„Ein Star im Repertoire“
(Dominik
Troger)
Shakespeare
ist immer „modern“, aber nach dem „Hamlet“-Amoklauf im Theater an der
Wien war dieser Staatsopern-„Roméo“ eine richtige Erholung. Es braucht
nicht einen Hektoliter Theaterblut, um gute Oper zu machen. Die Musik
ist viel wichtiger.
Die
„Roméo et Juliette“-Produktion der Staatsoper hat jetzt bald ein
Vierteljahrhundert „auf dem Buckel“ – und mit ihr hat Gounods Oper nach
Jahrzehnten der Abwesenheit wieder ihren Weg ins Staatsopern-Repertoire
zurückgefunden. Die Inszenierung kennzeichnet dank der Lichtregie von
Patrick Woodroffe eine „zeitlose Moderne“, die auch mit ein bisschen
Kitsch nachhilft, wo es zur Handlung und Musik passt. Mehr als 60
Aufführungen in dieser Inszenierung sind es inzwischen schon geworden.
Aber vor allem ist jetzt endlich Benjamin Bernheim
auch im französischen Fach an der Wiener Staatsoper zu erleben. Sein
Romeo war in den ersten Akten von einer fast „konzertant“ zu nennenden
Zurückhaltung geprägt, mit austariertem Vortrag gesangliche Eleganz
verströmend. Auf dem Fest war die Liebe noch mehr Tändelei, dann
bewies er, dass er mit seinem Tenor auch „träumen“ kann, ihn
zurücknehmend, mit angenehmer dezent kräuselnder Fülle unterlegt, ein
ganz sich an die Liebe schmiegendes, elegisches Selbst- und
Weltverlieren: „Va! Repose en paix! Sommeille! ...“ (Das Orchester hätte ihn dabei allerdings etwas dezenter begleiten können, aber das ist wieder ein anderer Punkt.)
Erst nach der Hochzeit und gedrängt vom Verbannungsurteil tauchte
dieser Roméo in den Ernst unvorhergesehener Herausforderungen und
Leidenschaftlichkeit. Dabei blieb Bernheims Gesang ausgewogen und von
einer Elastizität geprägt, die ihr ein fugenloses Manövrieren durch
Gonouds musikalische Vorgaben ermöglichte. Dazu gesellten sich
ausreichende dynamischen Reserven, die er aber nur selten ausgereizt
hat. Ausdrucksstark geriet dann das Finale, kunstvoll zum Höhepunkt der
Aufführung „getimt“, als Zielpunkt sängerischer „Logistik“ anvisiert
und erreicht.
Aida Garifullina hat
zuletzt 2017 die Julia in Wien gesungen. Sie bot an diesem Abend keine
Julia blumig-lyrischer Verzückung, denn die Stimme ist seit ihrem
Wiener Rollendebüt metallischer geworden und hat eine Tendenz
angenommen, in Julias naiven Liebesträumen schon den Ernst des Lebens
zu entdecken. Für die gesangliche „Goldschmiedearbeit“ des „Écoutez! Écoutez!“
mit seinen Spitzentönen und dem Verzierungswerk fehlte es an der
Feinmechanik – aber es ist auch ein bisschen unfair von Gonoud, Julia
im ersten Akt gleich mit einem solchen „Kunststück“ in die Handlung
einzuführen. Garifullina hat den Bühnenweg Julias darstellerisch von
scheuer Liebe bis zur bedingungslosen liebevollen Hingabe an
Roméo gut gespannt, ausdruckstark in den Momenten existentieller Krise
wie im vierten und fünften Akt. Im Finale haben sie und Bernheim dann
beide das Publikum mit einem zu Herzen gehenden „Pas de deux“ der
Gefühle beeindruckt.
Beim übrigen Bühnenpersonal gab es wie meist Licht und Schatten: Peter Kellner
hat den Frère Laurent sehr sympathisch und stimmig gezeichnet (eine
weichere, seelsorgerische Stimme wäre mir für die Rolle allerdings
passender erschienen). Patricia Nolz
hat als Stephano wieder ihre Fahrradfahr- und Gesangeskünste gut
kombiniert. Tybalt und Mecutio haben sich vor allem als Messerkämpfer
profiliert – und Wolfgang Bankl konnte als gesanglich schon etwas rohköstiger Capulet seine „Graf Waldnersche-Abstammung“ nicht verleugnen.
Am Pult wollte Marc Leroy-Calatayud
im ersten Akt mit Schwung beim Fest der Capulets „mittanzen“,
der Chor ging es aber gemütlicher an – es dauerte, bis man sich
„gefunden“ hatte. Der musikalische Esprit aus dem Orchestergraben
versiegte allerdings im Laufe des Abends zunehmend. Es lag vor allem
an Roméo und Julia, das Publikum „abzuholen“. Das Liebespaar
durfte dann auch beim Schlussapplaus mit viel Beifall und Bravo „abräumen“,
die Applauslänge lag bei rund zehn Minuten.