ROMEO ET JULIETTE
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Wiener Staatsoper
10.5.2006

Dirigent: Bertrand de Billy

Juliette - Anna Netrebko
Stéphano - Michaela Selinger
Gertrude - Janina Baechle
Roméo - Rolando Villazón
Tybalt - Marian Talaba
Benvolio - Meng-Chieh Ho
Mercutio - Eijiro Kai
Paris - Hans Peter Kammerer
Grégorio - Clemens Unterreiner
Capulet - In Sung-Sim
Frére Laurent - Johannes Wiedecke
Le Duc - Janusz Monarcha

Dreamteam halbiert
(Dominik Troger)

Das Opern-„Dreamteam“ sorgte an der Staatsoper für ein volles Haus, aber die unerbittlich hohen Erwartungen des Publikums wurden nur zum Teil erfüllt.

Anna Netrebko ist ein junges modernes „Julia-Girl“, am Beginn in kurzer Jean und modischen Stiefeln: das Popsternchen aus gutem Hause, ganz so, wie es diese Inszenierung vorgibt. Doch Julias überdrehte Jugendlichkeit erfährt zuerst keine gesangliche Ausformung und die mit viel Krafteinsatz gehobenen Auftrittskoloraturen drücken zu stark auf die beschwingte Leichtigkeit des Bühnengehabes. Aber das ist zum Glück nur der Beginn.

Schon bald kommt Julia im weißen Kleidchen, schon strömt die mit Wollust unterfütterte, raumflutende Mittellage Netrebkos, schon spielt sie mit den weißen Stöckelschuhen und wirft diese modischen Fußaccessoires – NICHT – übermütig ins Publikum. Doch rasch und unbarmherzig wird dieses selbstverspielte, flotte Mädchengehabe von Amors Pfeilen durchlöchert, die sich schmerzvoll in die Seele bohren.

Freilich, so richtig an Gewicht gewinnt die Aufführung erst gegen Schluss: Als Julia nach langem Ringen das von Frére Laurent anempfohlene Scheintod-Tränkchen schlürft. Da erklimmt Netrebko eine Dimension tragischer Größe, die gegenüber dem bisherigen Verlauf des Abends fast ein wenig überrascht. Das zarte Julia-Wesen ist über sich selbst hinausgewachsen, es macht noch zwei, drei Schritte auf das Publikum zu... und wieder zurück, zwingt es in hypnotischen Bann. Aber sehr rasch tut der Trank seine Wirkung, sie bricht zusammen, die im Zuschauerraum aufgestaute Spannung entlädt sich in reichlichen Bravo-Rufen.

In dieser Szene werden Netrebkos große Stärken offenbar, trotz einer Stimme, die in der Höhe gar nicht so vor Selbstsicherheit strotzt. Mit einer Mischung aus professionellem Kalkül, intuitiver Spontanität und Risikobereitschaft sowie körperlichem Einsatz bringt sie sich selbst und das Publikum in Fahrt: sie wird zu einer unwiderstehlichen, energiegeladenen „Verführerin“, mit der sich im magischen Bühnenmoment die emotionalen Wünsche und Sehnsüchte der Zuschauer vereinigen.

Roberto Villazón ist ein Romeo mit südländischem Flair, hitzig nach außen und doch so romantisch in seinem Inneren. Man spürt, wie ihn diese Liebe verändert, wie sie ihn weich macht und verklärt. In der Interaktion mit Netrebko ist kein Kuss vergebens. Doch leider war Romeo stimmlich nicht in Bestform, sein Wiener Rollendebüt im Vorjahr insgesamt viel begeisternder gewesen. Die Stimme klang müde und nicht sehr forcierfähig. In den Duetten war viel zu oft viel zu wenig von ihr zu hören. Gegen Ende ging es wohl nur mehr ums Durchhalten. Die Darstellung hatte nicht die Frische und Unbekümmertheit, die eigentlich sein Markenzeichen ist. Vor kurzem hat er in Berlin den Nemorino abgesagt. Möglicherweise war er gesundheitlich etwas angeschlagen, wollte aber durch eine An- oder Absage seine Wiener Fans nicht enttäuschen.

Betrand de Billy und das Orchester erfüllten weitestgehend den hohen Anspruch des Abends und brachten Gounods Musik mit viel Gefühl zum Klingen. Die übrige Besetzung stand naturgemäß im Schatten der Hauptdarsteller: Michaela Selinger sang eine hübschen Stephano, dem Frére Laurent (Johannes Wiedecke) mangelte es etwas an Format, Marian Talaba gab einen ordentlichen Tybalt, Eijiro Kai einen (zu) rauhen Mercutio. Insgesamt hätte sich die Aufführung eine „liebvollere“ Besetzung der Nebenrollen verdient.

Netrebko ließ beim Schlussvorhang Villazón nicht allein, und Romeo verschaffte Julia einen Solovorhang, in dem er schnell ihre Hand losließ und von der Bühne schlüpfte. Aber Netrebko ließ das nicht gelten. Das Publikum war sehr entzückt und spendete insgesamt viel Beifall.