ORPHÉE ET EURYDICE
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Kammeroper
Premiere

2. Oktober 2021

Dirigent: Raphael Schluesselberg

Inszenierung: Philipp M. Krenn
Bühne und Kostüme: Christian Andrè Tabakoff
Licht: Franz Tscheck

Arnold Schönberg Chor

Orphée - Sofia Vinnik
Eurydice - Ekaterina Protsenko
L'Amour - Miriam Kutrowatz


„Eine bittersüße Liebesgeschichte
(Dominik Troger)

Gut Ding braucht Weile. In der Kammeroper wurde die für Mai 2020 geplante und wegen COVID verschobene Neuproduktion von Glucks „Orphée et Eurydice“ jetzt nachgeholt. Erzählt wird eine moderne, bittersüße „Love Story“ zwischen zwei Frauen.

Mezzo liebt Sopran. Sopran liebt Mezzo. Zur Ouvertüre läuft ein Video aus glücklichen Tagen: eine Flasche Bier weist die beiden als ganz „normale“ Sterbliche aus; eine Spraydose, Selfies und buntes Graffitti; ein zarter Kuss; Orphée mit roter E-Gitarre; beiden kurven auf dem Mofa durch die Stadt; sie pflanzen ein Bäumchen im Auwald zur Befestigung ihres Liebesbundes. Glucks etwas ruppig gespielte Klänge mit ihrer zwischen Festlichkeit und düsterer Vorahnung schwankenden Musik schienen zu dieser hoffnungsfrohen cineastische Einleitung allerdings nicht wirklich zu passen.

Mit der ersten Szene ändert sich der Eindruck. In einem Krankenzimmer versammeln sich um Eurydice Eltern, Freunde, Krankenhauspersonal (beigesteuert vom Arnold Schönberg Chor) sowie eine verzweifelte Orphée. Zwischen die Liebe der beiden Frauen (Orpheus ist hier nicht als Hosenrolle aufgefasst) drängt sich der grausame Schatten des Todes. Die Szene scheint gleichsam zu erstarren, die klagende Musik gefriert zu einem Bild des Abschieds in kühlem Krankenhausambiente. Orphée möchte in ihrem Schmerz alleine sein. Selbstmordgedanken tauchen auf. Plötzlich klettert L‘Amour im Hintergrund durch die weiße Wand. L‘Amour sprüht voller erotischer Koketterie, die Stimmung schlägt um, die Handlung nimmt an Fahrt auf und die Unterwelt nimmt von diesem Zimmer Besitz.

Die Eltern, die Freunde – sie brechen als schwarzgekleidete Furien durch die Wand, zerlegen sie in ihre Einzelteile, formieren sich zu einem furiosen „Tanz“. Wurzeln wachsen von oben und von der Seite in das Zimmer. Die Furien werden von Orphée besänftigt und Eurydice erwacht. Ist das Ganze ein Abtraum, eine Vision? Im Duett schützt sich Orphée lange mit einem Spiegel vor Eurydices Blicken, das ist geschickt gelöst. Aber natürlich kann sie dem Begehren der Geliebten nicht widerstehen – und diese stirbt. Die Bühne verwandelt sich wieder ins Krankenzimmer, L‘Amour zieht weiße Planen herunter, um die zerstörten Wände des Zimmers neu zu errichten. Eurydice ist tot. Ein Video zeigt die einsame Orphée, sie gräbt das Bäumchen im Auwald aus. Schmerz und Hoffnung verschränken sich und setzen den Schlusspunkt unter diese moderne, zarte, bittersüße Liebesgeschichte zwischen Mezzo und Sopran, zwischen Sopran und Mezzo.

Regisseur Philipp M. Krenn und Dirigent Raphael Schluesselberg haben für die Produktion in der Kammeroper eine französisch-italienische Mischfassung erstellt. (Gluck hat das Werk 1762 in italienischer Sprache in Wien zur Uraufführung gebracht und 1774 eine französische Fassung für Paris entworfen.) Am Beginn im Krankenzimmer spricht man also französisch, in der „Unterwelt“ italienisch. Damit soll die Welt der Lebenden von der Welt der Toten deutlich abgegrenzt werden. Was aus der Handlung auf der Bühne nicht deutlich hervorgeht, ist die von der Regie konzipierte Vorgeschichte von Eurydices Tod: Eurydice ist tödlich erkrankt, sie entschließt sich, in einem Hospiz Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. (Ein wenig erinnert diese Konzeption an die „Orfeo“-Produktion der Wiener Festwochen aus dem Jahr 2014, als Romeo Castellucci Euridike mit dem Schicksal einer Wachkoma-Patientin verknüpft hat – die Inszenierung in der Kammeroper ist allerdings weit weniger radikal.)

Das Bach Consort Wien unter Raphael Schluesselberg spielte „historisch informiert“. Nach der harschen Ouvertüre und dem „Lamentieren“ im Krankenzimmer kam mit dem Auftritt der „Liebe“ viel Schwung in den Abend, die Furien wurden griffig bei ihrem Tanz begleitet und die Aufführung rundete sich zu einem leicht kitschigen, naiven Abschiednehmen, das man genausogut in einer Netflix-Serie mit Erfolg hätte vermarkten können. Die drei Hauptdarstellerinnen waren auch für Großaufnahmen „telegen“ und vermittelten jene jugendliche Unbekümmertheit, die dem Konzept erst die eigentliche Rechtfertigung verlieh. Sofia Vinnik steuerte mit frischem, beweglichem Mezzo die Orphée bei, Miriam Kutrowatz gab mit hellem, lyrischem Sopran und viel Ausstrahlung einen erotisch-koketten „L’Amour“, und Ekaterina Protsenko sang eine zärtliche, dann immer drängendere unter Liebesentzug leidende Eurydice. Der Arnold Schönberg Chor bewies einmal mehr seine gesanglichen und darstellerischen Qualitäten.

Das Publikum war von der Aufführung angetan und es gab viel Beifall. Die pausenlose Vorstellung begann nach 19.00h mit über zehn Minuten Verspätung und war schon um 20.30h wieder zu Ende. Die Kartenkontrolle findet wegen der „COVID-Regularien“ gleich beim Eingang vor den Garderoben statt, was zu einer längeren Schlange an Wartenden führte, die eine Viertelstunde vor Beginn zurück bis zum Fleischmarkt reichte.