IPHIGENIE EN AULIDE
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Theater an der Wien
Premiere

8.11.2012


Musikalische Leitung: Alessandro De Marchi
Inszenierung: Torsten Fischer
Ausstattung: Vasilis Triantafillopoulos, Herbert Schäfer
Videodesign: David Haneke

Orchester: Wiener Symphoniker
Chor Arnold Schoenberg Chor (Ltg. Erwin Ortner)

Iphigénie - Myrtò Papatanasiu
Agamemnon - Bo Skovhus
Clytemnestre - Michelle Breedt
Achille - Paul Groves
Calchas - Pavel Kudinov
Patrocle - Zoltan Nagy
Arcas - Edward Grint
Premiére grecque - Viktorija Bakan
Deuxiéme grecque - Natalia Kawalek-Plewniak
Schauspielerin - Anna Franziska Srna



„Gluck unterm Räderwerk der Propaganda-Maschine

(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien hat seinen Gluck-Zyklus fortgesetzt. Die Premiere von „Iphigenie en Aulide“ hinterließ einen recht durchwachsenen Eindruck.

Vor zwei Jahren hat das Theater an der Wien mit „Iphigenie en Tauride“ einen schönen Erfolg eingefahren – jetzt wurde die „Vorgeschichte“ nachgeliefert. Mit der Regie war wieder Torsten Fischer beauftragt, der bei „Iphigenie en Tauride“ recht griffig und mit tiefepsychologischem Gespür im Atridenmythos gewühlt hat. Diesmal setzte er auf allzuviel „Agitprop“ und erfand die Rahmenhandlung praktisch neu, um den Stoff seiner „Götterbezogenheit“ zu entkleiden und in die Gegenwart zu versetzen.

Schon zur Ouvertüre bekam man „holzhammermäßig“ serviert, worum es geht: „KRIEG“ stand da auf einem großen Screen geschrieben, über den wenig später minutenlang riesige schwarz-weiße Porträtaufnahmen von KämpferInnen flimmern sollten, die mit Sturmgewehr vor der Brust (Männer entblößt, Frauen Trikot) trotzig mutig oder leicht verschüchtert ihre Wehrfähigkeit demonstrierten.

Die Handlung wurde säkularisiert und zur konsequent durchgezogenen Antikriegs-Propaganda umgemünzt. Die Geschichte von Diana, die im Mythos wegen einer von Agamemnon frevelhaft erlegten Hirschkuh die Opferung von Iphigenie fordert, zu einer Art Intrige umgedeutet: Während der Ouvertüre sieht man, wie ein Mann erschossen wird. Eine Frau (die ich jetzt einfach mal Diana nennen möchte) beweint den Toten, Agamemnon steht ungerührt daneben. Es liegt nahe, dass Diana nun die Ermordung Iphigenies über den Priester Calchas betreibt. Zwischen Calchas und Agamemnon spielt sich ein Machtkampf ab, bei dem Agamemnon unterliegt. Im Finale verhindert Diana die Opferung Iphigenies und sie lässt sich selbst von Agamemnon töten. Schon zuvor ist Diana (bis auf zwei Worte im Finale eine stumme Rolle) öfters bedeutungsvoll auf der Bühne erschienen, um ihre „hintergründige Gegenwart“ zu demonstrieren.

Die Ausstattung der eifrig rundenden Drehbühne bestand aus teils verglasten Betonwänden. Das angedeutete Interieur einer Erdölraffinerie machte deutlich, dass hier Krieg um Ressourcen geführt wird. In einem Glasschrein lag eine auf Sandsäcken aufgebahrte Gasflasche: Der Heilige Gral des Industriezeitalters?!

Nun spricht nichts dagegen, den Trojanischen Krieg in ein modernes Gewand zu kleiden, und es gibt auch noch heute Gesellschaften, die auf bizarre Weise archaische religiöse Vorstellungen mit modernsten Waffen verteidigen. Aber wenn man über die Kostüme andeutet, dass die Geschichte von „Iphigenie en Aulide“ in einer „abendländischen Kultur“ spielt, dann bekommt man doch ein erhebliches Glaubwürdigkeitsproblem. Und „Iphigenie en Aulide“ als plakative Anti-Kriegspropaganda zu benützen, dünnt die im Libretto angelegten Handlungsmotivationen zu stark aus. Das war offenbar nicht nur mein Eindruck, denn das Regieteam sah sich beim Schlussvorhang einer deutlich artikulierten Ablehnung von Teilen des Publikums gegenüber.

