IPHIGENIE EN AULIDE ET TAURIDE
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Theater an der Wien
Premiere
16.10.2014

Musikalische Leitung: Leo Hussain


Inszenierung und Licht: Torsten Fischer
Ausstattung: Vasilis Triantafillopoulos
Ausstattung & Dramaturgie: Herbert Schäfer


Orchester: Wiener Symphoniker
Chor Arnold Schoenberg Chor (Ltg. Erwin Ortner)

Diane | Iphigénie - Véronique Gens
Iphigénie | Diane - Lenneke Ruiten
Agamemnon | Thoas - Christoph Pohl
Clytemnestre - Michelle Breedt
Oreste - Stéphane Degout
Pylade - Rainer Trost
Achille - Maxim Mironov
Calchas | Scythe | Le ministre - Andreas Jankowitsch
Première Prêtresse | Femme grecque - Çigdem Soyarslan
Deuxième Pretresse - Johanna Krokovay
Oreste & Pylade als Kinder - Angelo Margiol, Samuel Jung



„Nimm zwei, zahl eins
(Dominik Troger)

Im Theater an der Wien hat Regisseur Torsten Fischer seine beiden Iphigénie-Inszenierungen zu einem Abend zusammengespannt – Gluck im „Nimm zwei, zahl eins“-Paket, wobei es wahrscheinlich genügt hätte, die „Iphigénie en Tauride“ wieder aufzunehmen.

„Iphigénie en Tauride“ wurde am Theater an der Wien 2010 in einer Neuproduktion gezeigt, die Vorgeschichte in Aulis folgte zwei Jahre später. „Iphigénie en Tauride“ war die überzeugendere Produktion der beiden Gluck-Opern. Ein Eindruck, der sich bei der aus beiden Inszenierungen geschmiedeten Gluck’schen Doppelpackung – in der viel mehr „Tauris“ drinnen war, als Aulis – bestätigte.

Torsten Fischer hat mit richtigem Gespür die plakative Anti-Kriegspropaganda, die er zu „Iphigénie en Aulide“ entwickelt hat, eliminiert. Von den heroischen Frauen und Männern mit Maschinenpistolen in der Hand, deren Bilder auf die Bühne projiziert wurden, und den Erdölanlagen, um die offenbar gekämpft wurde, ist nichts mehr übrig geblieben. Die beiden Werke wurden jetzt in den abstrakten, von weißen Wänden gebildeten Drehbühenraum integriert, der für die Inszenierung von „Iphigénie en Tauride“ entwickelt worden war.

Fischer hat zudem noch mehr auf das Familiendrama fokussiert, die relevanten Figuren durch den Abend „geflochten“, etwa den jungen Orest schon im ersten Teil auftreten lassen – und das war wahrscheinlich auch der verlockende Gedanke an der Sache: Die Kontinuität von Mord und Gewissensbissen im Atridenstammbaum an einem Abend fortzuschreiben und anhand von Iphigénies Schicksal auszuleuchten. Auf den ersten Blick wäre es naheliegend gewesen, den Abend in zwei Hälften zu teilen: „Aulide“-Pause-„Tauride. Und wenn man es mit Gluck wirklich so richtig ernst gemeint hätte, wäre das bei der relativen Kürze der Opern auch machbar gewesen.

Darauf hat man sich allerdings nicht eingelassen und eine inklusive Pause dreistündige Fassung erstellt, bei der „Iphigénie en Tauride“ deutlich „bevorzugt“ wurde. Die Ouvertüre von „Iphigénie en Aulide“ wurden schon mal eingespart und gleich mit der Szene des Agamemnon gestartet, was dann in Folge mehr zu einem „Best of Aulide“ ausartete – denn noch vor der Pause wurde mit der stürmischen Einleitung zur „Iphigénie en Tauride“ und rasantem Drehbühnen-Ringelspiel der Schauplatz gewechselt und der erste Akt der Iphigénie-Fortsetzung absolviert. Glucks großartige „Sturmmusik“ hat gleich die Erinnerung an „Iphigénie en Aulide“ fortgeblasen.

Der Pausenvorhang senkte sich allerdings just mitten in der Aktion, als Orest und Pylades um ihr Leben bangend am Boden liegen und von den Skythen bedroht werden, ohne den von Gluck effektvoll konzipierten Schlusschor der Skythen. Nach der Pause wurde die Oper genau an der Stelle wieder aufgenommen, ein anzweifelbarer dramaturgischer Kunstgriff, den das Publikum zur Pause mit recht verhaltenem Applaus beantwortet hat. Das kurze Ballett vor der Präsentation der Gefangenen wurde gestrichen.

