ROMEO ET JULIETTE
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Wiener Staatsoper
Wiener Erstaufführung in Originalsprache
22.12.2001

Dirigent: Marcello Viotti
Inszenierung: Jürgen Flimm
Lichtarchitektur: Patrick Woodroffe
Kostüme: Birgit Hutter
Choreinstudierung: Ernst Dunshirn
Bewegungsregie: Renato Zanella

Juliette - Stefania Bonfadelli
Stéphano - Angelika Kirchschlager
Gertrude - Mihaela Ungureanu
Roméo - Neil Shicoff
Tybalt - John Dickie
Benvolio - Michael Knapp
Mercutio - Adrian Eröd
Paris - Markus Nieminen
Grégorio - In-Sung Sim
Capulet - Alfred Sramek
Frére Laurent - Walter Fink
Le Duc - Dan Paul Dumitrescu

"Süßstoff oder Bonbonniere? "
(Dominik Troger)

"Julia, Romeo
(Beide erheben sich noch einmal in einer letzten Anstrengung.)
Herr, Herr verzeihe uns.
(Sie sterben.)"
(Textfassung für die Premiere an der Wiener Staatsoper, Programmheft zur Aufführung.)

Nein, keine Sorge, hier wird nicht versucht, für diese Premiere eine Absolution zu erbitten, so schlimm war es nicht. Im Gegenteil, die Story ist einfach zu gut. Allerdings hat Gounod ein "Drama lyrique" daraus gemacht. Der Kampf zwischen den beiden verfeindeten Veronesischen Familien tritt stark in den Hintergrund. Erzählt wird die Geschichte von Romeo und Julia und ihr tragisches Ende, gewissermaßen eine populäre Version von "Tristan und Isolde" - (die Uraufführungen dieser beiden Werke liegen nur zwei Jahre auseinander!).

Für alle, die es boshafter formuliert haben möchten: man trifft hier auf Shakespeare in der Bearbeitung eines Groschenromans. Aber auch Groschenromane verstehen es, auf der Klaviatur der Emotionen keinen Ton unangeschlagen zu lassen. Und das ist sicher der Punkt, der anno dazumal dem Werk seinen großen Erfolg brachte - und der auch heutzutage eine wirkungsvolle Wiederbelebung ermöglichen sollte.

Die Herausforderung scheint nun gerade darin zu bestehen, zuvorderst einmal musikalisch diese emotionale Klaviatur wirklich bis auf das Äußerste auszureizen. Das beginnt beim Orchester und setzt sich beim Ensemble fort. Das Orchester würde sich dann ganz den schwelgerischen Streicherpassagen und dem lautmalerischem Klang hingeben. Romeo und Julia würden mit jungen, geschmeidigen Stimmen, in ihrem Liebesgeflüster verschmachten. In Summe ergäbe das ein Gedicht, wo sich Herz und Schmerz wirklich noch reimen dürfen. Mehr ist in Anbetracht der doch seichten musikalischen Einfälle von Charles Gounod (die aber auf diesen Reim sehr gut berechnet sind) wohl nicht zu erhoffen. Ja, nenne das manch einer Kitsch, aber in Summe ist es wohl genau das, was Gounod aus dieser Geschichte gemacht hat.

Die Aufführung an der Staatsoper ist aber viel zu wenig kitschig. Einzig die Lichtspiele eines Patrick Woodroffe (und der weiß ja mit "populärer Kunst" umzugehen) weckten ein wenig dieses Gefühl, das beim Betrachten von mit Flüssigkeiten gefüllter, gläsernen Briefbeschwerer aufkommt, in denen es so dichtflockig schneit, wenn man sie schüttelt.

