AGRIPPINA
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Theater an der Wien Musikalische Leitung: Thomas Hengelbrock |
Agrippina - Patricia Bardon |
„Gute
Unterhaltung mit SPQR“ Sex und Intrige – diese Mischung funktioniert immer. Ob 1709 bei der Uraufführung in Venedig oder 2016 bei der Premiere im Theater an der Wien: Georg Friedrich Händels „Agrippina“ mischt Satire mit Pathos und sorgt für gute Unterhaltung. In den letzten zehn Jahren gab es bereits zwei Produktionen dieses Werkes in Wien: eine szenische an der Kammeroper im Jahr 2007 und eine konzertante Aufführung im Theater an der Wien im Jahr 2009. Wie schon 2007 in der Kammeroper hat auch diese Neuproduktion die Handlung in die Gegenwart verlegt. Die Geschichte um die Intrigen der Agrippina, die so gerne ihren Sohn Nero auf den Kaiserthron hieven möchte, ist dafür auch sehr gut geeignet. Das Werk trägt selbst parodistische Züge, der (wahrscheinliche) Librettist Kardinal Vincenzo Grimani wusste um die Tricks der hohen Politik sehr gut Bescheid und hat wohl manch zynischen Seitenblick auf die Machtverhältnisse seiner Zeit in den Text hineingepackt. Der junge Händel, ganz Sturm und Drang, legte Feuer und Sentiment in seine Musik, spielte viel mit Kontrasten, und schuf ein exzentrisch-virtuoses Frühwerk, das noch nicht von den „Schematismen“ der Dacapo-Arien bestimmt wird und die Musik stark am Drama orientiert. Händel hat die Oper auf den damaligen Geschmack des venezianischen Publikums maßgeschneidert. Viele Arien der Oper lassen sich bereits in früheren Werken Händels nachweisen, aber das ist eine Fragestellung für Spezialisten. Die Inszenierung von Robert Carsen hat die Handlung in ein modernes Rom versetzt. Kaiser Claudio parodiert Silvio Berlusconi und Benito Mussolini unter dem Medienbanner des römischen Senats mit seinem SPQR-TV. Machtpolitikerin Agrippina sitzt wie die Spinne im Netz des Familienclans, webt geschickt ihre Fäden, um ihren Sohn Nero zu protegieren – und die erotisch-naive Poppea wehrt sich gegen die intriganten Vereinnahmungen durch die Kaiserin mit ihrem weiblichen Instinkt. Das Bühnenambiente mit monumentalen faschistoiden Architekturanklängen – etwa eine von großen Rundbögen durchbrochene Gebäudefront im Hintergrund – brachte sogar ein mit Bikini-Schönheiten und Badehosenträgern ausstaffiertes Schwimmbad täuschend echt auf die Bühne, mit netten Fliesendetails am Beckenrand. Seitens der Ausstattung (Gideon Davey) ist mit Akribie nicht nur ans Auge gedacht worden, sondern auch an die Darstellung des schichtspezifischen Ambientes (den Arbeitstisch des Monarchen krönte beispielsweise nicht „irgendein“ Computer und Narciso und Pallante zeigten die Yuppie-Unterwäsche eines bekannten Modehauses). Schon der erste Auftritt Nerones unterstrich die detailfreudige Charakterisierungskunst der Inszenierung: Das Muttersöhnchen schlurft im längsgestreiften Pyjama in Papas Arbeitszimmer, wo Mama voll in Action bereits überlegt, wie sie die (falsche) Nachricht vom Tod des Kaisers am besten ausnützen kann. Nero knipst den Fernseher an: ein Fussballspiel (natürlich Roma gegen Lazio). Aber Mama macht ihm schnell klar, dass jetzt wichtigere Dinge besprochen werden müssen, und sie schärft ihrem Sohn genau ein, wie er sich jetzt verhalten soll. Dann polt Mama mit ihrem gereiften und deshalb so gefährlichen Sexappeal die beiden „Sklaven“ ihres Mannes in ihrem Sinne um. Sowohl Pallante als auch Narciso entblättern sich bei ihren Arien bis auf die schwarze Unterhose, um gegenüber Agrippina ihre Liebesglut zu demonstrieren – und Carsen gewinnt mit diesem Schachzug, die szenischen Abläufe in den beiden aufeinander folgenden Arien fast gleich zu gestalten, sofort die Gunst des Publikums. Männer funktionieren nun mal so, könnte man boshaft anmerken – und wer es noch nicht gewusst haben sollte, dem wird es hier humorvoll vor Augen geführt. Die ehrliche Liebe wohnt bei Ottone und Poppea, was