Der Teil nach der Pause folgte, soweit es mir erinnerlich ist – unter einigen Kürzungen bei Rezitativen und Chören – in den wesentlichen Zügen der „Iphigénie en Tauride“-Inszenierung von 2010. Fischers klare und handlungsorientierte, zwischen expressiven und statuarischen Momenten wechselnde Personenführung, hat sich erneut bewährt, weil sie den Figuren bei all der gezeigten Emotionalität, eine Art von innerer „Haltung“ verlieh, mit der an die mehr zeremoniellen Elemente des Werkes angeknüpft werden konnte. Dabei hat sich Fischer noch stärker auf das Wesentliche fokussiert, beispielsweise ohne die „mythische Erscheinung“ Dianens mit weißer Taube im Finale (Produktion 2010). Der Schwerpunkt lag auf dem emotional aufwühlenden Ringen von Menschen in extremen Gefühlssituationen, gepeinigt von den eigenen Gewissensqualen, Mitschuldig an einer blutigen Famliengeschichte, ein „säkuralisierter“ Gluck (aber szenisch durch die treffende Personenführung viel packender gelöst, als der säkuralisierte „Idomeneo“ unlängst an der Staatsoper).

Bei den Kostümen dürfte nicht viel verändert worden sein, das schwarze Kleid Iphigénies war stilvoll genug, um ihre priesterliche Würde auszudrücken, und bei den Männern mit viel nackten, muskelbepackten Armen, herrschte optisch ein gewisser hormoneller Überschwang, der Pylades und Orest, in grauen Unterleibchen und von inniger Freundschaft getrieben, beim eifrigen Ringen um die Opferrolle gar nicht einmal so schlecht anstand. Der spannende Eindruck, den „Iphigénie enTauride“, am Theater an der Wien vor vier Jahren gemacht hat, wurde also bestätigt, womöglich hat er in der Neuauflage noch gewonnen – eben deshalb wäre das Zusammenspannen mit der vorgeschalteten „Iphigénie en Aulide“ entbehrlich gewesen.

Auch in gesanglicher Hinsicht war eine „Zweiteilung“ unverkennbar. Véronique Gens gab wieder wie 2010 die „Iphigénie en Tauride“, Lenneke Ruiten steuerte die jüngere Iphigénie in Aulis bei – beziehungsweise agierten die Sängerinnen als Diane in der jeweils anderen Oper. Anlässlich der Premiere vor vier Jahren notierte ich – und daran hat sich nichts Wesentliches geändert: „Véronique Gens war als Iphigénie die Seele der Aufführung. Ihr angedunkeltes, allerdings nicht sehr breit auffächerndes Timbre, gab dem leidenden, gequälten Herzen eine passende Stimme. Sie ließ sich zu keinen exaltierten Emotionen verleiten, war um eine ausgewogene Wiedergabe bemüht. Ein mädchenhafter Kern nahm der Figur mögliche heroische Züge, immer um ausdrucksvollen Gesang bemüht.“

Lenneke Ruiten konnte – trotz schauspielerischer Prägnanz – gesanglich nicht mithalten. Ihr eng geführter Sopran vermochte nur aus zarteren lyrischen Passagen für sich Vorteile zu gewinnen, sobald sie etwas Kraft in die Stimme legte, wurde sie flackrig und machte auf mich einen angespannten Eindruck, eng blieb sie auch in der glanzlosen Höhe. Michelle Breed bot eine außerordentlich ausdrucksstarke Clytemnestre, auch wenn sie gesanglich nicht immer eine feine Klinge führte. Zweischneidig war der Eindruck, den Maxim Mironov als energiegeladener Achille bei mir hinterließ. Mironov ist schon zu Staatopernehren gekommen, soll derzeit bei Rossini reüssieren. Die Stimme scheint zwar eine sichere und wendige Höhe zu besitzen, aber ein etwas hartes, metallisches Timbre und eine etwas „robuste Handhabung“ waren mir für einen französischen Gluck dann doch nicht passend genug.

Stéphane Degout bot zusammen mit Véronique Gens die einprägsamste Leistung des Abends. Mit seinem festen, aber flexiblen und nie überspannt klingenden Bariton zeichnete er ein expressives Bild von Orestes Schicksal. Rainer Trost als Pylade verstärkte die gefühlstark auf der Bühne ausgelebte Freundesliebe – mit seinem schon breiter gewordenen, aber auch nach langen Karrierejahren immer noch überraschend qualitätsvollen lyrischen Tenor. Christoph Pohl steuerte den Agamemnon und den Thoas bei, passte vom Stimmcharakter gut in das Gesamtbild der Produktion, blieb in der Bühnenwirkung aber etwas hinter Achill beziehungsweise Oreste und Pylade zurück. Wie immer ein Garant für hohe Qualität, der Arnold Schönberg Chor, unverzichtbarer Bestandteil der Opernaufführungen im Theater an der Wien.

Klassizistische Abgeklärtheit war insgesamt und auch im Orchestergraben weniger gefragt. Die Wiener Symphoniker unter Leo Hussain gaben mit kraftvollem Musizieren den „Ton an“. Manch verschärft akzentuiertes Detail unterstrich die Expressivität. Hussain, der in einem Interview in der PRESSE (15.10.14) bezogen auf die Gluck'sche Iphigénie-Musik von „tonalen Schockwirkungen“ gesprochen hat, wusste diese auch umzusetzen. Das sorgte für einen griffigen – aber nicht unbedingt delikat ausmusizierten – Opernabend.

Der Schlussapplaus dauerte rund sechs Minuten lang. Es gab Bravorufe, keine Missfallensäußerungen, und dass der Beifall für die beiden Iphigénies differenziert ausfiel, spricht fürs Publikum.