FAUST
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Kammeroper
Premiere
1. Oktober 2019

Dirigent: Giancarlo Rizzi

Inszenierung: Nikolaus Habjan
Bühne: Jakob Brossmann & Denise Heschl
Kostüm: Denise Heschl
Licht: Franz Tscheck


Faust - Quentin Desgeorges
Méphistophélès - Dumitri Madarasan
Valentin - Kristjan Jóhannesson
Wagner - Benjamin Chamandy
Marguerite - Jenna Siladie
Siébel - Ghazal Kazemi
Marthe -
Juliette Mars

Vokalensemble: Mariana Garci Crespo, Ena Topcibasic, Anne Alt, Barbara Egger, Vladimir Cabak, George Kounoupias, Alexander Aigner, Klemen Adamlje
Puppenspielerin - Manuela Linshalm


„Ein unerquicklicher Premierenabend

(Dominik Troger)

An der Kammeroper strebt man wieder einmal nach „Höherem“. Letzte Saison hat man es mit der französischen Fassung des „Don Carlos“ versucht, diese Saison folgte Charles Gounods „Faust“. Der Premierenabend verlief wenig erfreulich – auch die Inszenierung von Nikolaus Habjan und seine „Breitmaul“-Puppen haben damit zu tun.

Nikolaus Habjan ist „Director in residence“ am Theater an der Wien, das bekanntlich seit einigen Jahren die Kammeroper bespielt. Letzte Saison wurde im Theater an der Wien Carl Maria von Webers „Oberon“ in seiner Inszenierung gegeben, jetzt folgte an der Kammeroper der „Faust“ in der Vertonung von Charles Gonoud. Oper und Puppenspiel, diese Kombination hat schon beim „Oberon“ ambivalente Ergebnisse geliefert und diese „Faust“-Produktion hat die Frage nach der Gewichtung zwischen Puppen und Menschen auf der Bühne noch stärker ins Zentrum gerückt.

Die Sängerinnen und Sänger waren in dieser Produktion dazu angehalten, unterstützt von einer Puppenspielerin, mit den Puppen wirklich zu agieren. Habjans „Handpuppen“, vom lebensgroßen Méphistophélès über die beiden etwa armlangen Puppen des Faust und der Marguerite bis zu Marthe, die nur mit einer Puppenmaske hantierte, waren mit ihren breiten Mäulern, die zum Gesang auf- und zuklappten, sehr eloquent unterwegs. Aber oft war nicht klar, wem seitens des Publikums die eigentliche Aufmerksamkeit zu gelten hätte – und die enge Verbindung mit den Puppen beeinträchtigte das „freie“ Spiel der Mitwirkenden und drängte zu einer Statik, die sich insofern verfestigen konnte, weil Puppengesichter in ihrem emotionalen Ausdruck eben doch sehr eingeschränkt sind. (Außerdem grenzte ihr breitmäuliges „Singen“ dann und wann schon fast an eine Parodie, die der Wahrhaftigkeit des gesanglichen Ausdrucks des singenden Personals nicht so förderlich war.)

Erschwerend kam hinzu, dass Habjan einige Szenen aus psychologischer Sicht fragwürdig auffasste: Valentins Tod etwa, der sehr vital gegenüber Marguerite noch handgreiflich wurde und mit Bühnenaktionismus die Ungeheuerlichkeit dieser Szene – ein Sterbender der seine Schwester verflucht! – banalisierte – oder die Szene, in der Marguerite das Schmuckkästchen öffnet: intime Momente der Verführung, in der die Spaltung zwischen Puppe und Sängerin besonders deutlich und unerquicklich spürbar wurde, aber auch die Unsensibilität der Regie Marguerites naiven Gefühlen subtilen Ausdruck zu verleihen. Abseits der Puppen wirkte die Bühnensprache Habjans an diesem Abend manchmal fast wie aus der Mottenkiste des Theaterfundus gekramt – das rückwärtige Beleuchten eines schwarzen Vorhangs mit einem Scheinwerfer war der diesbezügliche Tiefpunkt, aber auch die kriegsversehrten Soldaten, die nach der Pause zum Chor antraten und von Nonnen gestützt wurden, waren ein untauglicher Versuch, diesem „Faust“ sogar noch sozialkritisches Potenzial abzupressen. Bühnenschnee scheint derzeit auch sehr modern zu sein.