Carsen auch zu würdigen weiß, während er Claudio als dummlüsternen, machtbessenen Herrscher zeigt, dem am Schluss langsam dämmert, dass er keine Ahnung davon hat, was um ihn herum passiert. So schaukelt sich das Spiel bis zum turbulenten „Dreiergipfel“ der Herren Ottone, Nerone und Claudio in Poppeas Gemächern auf. Diese Szene war der perfekt abgestimmte, komödiantische Höhepunkt des Abends – wenn Poppea Nerone und Claudio gegeneinander ausspielt, um ihre Liebe zu Ottone zu retten. Mit seiner Sichtweise hat Carsen zwar die Interpretationsgeschichte der „Agrippina“ nicht revolutioniert, aber für sehr schlüssige und sehr unterhaltsame dreieinhalb Opernstunden gesorgt (inklusive einer Pause). Dass Nerone in den letzten Sekunden der Aufführung das „lieto fine“ in Frage stellt, dass er grell auflacht, und dass Agrippina und Poppea ermordet werden, ist eine der Historie gewidmete Fleißaufgabe, der es nicht bedurft hätte. Musikalisch war der reich bestückte Orchestergraben auffällig: Fast dreißig Streicher wurden von Thomas Hengelbrock und dem Balthasar Neumann Ensemble aufgeboten, davon fünf Celli und zwei Kontrabässe. Der volle, etwas dunkle, bassbetonte und nicht so feinteilige Klang war also wenig überraschend, und hob sich deutlich von vielen härter klingenden und kärger instrumentierten Orchestern der „historisch informierten Aufführungspraxis" ab. Das Orchester musizierte mit viel Schwung. Hengelbrock setzte auf eine starke Akzentuierung, und ließ Händels Musik, passend zur ironisierenden Inszenierung, auch reichlich Pathos verströmen. Die Aufführung folgte laut Programmheft im Wesentlichen Händels Autograph. Die Besetzung war sehr gut auf die vom Regiekonzept zugespitzte Figurentypologie abgestimmt: das passte schauspielerisch vorzüglich, in rein gesanglicher Hinsicht wurde das Optimum nicht ganz ausgeschöpft. Patricia Bardon sang mit straffem, in der Höhe schon etwas Nachdruck erfordernden Mezzo, und spielte eine kühle, machtbewusste und kluge Frau. Der groß gewachsene Claudio von Mika Kares war das entsprechende Gegenstück, mehr durch körperliche, als durch Gedankenkraft glänzend. Kares setzt die Tradition finnischer Bässe fort, allerdings nicht typisch „schwarz“, sondern etwas weicher timbriert, mit genügend Nachdruck ausstattet – eine Stimme mit viel Potenzial. Und Christoph Seidl steuerte als boten-wendiger Lesbo sozusagen das jüngere, noch auf Nebenrollen programmierte „Bass-Alter-Ego“ bei. Nerone und Ottone waren sich in der Stimmfarbe ihrer gesanglich potenten Countertenöre eine Spur zu ähnlich– so hätte ich mir vom Stimmcharakter Filippo Mineccia auch als Nerone vorstellen können. Ottone ist aber ein „g’rader Michel“, der – wie solche Leute oft – im Lauf der Handlung fast unter die Räder kommt. Mineccias jugendliche und an der „Timbrekante“ etwas greller färbende Stimme hätte mit mehr „Süße“ ausgestattet der große Arie Ottones vor der Pause womöglich eine genießerische Schwermut verliehen. Jake Arditti hielt für den Nerone einiges an hysterischer Überzeichnung bereit und sorgte vor dem Finale noch für viel Feuer mit seiner Bravourarie „Come nube che fugge dal vento“. Die Poppea war bei Danielle de Niese sehr gut aufgehoben: de Niese ist mit ihrem erotischen Charisma für solche Rollen prädestiniert. Sie besitzt außerdem ein leicht rauchiges Timbre, das ihre Stimme als Charakter prägt, aber nicht immer die Eleganz und Klarheit ihres Gesanges befördert. Narciso (Tom Verney) und Pallante (Damien Pass) rundeten den positiven Gesamteindruck und beide legten einen gefälligen „Arien-Strip“ auf die Bühne. Das Publikum war von der gesamten Produktion sehr angetan, nur ein lauter Buhruf richtete sich gegen das Regieteam. Nach neun Minuten wurde der Vorhang gesenkt – und der immer noch starke Applaus abgewürgt. Fazit:
Eine unterhaltsame, sehr gut gemachte Produktion, die auch für Opernliebhaber
geeignet ist, denen Barockoper weniger zusagt. |