ROMEO ET JULIETTE
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Wiener Staatsoper
25.5.2006

Dirigent: Bertrand de Billy

Juliette - Anna Netrebko
Stéphano - Michaela Selinger
Gertrude - Janina Baechle
Roméo - Rolando Villazón
Tybalt - Marian Talaba
Benvolio - Meng-Chieh Ho
Mercutio - Eijiro Kai
Paris - Hans Peter Kammerer
Grégorio - Clemens Unterreiner
Capulet - In Sung-Sim
Frére Laurent - Johannes Wiedecke
Le Duc - Janusz Monarcha

Happyend
(Dominik Troger)

Happyend bei „Romeo und Julia“? Unbedingt! Die fünfte Aufführung zeigte Anna Netrebko und Rolando Villazón von ihren besten Seiten. Das Publikum spendete nachher über 20 Minuten Applaus. Das herzliche Abschiedwinken des Opern-Paares wurde mit Plüschtieren belohnt: ein neckischer Pinguin für den Herrn, ein süßes Hündchen für die Dame.

Die Phänomenologie des Schlussapplauses war interessant und sagte über die Wirkung der beiden Bühnenstars vielleicht mehr aus als alle kulturkritischen Abhandlungen: rhythmisches Klatschen und sogar jenes mädchenhafte Gekreische vereinzelt daruntergestreut, das ansonsten Popidole in den siebenten Beifallhimmel trägt – und: Plüschtiere statt Blumen. Das hohe Kuschelbedürfnis der Jugend eines post-postmodernen Internetzeitalters kam darin ebenso zum Ausdruck wie es zweieinhalb Stunden lang auf der Bühne publikumswirksam ausgelebt worden war. Die herzliche Ausstrahlung von Anna und Rolando macht aus ihnen zwei Stars zum Anfassen – und sie lassen sich nach der Vorstellung beim „Bühnentürl“ auch durch all die Autogrammwünsche nicht aus der Ruhe bringen. Dort drängten sich so viele Menschen wie schon seit Jahren nicht mehr – und es ging sehr langsam voran. Gegen halb Zwölf trieben mich Regen und kalter Wind nach Hause, ohne Autogramm.

Rolando Villazon hatte in den Aufführungen zwei bis vier viel Selbstvertrauen getankt und ging diesmal voll aus sich heraus, lange gehaltene Höhen, emotionale Ausbrüche, zarte Liebesregungen. Ein Jugendlicher, vom Schicksal verführt zu einer trotzigen, aufbegehrlichen Wehmut, die in der Liebe zu Julia ihre Erfüllung findet. Sein sehr persönliches Timbre und seine technisch nicht so durchgestylte Stimme bieten Platz für Überraschungen und für Gefühlsnuancen jenseits der gesanglichen Perfektion. Dass das eher nachteilig wirkt, wenn die Bestform fehlt, hörte man bei der ersten Vorstellung dieser „Romeo und Julia“-Serie, dass das große Vorteile haben kann, hörte man an diesem Abend. Da mischte sich sein melancholisches Timbre wieder sehnsuchtsvoll mit seiner breiteren Mittellage zu dunkleren Farbschattierungen, wohl den Wesenskern dieses Sängers berührend: fast eine hoffmaneske Figur, schwankend zwischen clownesker Ironie und romantischer Selbstaufgabe.

Eigentlich ist Villazon ein trauriger Romeo – und Anna Netrebkos Julia ist die Aktivere in dieser Liebe. Netrebko setzt die Rolle mit Akribie um, bis in jedes Detail, bis in jedes Wimpernzucken. Dass dadurch manchmal ein Anflug von Künstlichkeit entsteht, möchte ich nicht leugnen. Aber die Professionalität dieses „Julia"-Designs erschöpft sich nicht im rein handwerklichen Vollzug. Ihre Stimme hat viel Anteil daran, erfüllt die Figur mit Eigenleben, vom lebenshungrigen Mädchen bis zur liebeerleidenden Verzweiflung. An diesem Abend wirkte Netrebko lockerer und nahezu mühelos, das merkte schon am Beginn beim „Écoutez! écoutez", das viel besser zur Geltung kam als in der ersten Vorstellung. Die Szene am Schluss des vierten Aktes ging wieder unter die Haut. Ich hatte sie von der ersten Aufführung anders in Erinnerung, hat die mir einen Streich gespielt? Netrebko wendet sich vom Publikum ab, hält das Fläschen an den Mund, stehend. Applaus bricht los. Dann wendet sie sich, sinkt langsam zu Boden.

Aber hat man als Zuschauer überhaupt noch Augen und Ohren für all die Dinge, die sonst auf der Bühne vor sich gehen? Sehr eingeschränkt, ungefähr dem Gesichtsfeld eines Opernguckers entsprechend. Deshalb sei nur erwähnt, dass trotz Beifallsorkan Bertrand de Billy ein, zwei Buhrufe serviert wurden, die man nur als sehr übertriebene Zurechtweisung für ein nicht immer ganz so akkurat spielendes Orchester verstehen konnte. Die restliche Besetzung war mit der ersten Aufführung ident und sorgte weder für besonders positive noch für besonders negative Überraschungen.

Die Inszenierung hat mit diesen beiden SängerInnenpersönlichkeiten endlich ihre MeisterInnen gefunden. Was hier bei den Kostümen und vor allem bei der Lichtregie an der Populärkultur fest gemacht worden ist, griffen sie hervorragend auf und verwandelten es in zeitnahe, mitreißende Oper. Am Schluss wurden Netrebko und Villazon noch vor den Eisernen geklatscht – schade, dass es vorbei ist.