FAUST
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Wiener Staatsoper
11.10.2008
Premiere

Dirigent: Bertrand de Billy

Szenisches Konzept - Nicolas Joel
Inszeierung und Licht - Stéphane Roche
Ausstattung nach Entwürfen von Andreas Reinhardt - Kristina Siegel
Chorleitung - Thomas Lang

Faust - Roberto Alagna
Méphistophélès - Kwangchul Youn
Valentin - Adrian Eröd
Wagner - Alexandru Moisiuc
Marguerite - Angela Gheorghiu
Siébel - Michaela Selinger
Marthe -
Janina Baechle

Konzertant, aber mit Kostüm
(Dominik Troger)

Die erste Staatsopern-Premiere der Saison 2008/09 galt Charles Gounods „Faust“. Die Produktion stand im Vorfeld unter keinem guten Stern und hinterließ einen mäßigen Eindruck: der fehlende szenische Gestaltungswille wurde durch die musikalischen Leistungen nur teilweise kompensiert.

Regisseur Nicolas Joel war schwer erkrankt, Ausstatter Andreas Reinhardt gar verstorben. Das neue Inszenierungsteam – Stéphane Roche und Kristina Siegel – machte sich daran, das vorhandene Konzept umzusetzen. Doch das Ergebnis war ziemlich unbefriedigend: Der Abend wirkte über weite Strecken wie eine konzertante Aufführung in Kostümen und brachte eine Aneinanderreihung der bekannten Gounod’schen „Gassenhauer“. Zu einer psychologisch fundierten Detailarbeit hat es überhaupt nicht gereicht.

Verstärkend kam hinzu, dass weder Angela Gheorghiu noch Roberto Alagna eine detaillierte charakterliche Ausdifferenzierung ihrer Rollen erkennen ließen. Marguerite erinnerte mehr an „Carmen“ oder an eine „Erste-Akt-Traviata“. Dabei gab es keinen Zweifel daran, dass Angela Gheorghius Sopran überaus gepflegt erklang, in allen Lagen ebenmäßig und meisterhaft geführt. Doch dieses kokette Spiel mit schönen Tönen übertünchte den Charakter ihrer Rolle. Das Schicksal dieses armen Mädchens, verführt, geschwängert und gepeinigt, wurde durch eine wohlberechnete Dosis erotisierender Gebärden und durch eine auf glänzende Makellosigkeit hingetrimmte Gesangslinie vollständig vernebelt. Es wurden weder die Abgründe aufgerissen, die Marguerite im dritten Akt lauernd bedrohen, noch wurde dieser Prozess der Verführung greifbar, der die Unschuld ins Verderben reißt. Gounod hat diese Irritationen schon komponiert, immer wieder schleicht sich in Marguerites Gesang eine befremdliche Tiefe ein, sie findet einfach keine Ruhe mehr – und sie soll auch keine Ruhe mehr finden, ist doch der Teufel selbst am Werk. Bei Angela Gheorghiu wurden diese inneren Spannungen überdeckt. Sie wandelte mit einer offen zur Schau getragenen Begehrlichkeit über die Bühne. Bedurfte es hier noch besonderer Verführungskünste, um ans Ziel zu kommen?

Es verwundert nicht, dass der Verführer, der magie- und liebebesessene Faust, einem solch deutlich zur Schau getragenen weiblichen Selbstverständnis nichts entgegensetzen wollte. Faust ließ (!) sich verführen, könnte man überspitzt formulieren – und hätte Mephisto derart beinahe zum überflüssigen Handlager degradiert. Außerdem bewegte sich Roberto Alagna viel zu deutlich in den Grenzen, die ihm seine Stimme auferlegte – und diese Stimme klang nicht immer sehr frisch, vor allem in der unteren Mittellage. Die Höhen wurden stark forciert, aber erreicht. Immerhin zeigte sich Alagna sportlich: als verjüngter Faust schlug er sogar ein Rad auf der Bühne. Gesanglich ließ er sich zu solchen Eskapaden nicht hinreißen, hier war er ganz Ökonom, kluger Verwalter seiner Ressourcen.

