FAUST
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Wiener Staatsoper
18. März 2017

Dirigent: Simone Young

Faust - Jean-Francois Borras
Méphistophélès - Luca Pisaroni
Valentin - Orhan Yildiz
Wagner - Clemens Unterreiner
Marguerite - Anita Hartig
Siébel - Rachel Frenkel
Marthe -
Rosie Aldrige


„Marguerite mit Heiligenschein

(Dominik Troger)

Nach drei Jahren hat die Wiener Staatsoper Charles Gounods „Faust“ wieder in den Spielplan aufgenommen. Es war ein Abend der Wiener Rollendebüts: von Faust bis Marthe war alles neu besetzt, auch Simone Young fügte ihrer umfangreichen Wiener Werkstatistik ein weiteres hinzu.

Simone Young sorgte schon im Vorspiel für einen dunklen, schwermütigen, Richtung Wagner schielenden Gounod, und ließ den ganzen Abend über „große Oper“ spielen, mit satten Streichern, mit hochromantisch symphonisch tönenden Aufwallungen (Kirchenszene), aber durchaus süffig in den tänzerischen Momenten. Aber hat Faust nicht eine „deutsche Seele“?

Solche nationalspezifischen Verortungen sind natürlich mit einer gewissen Vorsicht zu genießen – aber dem Faust des Abends, Jean-Francois Borras, kann schon ein deutlich französisch geprägter Tenorstil zugeschrieben werden: „schlank, hell, leicht, plastisch artikuliert“ wie es Jürgen Kesting im ersten Band seines Monumentalwerks „Die großen Sänger“* formuliert. Borras gestaltete den Faust sehr poetisch, auf den Gefühlsgehalt berechnet. Diese zarte, aquarellierende Nuancierung im lyrischen Vortrag zog er konsequent durch – auch beim stark „kopfstimmig“ gefärbten, dünnwandigen „hohen C“ in der berühmten Kavatine, was ihm seitens des Publikums nur einen spärlichen Szenenapplaus einbrachte.

Tenorales Kraftmeiern war Borras Sache nicht. Sein Faust lebte mit wallendem Haar (und darstellerisch zurückhaltend) wie ein Künstler seine Sensibilität aus – und nur in wenigen hochemotionalen, expressiven Momenten ließ er sein elegantes Organ im „Brustton der Überzeugung“ erschallen. Borras Tenor trug gut genug, damit seine Feinheiten auch auf der Galerie zu hören waren, und Simone Young ließ etwa in den Liebesszenen mit Marguerite solch feinfühliges „Poetisieren“ auch zu. Gerade in diesen Szenen (in der kurzen Begegnung des zweiten Aktes oder im dritten Akt) zeigte sich die Stärke von Borras Interpretation: Faust ist wirklich verliebt, er wird ganz Feingefühl, er glaubt wie Marguerite an ihre ewige, unzertrennbare Liebe – während Mephisto sich dabei ins Fäustchen lacht.

Unumstrittener Star des Abends war die Marguerite der Anita Hartig, die mit ihrem klaren, festen lyrischen Sopran den melancholischen Mädchenton des Thuleliedes ebenso nachzeichnete wie die unschuldige Erregung atemlos machender, erster Liebe – bis hin zum lustvoll-verzückten Aufschrei im Finale des dritten Aktes. Sie hielt dabei ihren Sopran ausgezeichnet auf Linie, nur bei wenigen expressiven Spitzentönen geriet ein bisschen zuviel Metall in die Stimme. Sie sang und spielte ohne Übertreibung, sie hatte die Rolle verinnerlicht, ihre ganze Bühnenpräsenz wirkte so konzentriert und frisch einstudiert wie an einem Premierenabend. Und mit dem Fortschreiten des traurigen Gretchen-Schicksals mischten sich Verzweiflung hinzu und im Schlussbild ein Heroismus, der Marguerite den Heiligenschein einer Jeanne d’Arc aufsetzte. Das faustische Raffinement von Borras traf hier auf eine einfache, natürliche Frauenseele – die in aller Naivität den Fallstricken von Schmuck und natürlichem Charme auf den Leim ging.

Der Teufel trieb in Form eines jungen Herrn sein Unwesen: Luca Pisaroni zeigte Satan in Gestalt eines eitlen Gecken, der nur selten seine Höllenkräfte ausspielte – etwa in der für Marguerite so bedrohlichen Kirchenszene. Pisaronis Bass hat sich in den letzten Jahren fein entwickelt, er überzeugt mit Eleganz, er kann Mephisto als weichgespülten Überredungskünstler profilieren, den Teufel fast seriös erscheinen lassen, wie einen selbstverliebten Geschäftsmann. Ein gewisser Zynismus ist nicht zu übersehen: Mephisto betreibt sein Höllenbusiness schon so lange, dass ihn eigentlich nichts mehr überraschen kann. Mit Dämonie oder sexueller Anzüglichkeit protzt dieser Mephisto nicht – und in der Tiefe von Pisaronis Bass vereinigt sich das Knattern der Höllenfeuer zu keiner bedrohlichen Sonorität. Das mag man vermisst haben.

Orhan Yildiz als Valentin ließ eine in der Mittellage angenehm timbrierte Baritonstimme hören, die sich wohl noch in Entwicklung befindet und in der Höhe etwas ausfärbt. Rachel Frenkel war ein solider Siebel, Rosie Aldrige eine der Rolle entsprechend nicht unkomische Marthe und Clemens Unterreiner steuerte den auf einem großen Fass sportiv balancierenden Wagner bei. Der Männerchor schmetterte den Soldatenchor mit Kämpferlaune.

Der Schlussapplaus dauerte sechs oder sieben Minuten lang, er feierte vor allem Hartig, auch für Pisaroni, Young und das Orchester gab es viel Beifall; Borras erhielt nicht so starken Applaus wie die genannten.

Laut Programmzettel handelte es sich um die 25. Aufführung dieser Produktion – laut dem online abfragbaren Staatsopernarchiv müsste es aber die 26. gewesen sein – eine Detail für Statistiker. Die Walpurgisnacht wurde nicht gespielt.

* vierbändige Ausgabe von 2008