Dort wo die Regie „große Bilder“ suchte, blieben sie isoliert: die metaphysische Überhöhung der Marguerite durch die angedeutete Kreuzigung ihrer Puppe im Dom oder der verklärende Schluss, wenn sich hinter der in Unschuldsweiß gekleideten Frau (und nachdem ihr im „Himmel“ noch Valentin in Person (!) begegnet ist) ein goldener Vorhang senkt. An das Ringen metaphysischer Kräfte scheint Habjan nicht wirklich geglaubt zu haben, sonst hätte er diese Bilder schon im Teil vor der Pause entsprechend vorbereitet. Aber auch die fatale Entwicklung Marguerites von einem einfachen Mädchen bis zur Kindesmörderin wurde nicht recht greifbar. Und wäre nicht die Verjüngung des Dr. Faust im ersten Bild für jeden „Theatermagiker“ eine „aufgelegte“ Sache gewesen? Ein ergrauter, lebensmüder Mann wird wieder jung! Doch die Puppe des jungen Faust wird nur auf die Bühne getragen wie eine x-beliebige Requisite, ohne „Zauber und Brimborium“ – und der Sänger wechselt sie wie einen Handschuh. Das sind vergebene Chancen.

Das Bühnenbild deutete mit drei Bögen vage den Raum einer Kirche oder zumindest von „altertümlicher Architektur“ an, war dem Dombild mit dem weißneon-leuchtenden Kreuz immerhin ein passender, wenn auch sehr vager Rahmen. Habjan ließ oft den schon erwähnten schwarzen Vorhang fallen: die Faustpuppe als Voyeur, die unter den Vorhang schlüpft und Marguerite beobachtet, die man nur schemenhaft sieht. Plastischer war der Baum mit der Margueriten-Puppe auf der Schaukel, während sich die Liebesnacht herabsenkt (und die Faust-Puppe der Margueriten-Puppe despektierlich unter den Rock greift). Der zweite Teil nach der Pause wusste insgesamt mehr zu überzeugen. Die Walpurgisnacht überraschte mit einem kurzen, nicht unwitzigen Puppenballett. Bespielt wurde auch ein um das Orchester gebauter Laufsteg, über den die Regie mal die Hauptdarsteller, mal den Chor trieb. Aber insgesamt betrachtet dürfte sich Habjans „szenische Phantasie“ dieses Mal beim nicht wirklich aufregenden Design der Puppen erschöpft haben.

Die jungen Sängerinnen und Sänger sind naturgemäß das erste Opfer der schon angedeuteten unverständlichen Programmpolitik. (Die Kammeroper und „große französische Oper“, darin äußert sich – man verzeihe mir – eine große Fehleinschätzung der vorhandenen Ressourcen.) Die Mitwirkenden forcierten stimmlich dementsprechend, auch scheint niemand mit ihnen nachhaltig stilistisch gearbeitet zu haben. Dazu gesellte sich Pech: Faust bekam im ersten Bild einen „Frosch“ in den Hals und wirkte danach bis zur Pause stark verunsichert, worunter auch die bekannte Kavatine zu leiden hatte. Immerhin hat sich Quentin Desgeorges dann und wann nicht nur um einen kräftigen, sondern auch um einen differenzierteren Gesang bemüht.

Das Gretchen der Jenna Siladie manövrierte unsensibel, mit leicht metallischem Sopran durch die Partie, die zarten Saiten von Marguerites Seele brachte sie nicht zum Klingen. Immerhin hat Dumitru Madarasan als Mephisto seine schwarze, freilich noch junge Bassstimme ins Feld geführt – eine Stimme mit Potenzial. Kristján Johannesson hatte mit Valentins Arie viel Mühe. Ghazal Kazemi als Siebel, Benjamin Chamandy (Wager) und Juliette Mars (Marthe) passten zum Gesamteindruck. 

Apropos Orchester: Das Wiener Kammerorchester unter Giancarlo Ricci setzte auf eine Bearbeitung von Leonard Eröd. Eröd hat Gonouds Musik recht gut „eingedampft“ – aber leider klang das Orchester auch so. Nach einem schwachen Beginn spielte es animierter, aber meist zu laut und undifferenziert. Das Hörvergnügen hielt sich in überschaubaren Grenzen.

Das Publikum dankte mit fast stürmischem Applaus. Es reagiert auf Habjans Puppen sowieso immer enthusiastisch, also war der Erfolg vorprogrammiert. Trotzdem besteht für die Folgevorstellungen nach meinem Eindruck erhebliches Steigerungspotenzial. Der Abend dauerte inklusive einer Pause dreieinviertel Stunden.