FAUST
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Staatsoper
25. Mai 2024

Musikalische Leitung: Bertrand de Billy

Faust - Piotr Beczala
Méphistophélès - Adam Palka
Valentin - Stefan Astakhov
Wagner - Jusung Gabriel Park
Marguerite - Nicole Car
Siébel - Patricia Nolz
Marthe -
Monika Bohinec



Dr. Faust in Paris“
(Dominik Troger)

Der alte Mann, der durch die Pariser Straßen stapft: Ist das nicht der Dr. Faust? Natürlich, Goethes alter Genosse. Frank Castorf hat ihn mit mephistophelischem Lächeln aus der Gosse geholt und auf die Staatsopernbühne gestellt – die löchrigen Schuhe inklusive. Aber will man das alles so genau wissen?

Viel wichtiger ist, dass Piotr Beczala als Titelfigur dieses Drehbühnen-Paris beehrt, das als Herzstück dieser Inszenierung die von Castorf nach Paris verlegten Schauplätze der Oper auf wenigen Quadratmetern vereint. Vor fünfzehn Jahren hat er seinen ersten Staatsopern-„Faust“ gesungen: mit sympathischen Esprit, das  „Salut, demeure chaste et pure“ mit einem wie selbstverständlich fein aus der Gesangslinie modellierten „hohen C als emotionalem Höhepunkt. Noch heute schwärmen die Habitués von jenem Debüt!

Eineinhalb Jahrzehnte sind im stimmverschleißenden Opernbetrieb eine kleine Ewigkeit, aber Beczala steht nach wie vor im Glanz seines tenoralen Könnens. Sein Faust präsentiert sich jetzt viriler als damals, der Charme des jungen Mannes hat sich in die Eleganz eines Herren gewandelt, den die Liebe zur unschuldigen Marguerite entflammt: ein nach wie vor lyrischer, aber im Vergleich zu früheren Auftritten stimmkräftigerer und auf etwas gesättigterer Mittellage beruhender Faust, den Charme mehr ins erotisch Drängende gewandelt, das besagte „hohe C“ etwas gleißender, metallischer, mit etwas mehr Kraft realisiert, die Kavatine mit einer Gewissheit krönend, die in der Hoffnung schon um die Erfüllung weiß. Beczalas Faust hat sich mit Lebenserfahrung angereichert, erfüllt den Bühnencharakter mit mehr Ausdruck als damals.

Mit Nicole Car war wieder die Premierenbesetzung angetreten und die Sängerin erfüllte überzeugend die ihr von der Regie zugedachte Aufgabe. Die Inszenierung schreibt Marguerite von Beginn an einen sehr zweifelhaften Lebenswandel zu, das naive, von Faust verführte Mädchen hat Castorf in der Figur nicht gesehen. Cars lyrischem Sopran ist diese Naivität aber auch nicht wirklich eigen: Die Verzweiflung des vierten und fünften Aktes steht ihrer festen, etwas kühl timbrierten Stimme besser an, als das von ersten Liebesschauern durchpulste, schmuckbegeisterte Gretchen. Dazu gesellten sich ein paar Spitzentöne, die Marguerite weniger gut behagten. Und in den Himmel „gerettet“ wird dieses Gretchen auch nicht, weil Gott Castorf über sie sein verdammendes Regieurteil gesprochen hat. Castorfs Marguerite ist ein gutes Beispiel für die bei Regisseuren beliebte Verzeichnung von Figuren, als einer seit vielen Jahren anhaltenden ärgerlichen Fehlentwicklung der Opernregie.

Langsam könnte das Staatsopernpublikum wieder einmal einem anderen Méphistophélès begegnen dürfen als Adam Palka, aber der ist seit der Premiere so gut auf diese Regie eingeschworen, dass man ihn als wichtiges Rädchen der Produktion auch wieder nicht missen möchte. Ein schmelzreicher Verführer ist er nicht, mehr ein Handlager des Bösen, ohne metaphysische Grundierung. Sein stimmliches Bedrohungspotenzial hält sich außerdem in Grenzen. Mit veristischer Einsatzfreudigkeit zelebrierte Stefan Astakhov wie von Castorf gewünscht den Tod des Valentin, das Avant de quitter ces lieux wurde etwas grob abgehandelt.

Patricia Nolz hat als Siebel ihren jugendfrischen Mezzo manchmal etwas zu stark forciert, aber das ist der Preis für „große Oper“ – und ein großes Zukunftsversprechen war es allemal. (Ist es Siebel, der auf Castorfsches Geheiß kurz das erotische Fernweh Beaudelaires zitiert, die poetische Einladung zu einer Wollust-Reise? Vor Castorf magert mein Mutterwitz.)  Monika Bohinec gab eine abgebrühte Marthe und Jusung Gabriel Park steuerte den Wagner bei. Der einprägsame Staatsopernchor walzte durch den zweiten Akt und die Choristen durften wieder mit den Köpfen der Besiegten Imperialisten-Fußball spielen.

Bei Bertrand de Billy liegt der „Faust“ in bewährten Händen. Er hielt das Ochester zu einem funkelnden, eher streicherschlanken Spiel an, bei dem die strahlenden Blechbläser immer wieder ihre repräsentativen Einwürfe machten. Gut auf die Höhepunkte zugespitzt ergab sich über weite Strecken ein die Handlung antreibender Verve, der sich ebenso gut mit Castorfs Drehbühnenregie verband, die in ihrer dokumentarischen „Überforderung“ inklusive der eingestreuten literarischen Texte (die dann die Musik stören), einer sehr aufmerksamen musikalischen Leitung bedarf.

Nach Faustens Kavatine gab es (für heutige Verhältnisse) langen Szenenapplaus, der Schlussbeifall brachte es auf eine Länge von sechs oder sieben Minuten. Beczala und de Billy samt Orchester wurde besonders stark applaudiert. Die beiden Kameramänner für Live-Video und Bildgestaltung wurden beim Schlussapplaus sogar mit einem Buhruf konfrontiert – aber da haben Live-Video-Kollegen bei Reprisen andernorts als Sündenböcke für eine als missliebig empfundene Regie schon größeres Missfallen ausbaden müssen. Berichtet wurde von der zweiten Vorstellung der laufenden Serie, weitere Aufführungen folgen noch am 29.5 und 2.6.