„Faust im Repertoire“
(Dominik Troger)
Das
wäre ein Inszenierung des „Faust“, würde sich die mephistophelische
Verjüngung des Herrn Doktor magischer Weise auch im anwesenden Publikum
manifestieren: Jeder Achtzigjährige verließe dann die Staatsoper als
schnittiger Jüngling – und das Haus am Ring wäre ob solcher
inszenatorischer Wundertat auf Jahre hinaus ausverkauft. Aber solche
Wunder sind nicht einmal einem „Theaterabenteurer“ wie Frank Castorf
gegönnt.
Doch
ein szenisches „Abenteuer“ ist dieser „Faust“ zweifelsohne,
angereichert mit Amüsement und viel Video. Castorf hat sich mit
gefinkelter Bühnenlogistik auf die Spur des von Geheimrat Goethe
geadelten Schwarzkünstlers gemacht, auf den Charles Gonoud seine
erfolgreiche Oper komponiert hat. Und das Bühnenbild von Aleksandar
Denic, dieses „Schnipsel“ eines im Banne des Algerienkrieges stehenden
Paris, das in seiner gedrängten Konstruktion städtische Vielfalt und
Verrottetheit auf die Bühne hievt, hat sich abseits des Castorfschen
„Regieanarchismus“ schon eine Würdigung verdient.
Natürlich geht dieses „Abenteuer“
nicht ohne „Kollateralschäden“ ab: Vor allem Marguerites mädchenhafte
Naivität kommt schwer unter die „Räder“ und sie mutiert zur
leichtlebigen Prostituierten, die eine elsternhafte Gier nach Schmuck
zu treiben scheint. Gegenüber dem Komponisten ist das zwar ziemlich
geschmacklos (und vor dem Hintergrund des gefeierten Kirchenmusikers
Gonoud geradezu sündhaft): Aber ließe sich ein Castorf dadurch aus der
Ruhe bringen? Er baut eben seine Bühnenwelt, „postdramatisiert“ sich
durch die deutsche Theaterlandschaft, und das Publikum muss froh sein,
wenn das Ergebnis solch egomanischer Um- und Überschreibungen so „zahm“
ausfällt, wie in diesem Fall.
Olga Kulchynska war die
Aufgabe anvertraut, die „gefallene“ Marguerite zu geben. Die Sängerin
hat in den letzten Jahren eine steile Karriere hingelegt, war diesen
Sommer auch bei den Salzburger Festspielen engagiert. In Wien hat sie
sich bereits 2019 als „Figaro“-Susanna vorgestellt, im Konzerthaus
unter der exzentrischen Stabführung von Teodor Currentzis. Im selben
Jahr erfolgte auch ihr Debüt an der New Yorker Metropolitan Opera, an
der Staatsoper hat sie 2022 als Micaela debütiert.
Kulchynska ließ einen leicht silbrigen lyrischen Sopran hören, der mit
perlenschimmernder Koketterie den Schmuck in der von Méphistophélès
listig hinterlegten Schatulle besang. Diese Passagen erklangen preziös.
Kulchynska harmonierte auch in ihrer erotischen Ausstrahlung sehr gut
mit dem Regiekonzept, das keine unschuldige Naivität sucht. Etwas
heikler gestalteten sich einige Spitzentöne, bei zu viel Krafteinsatz
verlor die Stimme ihren besonderen Reiz.
Treibende Kraft auf der Bühne war ohnehin Méphistophélès, für den auch
der Regisseur viel Sympathie gehegt haben dürfte. Der Satan agiert bei
Castorf als boshafter Strippenzieher, der mit schwarzer Magie und
Überredungskunst seine Opfer präpariert. Alex Esposito stellte
sich in dieser Aufführungsserie dem Wiener Publikum erstmals als
Méphistophélès vor, sehr agil und spielfreudig, mit kerniger Stimme,
wenn auch mit etwas flacher Tiefe versehen: ein
umtriebig-hinterhältiger Verkaufsagent des Bösen, kein Erzteufel, der
das Eingreifen göttlicher Mächte provozieren würde.
Zwischen Marguerite und Méphistophélès hat Faust keinen leichten Stand.
Sobald er sich verjüngt hat, muss er vier Akte lange von seinem
Liebhaberstatus zehren. Eigentlich ist er bei Gonoud mehr das Mittel
zum Zweck für die Erotisierung einer naiven Unschuld und in seiner
Unmoral zugleich Opfer teuflischer Versuchung.
John Osborn – wie
Esposito und Kulchynska in dieser Aufführungsserie mit Rollendebüt an
der Staatsoper – war kein Faust, der tenoralen Schmelz und
Verführereleganz versprüht hätte. Und damit fehlte ihm trotz
grundsätzlicher Höhensicherheit vielleicht schon das wichtigste
„Asset“, um mit dieser Partie das Publikum zu betören. Dabei hätte sein
Tenor einiges zu bieten, selbst feine lyrische Abstufungen sind ihm
nicht fremd, doch die Mittellage tönt zwar kräftig, aber spröd und mit
wenig „couleur“.
Das übrige Personal war solide und großteils bekannt. Stefan Astakhov
als Valentin oblag möglicherweise einer schlechten Tagesverfassung,
steigerte sich nach einem sehr unausgewogen vorgetragenen Gebet. Der
Soldatenchor klang laut und martialisch, aber er schleppt schließlich
die Köpfe niedergemetzelter Feinde auf die Bühne. Auch das Orchester
hielt sich nicht zurück, was den Vorteil hatte, dass die überflüssigen
literarischen Einwürfe, die Siebel auf Castorfs Geheiß dem Publikum
deklamatorisch nahezubringen hat, zum Teil übertönt wurden.
Frédéric Chaslin bevorzugte
einen mehr breiten, „romantischen“ Klang, auch mit ausreichend
Sentiment unterfüttert, wobei das Orchester erst langsam auf
„Betriebstemperatur“ kam. Das Publikum spendete rund sechs Minuten
langen, undifferenzierten Schlussapplaus. (Besucht wurde die dritte
Vorstellung der laufenden Serie.)