Diese etwas nebulöse Rollenauffassung der beiden obgenannten fand im Mephisto von Kwangchul Youn einen festen Anker. Young glänzte nicht mit gesanglichem Raffinement, aber er verkörperte eine listige Bösartigkeit, die weder zu böse noch zu listig war. Er konnte darstellerisch und stimmlich genug Autorität aufbieten, um seiner Rolle gerecht zu werden – und das hat dem Abend dann doch noch dramatische Würze verliehen und den Arienabend „zur Oper“ gemacht. Dem Valentin von Adrian Eröd, eingesprungen für Boaz Daniel, schien das Gebet leichte Mühe zu bereiten, er überzeugte aber im vierten Akt durch eine intensiv gesungene und gespielte Fluch- und Sterbeszene. Angespannt kam der Siebel von Michaela Selinger über die Rampe. Janina Baechle sang eine köstliche Marthe, Alexandru Moisiuc steuerte den Wagner bei.

Bertrand de Billy leitete ein großartig aufspielendes Staatsopernorchester. Mag sein, dass seine etwas forsche und etwas unsentimentale Art nicht jedermann behagte (ein paar Buhrufe am Schluss lassen darauf schließen), aber insgesamt entwickelte er mit großer Anschaulichkeit die Klangvisionen Gounods: schon im hochromantisch aufgefächerten Vorspiel oder im dritten Akt mit frühimpressionistischem „Leuchten“ und preziös herausgearbeiteten Streichern oder die klanglich imposante, orgelklangdurchflutete Kirchenszene. Zu kräftig herausgestrichen waren möglicherweise die Chorszenen (mit einem bravourösen Chor!), der Walzer schon zu gewalttätig im Aufputschen der Volksstimmung und zu wenig erotisches Parfum dazwischengesprüht.

Über die Szene und ein mögliches Regiekonzept lässt sich aus besagten Gründen wenig berichten. Das Bühnenbild bestand aus ein paar großen transparenten Raumteilern, die mittig auf dem Drehelement der Bühne kreisten. Dazu kamen einige Requisiten wie Fässer, wie ein Garten mit Salat und Krautköpfen und Bohnenstangen, wie eine große Orgel in der Kirche und wie ein kleiner, enger Käfig als Gefängnis für Marguerite. Der erste Akt spielte quasi vor dem Vorhang, der alte, stockgestützte Faust ging auf und ab ... In der Walpurgisnacht zierten ein paar Galgen den Hintergrund, die mit Gehängten wackelten. Im Vordergrund drängten sich spärlich angezogene Männer und Frauen um Faust und Mephisto und versuchten sich in angedeuteten sexuellen Handlungen (oder so etwas ähnlichem). Es blieb jugendfrei und wirkte ziemlich unbedarft. Die Kostüme assoziierten vornehmlich das neunzehnte Jahrhundert. Ob es nicht besser gewesen wäre, in Anbetracht der Umstände auf eine szenische Umsetzung ganz zu verzichten? Aber nachher ist man immer klüger als zuvor ...

Die Publikumsreaktionen waren vor allem jubelnd. Ein paar Buhrufe gab es für de Billy und Alagna. Beim Regieteam verdünnte sich der Applaus deutlich, Buhrufe gab es keine.

Nicht gespielt wurden das Ballett und das 1. Bild des vierten Aktes. Laut Programmheft wurde dieses „auf Wunsch der Sängerin der Marguerite“ weggelassen, obwohl es einstudiert worden war. In den Reprisen soll das Bild gespielt werden – und in diesen Reprisen liegt wohl die eigentliche Chance dieser Produktion. Der Abend dauerte rund dreieinviertel Stunden.