FAUST
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Wiener Staatsoper
26.4.2011

Dirigent: Alain Altinoglu

Faust - Roberto Alagna
Méphistophélès - Erwin Schrott
Valentin - Adrian Eröd
Wagner - Adam Plachetka
Marguerite - Alexandra Reinprecht
Siébel - Sophie Marilley
Marthe -
Aura Twarowska


Méphistophélès hat Sex-Appeal
(Dominik Troger)

Auch die vierte und letzte Vorstellung der laufenden „Faust“-Serie an der Staatsoper wird man in guter Erinnerung behalten – und Erwin Schrott hat mit dem Méphistophélès eine Rolle gefunden, die ihm einfach „passt“.

Ein bisschen vulgär darf der Teufel schon sein. Schließlich muss er unter Menschen auf Seelenfang gehen. Und das macht ihm Spaß. Er führt diese Menschenseelen an der Nase herum wie ein gerissener Puppenspieler, der keine Skrupel hat, sein Spielzeug im nächsten Augenblick gegen eine Wand zu schmeißen. Vor allem aber straft er sie mit Verachtung. Erwin Schrotts Teufel kommt nicht aus der Geisterbahn. Seine Dämonie ist höchst lebendig und nährt sich aus der modernen Häme eines menschenverachtenden Zynismus, der sich unter den Gonoud'schen Kleinbürgern herumtreibt, um ihre Moralbegriffe zu unterminieren.

Im Übrigen stand ihm die schwarze Lederkluft ausgezeichnet und der nackte Oberkörper, frei bis unter den Bauchnabel, hatte Sex-Appeal. Schade, dass man die Walpurgisnachtszene gestrichen hat. (Wo ist die hinverschwunden?). Da hätte Schrott diese Seite teuflischer Lust noch weiter ausführen können. Wenn es züchtiger zugehen sollte, trug er ein provokant rotes Hemd. Und ein roter Fächer verschaffte ihm Kühlung, wenn er in Gegenwart eines geweihten Kreuzes leicht ins Schwitzen kam. Aber was wäre der Herr im Himmel ohne den Umtreiber Satan, der in Versuchung führt, um das Heil zu erwirken?

Bemerkenswert, wie Schrott seine großen Hände einsetzte, wie er mit ihnen ein Gegenstück zur klerikalen Gestik schuf – immer wieder die Arme ausgebreitet mit gespreizten Fingern, so als wollte er gleich dem Herrn die Welt umspannen oder den Gekreuzigten verhöhnen. Diese Choreographie gab seinem Méphistophélès charakterschärfende Exzentrik, schuf eine Pose des Bösen, ohne das Böse zu persiflieren oder zu übertreiben. Auch für Dämonen ist das romantische Zeitalter vorüber, sie halten es jetzt mehr mit der Reklame. Im 21. Jahrhundert muss sogar der Teufel seine Marke pflegen.

Schrotts Bassbariton erwies sich im französischen Fach als überraschend flexibel und hinterließ bei mir einen weit „authentischeren“ Eindruck als zuletzt sein Figaro-Graf. Seine Stimme klang satt und schien eine dunklere, rauere Sinnlichkeit anzusprechen, die mit dem Charakter eines Teufels bestens harmoniert. Das Timbre zeigte sich dunkel, aber nicht „schwarz“. Die Partie lag ihm gut, er konnte sie voll ausschöpfen. Wo es angebracht schien, verlieh er mit teuflischem Nachdruck seinen Wünschen Ausdruck, ohne dass er ans Limit kam. Böse und brutal setzte er etwa Marguerite im Dom zu und manchmal färbte er seinen Gesang und sein Lachen in den Tonfall gemeiner Schmähung. Das war, so finde ich, eine sehr durchdachte, aber auch eine sehr natürlich und modern wirkende Interpretation, die den zentralen Stellenwert, den die Rolle besitzt, deutlich zum Ausdruck brachte.

Der Faust ist da von vornherein im Nachteil, aber Roberto Alagna verleiht dieser Figur viel Jugendlichkeit. Er verzichtete nach der Verjüngung nicht darauf, sein Rad zu schlagen – wie schon in der Premiere. Sein Tenor klang manchmal schon ein bisschen trocken, gerade in der Höhe (und er hat das „c“) könnte man sich einiges aufblühender vorstellen. Aber Alagna weiß perfekt mit seinen Stimmmitteln hauszuhalten, er hat Ausstrahlung und zeichnet Faust glaubwürdig als einen verliebten Menschen, der gleichsam in den nächsten Tag hineinlebt – ehe sich im Finale dann doch noch so etwas wie eine menschliche Verantwortung in ihm regt. Im Vergleich zur „Faust“-Premiere vor zweieinhalb Jahren oder gar zur „Manon“ von 2007 wirkte er auf mich an diesem Abend viel selbstsicherer.

Alexandra Reinprecht zeichnete die Marguerite nicht als blasses, zartes Geschöpf. Sie legte viel Leidenschaft in die Rolle und bereits beim Anlegen des Schmuckes geriet sie in inbrünstige Wallung. Sie war darauf bedacht, ihre Stimme lyrisch zu führen und nur wenige forcierte Höhen brachten ihren Sopran etwas aus der Fasson. Die Liebeszene mit Alagna waren recht prickelnd (und das „Händchenhalten“ von Méphistophélès und Marthe war ein guter Kontrast dazu – wie ein zynischer Kommentar des Teufels zur dummen menschlichen Verliebtheit).

Adrian Eröds Stärke ist die effektvolle Verfluchung seiner Schwester - und Alexandra Reinprecht schien sich das so zu Herzen zu nehmen, dass man ganz „mitleidend“ wurde. Sophie Marilley sang einen netten Siebel und Adam Plachetka einen passenden Wagner – und Aura Twarowska eine humorvolle, von Méphistophélès entflammte Marthe.

Das Orchester unter Alain Altinoglu spielte sehr differenziert, die Sänger wurden nicht zugedeckt und Gounods Musik entfaltete sich natürlich und mit viel Leidenschaft. Sehr schön kamen immer wieder die Streicher zur Geltung, mal mit Walzerseligkeit, mal mit gefühlvoller Begleitung. Wenn es geboten war, wurde auch der Effekt bedient, etwa im mächtigen Soldatenchor, der seine Wirkung nicht verfehlte.

Dass Marguerite jetzt ein anderes Kostüm trägt und gleich mit weißem Kleide auftritt, scheint mir neu – wie diese Inszenierung überhaupt (wie kaum eine andere) schon kurz nach der Premiere deutlichen Veränderungen unterworfen war. Inzwischen hat man sogar die Walpurgisnacht abgeschafft, hoffentlich taucht sie noch einmal auf. Letzte Saison wurde sie doch noch gespielt?

Das Publikum spendete zehn Minuten lang Applaus, es gab einen Blumenwurf für Schrott und viele Bravorufe.