Es soll aber auch angemerkt werden, dass einige Details recht gut gelangen. Am besten wahrscheinlich die Zeichnung des im Rollstuhl auffahrenden Oberpriesters. Agamemnon kippte Calchas dabei sogar aus seinem Stuhl, der robbte über den Boden, nützte seine augenscheinliche Verletzlichkeit als Druckmittel gegenüber dem Heerführer. Das war gut gelöst. Aber solche Momente blieben rar. Im Finale zeigte der Chor noch einmal drastisch, was Krieg bedeutet. Ein Soldat nach dem anderen stürzte wie tot zu Boden, Agamemnon als Anführer eines Leichenfeldes.

Natürlich muss angemerkt werden, dass Gluck sich selbst über das Finale nicht ganz klar war und dass zumindest zwei Fassungen existieren: einmal mit und einmal ohne sichtbaren Eingriff Dianas zur Verhinderung des Opfers. Und diesen plötzlichen Umschlag der Handlung plausibel darzustellen, ist eine große Herausforderung. Auch die Stoffgeschichte quer durch zweitausend Jahre hält für die Auflösung des Konfliktes unterschiedliche Antworten bereit – vom Opfertod bis zur Rettung Iphigenies (und weiteren Versuchen, den Schluss zu „verbessern“).

Die musikalische Wiedergabe (Ballette gestrichen) war schon ein wenig „protoveristisch“ – zumindest hat der Dirigent der Aufführung Alessandro de Marchi in einem Interview mit der Publikumszeitschrift des Theaters an der Wien diesen Ausdruck geprägt. Von französischem Opernstil war nichts zu bemerken – warum spielt man dann aber die französische Fassung? Gluck hat sich zwar gegen die französische Operntradition positioniert, aber er hat sich zugleich sehr viel von ihr abgeschaut. Die Wiener Symphoniker hätten jedenfalls „luzider“ klingen können – und akustisch weniger deckend, mit viel mehr Feingefühl.

Feingefühl war überhaupt ein Fremdwort an diesem Abend. Die Iphigenie der Myrtò Papatanasiu konnte stimmlich nicht recht einlösen, was sie optisch versprach. Ihr Sopran schien immer leicht unter Spannung zu stehen, klang im Timbre zu schmal und vermochte es nicht, sich zu einem blühenden lyrischen Ausdruck aufzuschwingen. Dadurch strahlte ihr Gesang zu viel an Härte und Expressivität aus, klang nicht immer ganz sauber und verhinderte einen lockeren, natürlichen musikalischen Ausdruck.

Bo Skovhus war als Agamemnon eine stattliche Bühnenerscheinung mit militärisch rasierter Glatze. Gesanglich vermittelte er nicht immer den Eindruck, mit dem griechischen Heerführer „seine“ Partie gefunden zu haben. Die Stimme klang nicht ganz frisch, in der Tiefe schon ermattet. Die Regie hatte ihm ein „verhetzt“ wirkendes Gemüt verordnet, das nicht dabei half, die Tiefe von Agamemnons Charakter auszuloten. Michelle Breedt war als Clytemnestre von ihrer Bühnenausstrahlung her eine tragende Säule des Abends – bei auch schon etwas „abblätterndem“ Sopran. Pavel Kudinov zeigte als Calchas bühnenwirksame Autorität. Paul Groves sorgte als Achille für manch gequält klingenden Spitzenton und zu unkultivierten Gesang. Vielleicht war er indisponiert? Von verlässlicher gesanglicher und schauspielerischer Qualität war der Arnold Schönberg Chor.

Die Buhrufe für die Regie waren beim Schlussvorhang dann doch recht heftig, der Applaus für die übrigen Mitwirkenden stark, nur bei Groves brach der Applaus hörbar ein. Fazit: In dieser Form eine entbehrliche Produktion.