Die meiste Zeit (und vor allem vor der Pause) schmerzte einen vor allem der Gedanke, dass gerade Neil Shicoff den Romeo singen muss, eine Figur, bei der er, der intellektuellste unter den Tenören, von vorneherein auf verlorenem Posten steht. Große Nervosität paarte sich wohl mit diesem Empfinden, dass man hier eine Rolle verkörpert, die man sich zwar sehnlichst zu singen wünscht, die aber nicht mehr wirklich in der Reichweite des eigenen Stimmcharakters und des persönlichen Ausdrucks liegt. Wo man heftiges Liebeswerben und -schmerzen erwartet, spürte man viel zu deutlich, wie Shicoff diese Partie sich erst emotional zurechtzähmen musste, um aus einem wilden, bis über die Ohren heißverliebten Jugendlichen, einen zu ihm passenden, leidenschaftlichen, seriösen und verzweifelten Liebhaber zu machen. Dieser "Jugendliche" wehrte sich anfangs auch ziemlich verbissen und Shicoff lief erst gegen Schluss wieder zu gewohnter Form auf.

Stefania Bonfadelli tat sich da leichter. Es zeigte sich aber auch, dass der Starruhm, den ihr die Premiere der "Sonnambula" eingetragen hat, immer wieder von neuem schwer verdient sein will. Nun hat Gonoud die Rolle der Julia auch ein wenig uneinheitlich gestaltet und lässt sie zu Beginn, als sie der Liebe zu Romeo noch ledig ist, recht fleißig Koloraturen singen - was Bonfadelli weniger behagt. Doch später trifft sie meist, ähnlich wie in der Sonnambula, einen durchaus innigen und reinen Ton. Auch optisch ist ihre Julia durchaus begehrenswert, und sie darf ihre Reize des öfteren ziemlich freizügig, aber immer jugendfrei, zur Schau stellen.

Wenn die Inszenierung die beiden Hauptdarsteller ins Zentrum rückt, meist auf einer leergefegten Bühne, umgeben von den schon angesprochenen beleuchtungstechnischen Akzenten, so ist das sicher eine gute Wahl, solange die Sänger das auch mit schauspielerischer Intensität umsetzen können. (Da war in diesem Fall nichts zu befürchten.) Und ich bin nicht der Auffassung, dass sich der obgeforderte Kitsch in einem lebensechten Balkon oder in einer über den Bühnenhintergrund fliegende Lerche ausleben müsste. Die gewählte Abstraktion war ein gangbarer Weg - er wurde aber erst nach einer bangen ersten Viertelstunde beschritten, die offenbar Reste von Jürgen Flimm's Annäherung an dieses Werk darstellt. Denn zuerst geht mal der Vorhang auf und der vom Chor gesungene Prolog führt die Zuseher in eine Art Prosektur, wo man offenbar gerade die Leichen des Liebespaares, von weißen Leintüchern verdeckt, mit den typischen an den Zehen montierten Namenskärtchen versehen hat. Und wenig später bei der Festszene, darf sich Julia, als Popstar mit Mikrophon in der Hand, an ihren Koloraturen erfreuen (oder auch nicht erfreuen, je nach stimmlicher Verfassung). Rechnet man diese Entgleisungen ab, spielt dann wirklich das Licht die Hauptrolle und es entsteht ein "virtueller" Bühnenraum, der mit diversen Effekten, letztlich die Seelen Romeos und Julias in den Sternenhimmel entführt. (Ja, und am Schluss sieht man, wieviel mehr an Kitsch dieses Werk vertragen hätte!)

Was ist aber das Resümee des Abends? Dass man der Inszenierung durchaus trauen kann (wenn man zumindest diese Leichen-Wägelchen schnellstens in die Remise rollte), wenn schauspielerisch (das hat gepasst) und eine vom Stimmcharakter her (hat nur bedingt gepasst) adäquate Besetzung vorliegt. Aber ziemlich ausgelassen hat in dieser Hinsicht Marcello Viotti, der sich nicht darauf verstanden hat, mit dem Orchester diesen komponierten Süßstoff in ein, einem auf der Zunge zergehendes Konfekt umzuschmelzen. (Das Potential dazu hat Gounod schon in seine Partitur verpackt.) So blieb der Gesamteindruck uneinheitlich.

Das Publikum reagierte mit einigen Buhs für das Inszenierungsteam (die mehr zu einer "Minderheiten-Feststellung" gerieten) und vor allem mit viel Applaus.