TELEMACO
|
Home |
Theater
an der Wien
|
Ulisse - Rainer
Trost |
„Gelungene Neuentdeckung“ (Dominik Troger) Das Theater an der Wien hat sich mit „Telemaco“ an eine Rarität von Christoph Willibald Gluck gewagt – und gewonnen. Das Werk, einst für die Hochzeit des späteren Joseph II mit Maria Josepha von Bayern komponiert, wurde erst vor wenigen Jahren einem mehrhundertjährigem Dornröschenschlaf entrissen. Die Uraufführung im Jahre 1765 war kein Erfolg. Die Nachrede, die das Werk im Rahmen der Gluck-Forschung erlangt hat, war auch nicht die beste. Hector Berlioz hat für den „Telemaco“ geschwärmt, aber das hat der Oper nicht viel genützt. Aus heutiger Sicht erweist sich das Stück als Zwitter aus Glucks Reformbestrebungen und Elementen der „alten“ Opera seria. Ein Verwandtschaft mit Mozarts „Idomeneo“ ist ebenso unverkennbar und vielleicht der spannendste Aspekt – das betrifft sowohl kompositorische Elemente als auch inhaltliche. Die Figur der Circe beispielsweise kann man in ihrer musikalischen Expressivität mit der Elettra vergleichen und es gibt eine ausgeprägte Vaterthematik. Schließlich befindet sich Telemach auf der Suche nach seinem Vater Odysseus – und findet ihn von Circes festliebenden Armen gefesselt vor. Circe treibt ein böses Spiel, gibt Odysseus frei, bereut es, kann die Flucht des griechischen Helden samt seinen Mannen aber nicht mehr verhindern – und so nebenbei findet auch Merione seine Schwester Antiope. Der dramaturgische Aufbau des Stücks ist nicht gerade zwingend. Nach dem ersten Akt vermeint man, die Oper wäre schon vorbei. Hat Circe nicht eingewilligt, dass die Griechen die Insel verlassen dürfen? Doch im zweiten Akt hat es sich die Zauberin plötzlich anders überlegt, und die Handlung geht nahezu von vorne los. Immerhin hat Telemaco seinen Vater schon im ersten Akt gefunden, jetzt wird Merione seine Schwester finden. Vielleicht hat diese thematische Wiederholung das Produktionsteam zur Idee verholfen, die Szene mit einem riesigen Spiegel, der über der Bühne schwebte, zu „verdoppeln“. Dass Regisseur Torsten Fischer ein gutes Händchen für den Gluck’schen Klassizismus hat, war bekannt. Zuletzt hat er am Theater an der Wien des Ritters „Iphigenie en Tauride“ erfolgreich inszeniert. Fischer formte für diese aktuelle Produktion Bilder von klassizistischer Strenge, mit zeremoniellen Bewegungen, mit einem „Affekt-Design“, das der augenfälligen Gruppierung von teuren Markenlabels hinter Schaufensterscheiben zu vergleichen war (auch wenn man, boshaft formuliert, dort wie da nur schwarze T-Shirts zu sehen bekommt). Fischer hat sozusagen den „repräsentativen Charakter“ des „deutschen Regietheaters“ entdeckt – und das funktioniert bei Gluck überraschend gut. Seine Personenführung bewahrte auch in der tiefsten Gefühlsaufwallung eine innere Haltung, die sich keine Arabesken zeitgenössischer Verharmlosung anklebt, sondern hinter dieser antiken Fabel noch die abstrakte Strenge eines längst vergangenen Zeitalters erahnt. Das Publikum im Theater an der Wien war jedenfalls so angetan davon, dass es keine (für mich) wahrnehmbaren Missfallensäußerungen gab. Die Ausstatter ließen eine riesige hellgetönte Scheibe auf der Drehbühne langsam rotieren, sich heben und senken, von einem blutrot gestrichenem Gerüst getragen, das auf die Schrecken von Circes Insel verwies. Der halbrund ausgekleidete Hintergrund symbolisierte wohl den Blick von der Insel in die und über die blauen Meeresfluten hinweg, hob sich erst am Schluss zur neuen Freiheit für die Geflohenen. Der riesige Spiegel schließlich, so groß wie diese Scheibe, spiegelte jede Bühnenregung auf seinem kühlen, klaren Anlitz. Hin und wieder wurde eine Trennwand bemüht, so ein Torso von Architektur, natürlich mit klassizistischem Anhauch, die dank leichter Transparenz sogar optische „Schattenspiele“ zuließ. Durch den strengen Gegensatz von schwarzen und weißen Kostümen wurden die hier aufgezählten Elemente zusätzlich betont und „gestylt“. Die musikalische Seite dieser Produktion bot durchgehend hohes Niveau – wiewohl der eine oder anderen Einwand sich nicht vermeiden lässt. Alexandrina Pendatchanska war mit ihrem leicht angedunkelten, expressiven Sopran als böse Zauberin am richtigen Ort, aber ihre etwas raubeinigen Koloraturen waren schwer zu überhören. Valentina Farcas gab als liebende Nymphe Asteria eine gute Vorstellung von der milden Reinheit solcher Bühnengeschöpfe. Bejun Metha fand ich in Ausdruck und sängerischer Anteilnahme bei der Rolle des Vatersuchers Telemach besonders gut aufgehoben. Anett Fritsch ließ in der Hosenrolle des Merione einen „mezzobreiten“, klaren und festen Sopran hören, mit nicht unerheblicher Leuchtkraft – die gesanglich vielleicht beeindruckendste Leistung des Abends. Rainer Trost lieh dem Ulisse seinen etwas einfärbigen Tenor, der aber die Selbstdisziplin und Leidenschaft eines erfolgreichen Kriegers gut charakterisierte. Anna Franziska Srna durfte in der Sprechrolle der Penelope ein paar Sätze auf Deutsch (!) einflechten. Die Akademie der alten Musik Berlin unter René Jacobs war dem Werk ein guter Fürsprecher. Der Schlussapplaus dauerte knapp über zehn Minuten – und er beschränkte sich bis zum Schluss nicht auf wenige, laute Grüppchen (was im Theater an der Wien auch vorkommt), sondern wurde recht breitflächig vom Publikum getragen. Fazit: Eine gelungene Produktion, die den Raritätenstatus des Werkes aber nicht ganz „gerade biegen“ kann. Durch den eigenwillig gedoppelten Handlungsaufbau geriet der zweite Akt trotz einiger mitreißender Szenen etwas lang. |