaca hat Alcinas Zauberreich in eine wüste Vulkaninsel verwandelt, die in oftmalige Drehbewegung versetzt, seine graue Schroffheit in posenhafter topographischer Nuancierung dem Publikum anschaulich vorführen durfte. Trotzdem haben ein paar Plastikblümchen und ein verhungertes Bäumchen bemerkenswerter Weise Ruggiero (der zeitweise schwarze Unterwäsche (!) trug) dazu veranlasst von „verdi prati“ (!!) zu schwärmen. Ein atmosphärische Ferne suggerierender „Rundhorizont“ schloss die Bühne im Hintergrund ab.

Die Drehbühne drehte sich aber zu oft und immer wieder tauchten Figuren in Szenen auf, in denen sie nichts verloren haben. Wenn Alcina im zweiten Akt ihre – siehe oben – tiefe Krise durchmacht, dann ist es kontraproduktiv, wenn plötzlich Morgana mit einem Rechen unsinniger Weise den Strand bearbeitet und Ruggiero seine Karriere als zukünftiger Industrieller andeutet. (Ruggiero ist in dieser Produktion kein Ritter, sondern offenbar ein auf Abwege gekommener Industriellensohn aus dem 19. Jahrhundert.) Gürbaca sorgte dermaßen immer wieder für Ablenkung und nicht für Verdichtung, starke emotionale Momente, wie der oben geschilderte, wurden vertan.

Der Abend begann mit Schwung, zur Ouvertüre wurde der Schiffbruch Bradamantes und Melissos dargestellt: Alcina schaukelte ein kleines Schiffchen, behexte es gewissermaßen. Nach Morganas „luftiger“ Arie traten von einer Tanzeinlage begleitet Alcina und die Bewohner der Insel auf. Dieser Schwung reichte zwar nicht für den ganzen ersten Akt, ließ einen aber zumindest auf ein gutes Fortkommen hoffen. Aber im zweiten Akt und vor allem nach der Pause wurden die letzten „Zauberreste“ gründlich demontiert. Regen vom Schnürboden (das scheint derzeit Mode zu sein), dessen Wassergetropfe minutenlang enervierend Morganas Gesang punktierte (ein technisches Gebrechen?), Orontes Operation am eigenen Herzen (ironisierend gemeint?) und das verschenkte Finale, in dem Ruggiero prosaisch mit einer Schaufel die Zauberquelle Alcinas zuschüttet und einen Baustellenabsperrband um die Insel legt, entzauberten Händels Zauberoper gründlich. Alcina wird am Schluss die Löwenmaske von Obertos Vater aufgesetzt. Das von ihrem Zauber befreite Volk schubste sie hin und her: die Hexe ist besiegt, die Normalität hat gewonnen.

Der Concentus Musicus unter Stefan Gottfried gelang es nicht, diesem zähen Bühnentreiben zu „entkommen“. Es wurde ein sinnlicher Händel gegeben, fast mit romantischen Schattierungen versehen, aber man hätte dem Maestro oft ein „con brio“ zurufen mögen. Vielleicht wurde auch ein wenig die Radikalität und Schärfe Harnoncourt’scher Prägung vermisst, der Hang zur (oft genug zu forcierten) Polarisation, die Herausforderung zur Stellungnahme.

Selbst Marlis Petersen in der Titelpartie konnte mit ihren singschauspielerischen Qualitäten den Abend nicht wirklich befeuern, vielleicht durch einen Hexenschuss eingeschränkt – Intendant Roland Geyer hat sie am Vorstellungsbeginn angesagt. Ihre Darstellung gewann im Laufe des Abends aber spürbar an Profil. David Hansen lieh dem Ruggerio einen etwas engen, in der Mittellage ausreichenden, in der Tiefe blassen und in der Höhe zu forcierten Countertenor. Mirella Hagen war eine reizende Morgana, deren lyrischen Sopran ich mir trotzdem etwas „blumiger“ gewünscht hätte. Katarina Bradic gab einen auch im Aussehen attraktiven Bradamante. Rainer Trost war ein schon leicht ergrauter, stimmkräftiger Oronte. Florian Köflers angenehm timbrierter Bass hatte wenig zu singen. Der St. Florianer Sängerknabe schlug sich achtbar.

Der Abend dauerte inklusive einer Pause rund dreieinviertel Stunden. Die Länge des Schlussbeifalls betrug ca. zehn Minuten. Im Publikum befand sich sogar der neue Wiener Bürgermeister, der auch eifrig applaudierte und nicht gleich beim Fallen des Vorhangs aus der Loge verschwand. Den Sängerinnen und Sängern wurde teils mit viel Bravorufen, dem Regieteam unspektakulär mit Applaus gedankt.