IPHIGENIE EN TAURIDE
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Theater an der Wien
Premiere

14.3.2010


Musikalische Leitung: Harry Bicket
Inszenierung: Torsten Fischer
Bühne: Vasilis Triantafillopoulos
Kostüme: Andreas Janczyk
Licht: Diego Leetz

Orchester: Wiener Symphoniker
Chor Arnold Schoenberg Chor (Ltg. Erwin Ortner)

Iphigénie - Véronique Gens
Thoas - Andrew Schroeder
Oreste - Stéphane Degout
Pylade - Rainer Trost
Prémiere Prêtresse - Petra Simkovà
Deuxieme Prêtresse - Agnes Scheibelreiter
Une femme greque - Teresa Gardner
Scythe / Ministre - Andreas Jankowitsch
Stumme Rollen:
Agamemnon - Christoph Zadra
Klytämnestra - Anna Franziska Srna


„Blutige Familiengeschichte
(Dominik Troger)

Christoph Willibald Gluck wird viel gerühmt, aber wenig gespielt. Das Theater an der Wien hat jetzt seine 1779 in Paris uraufgeführte „Iphigénie en Tauride“ auf den Spielplan gesetzt. Opernliebhaber sollten diese Chance nicht versäumen.

Zugegeben – wer in Gluck den „Klassiker“ sieht, wird mit dem forcierten, eher rüden Tonfall der Wiener Symphoniker unter Harry Bicket wenig Freude haben. Bicket ließ rauh spielen, setzte auf einen kompakten, harten Klang. Er spannte Gluck auf das Nagelbrett einer „originalen Klangvorstellung“, die sich gerade bei Dirigenten „von der Insel“ viel zu oft als ziemlich ruppiges und einförmiges Destillat erweist.

Galt es hingegen ruhigere Töne anzuschlagen, fehlte das Sensorium für ein sensibleres Eingehen auf Glucks Musik und es wurde ziemlich „beiläufig“ musiziert. Ob man das dramatische Anfachen der Emotionen nicht stilistisch hätte verfeinern können, mit differenzierterem Spiel, sinnlicherem, hellerem Tonfall, mit mehr Gespür für die emotionalen Nuancen?

Zugegeben – die Handlung der Oper hat ihre brutalen Züge, das dramatisch vorwärtsdrängende Orchester war prinzipiell nicht fehl am Platz: Menschenopfer und familiäre Blut-Bande, die Tauris-Barbaren, die in Fremden vor allem Frischfleisch für ihre Götter sehen. Der Atridenmythos ist eine einzige, von verstocktem Blut und Eiterbeulen verkrustete Wunde, aus der es auch heute noch publikumswirksam hellrot hervorsickert.

Regisseur Torsten Fischer hat diese Wunde in ihrer Allgegenwart geschickt bloß gelegt. Schon am Beginn, zur Introduktion mit der aufziehenden Gewittermusik, lässt Fischer einen Mord geschehen oder ein Opfer: ein Mann tötet eine junge Frau mit Kehlenschnitt – Agamemnon und Iphigenie? In Folge geistern Klytemnästra und Agamemnon als stumm agierende, bedrohlich gegenwärtige „Eltern“ durch die Albträume ihrer Kinder: Iphigenie, das Vateropfer, Orest, der Muttermörder, alle Menschen Spielfiguren der Götter. Derart hat Fischer die Handlung in den Rahmen der blutigen Familiengeschichte eingebettet, Agamemnon und Klytemnästra bleiben erkennbare Kristallisationspunkte traumatischer Erfahrungen.

Fischer domestiziert die starken, expressiven Gefühle zu einer zeremoniellen Abhandlung über Schuld und Sühne, platziert sie in einem kargen Drehbühnenraum (Bühne: Vasilis Triantafillopoulos ) mit graue Mauern, Gittern, im Hintergrund der große, projizierte Kopf eines antiken Fresko. Dazu passen die schwarzen Gewänder der Frauen, zeitlose Priesterinnen, die Männer in weißen Hemden, Krawatte, von zeitloser Modernität. Die Grenze zur Gegenwart baut eine leicht ritualisierende Gestik auf: die platte Aktualisierung des Stoffes ist kein Thema, es geht um das Weiterleben und -erzählen von Geschichten, die ihren zeitlosen, psychologisch relevanten Kern durch Jahrtausende bewahren.

Im Finale wird das ursprüngliche Deus ex machina-Prinzip aufgelöst und das Handeln in die Verantwortlichkeit der Menschen selbst gelegt. Iphigenie übernimmt den Part der Diana. Diana erscheint schweigend, weißgekleidet und mit weißer Taube auf der Hand, übergibt ihr Erbe gleichsam an Iphigenie, nimmt Thoas mit sich und führt in fort. Iphigenie wird für Fischer zur aufgeklärten Frau (siehe Interview im Programmheft), sie verhindert ein weiteres Morden: Pylade tötet Thoas nicht. Szenisch bleibt der Schluss trotzdem mehrdeutig, Thoas sinkt zu Boden, folgt er der Diana als Toter oder als Lebender?

Fischers Personenführung ist klar und handlungsorientiert, nicht übertrieben hektisch, eher statuarisch. Er verdeutlicht die Beziehungen unter den Figuren, wobei er versucht, ihre Gefühle und Ängste bildlich auszudrücken: Die Stelle mit dem sich wiederholenden Muttermord beispielsweise, Orests Gewissensqualen werden sichtbar, sein Wahnsinn als Opfer der unauslöschbaren Erinnerung - oder in der Opferszene, in der die Schwester den Bruder morden soll: die stumm opferheischende Klytemnästra kann es kaum erwarten, dass der Stahl ihrem Sohn in die Kehle fährt, während Agamemnon Iphigenie bedrängt. Die Anreicherung des Bühnengeschehens um diese beiden Figuren erzeugte Bilder von beklemmender Wirkung.

Véronique Gens war als Iphigénie die Seele der Aufführung. Ihr angedunkeltes, allerdings nicht sehr breit auffächerndes Timbre, gab dem leidenden, gequälten Herzen eine passende Stimme.. Sie ließ sich zu keinen exaltierten Emotionen verleiten, war um eine ausgewogene Wiedergabe bemüht. Ein mädchenhafter Kern nahm der Figur mögliche heroische Züge, immer um ausdrucksvollen Gesang bemüht.

Stéphane Degout legte den Oreste dramatisch an, in den Emotionen expressiv und von intensiver Bühnenwirkung. Er folgte damit dem Kurs, der vom Orchestergraben aus vorgegeben wurde. Rainer Trosts Pylade klang fest, aber nicht sehr flexibel, auch da vermisste ich die stilvolle Verfeinerung des Ausdrucks. Das Verhältnis zwischen Oreste und Pylade müsste genug Raum für Zwischentöne lassen, bei all der heldenhaft erlittenen Götterstrafe – und bei all der heroisch-gelebten Freundesliebe. Der Thoas von Andrew Schroeder lieh dem Barbarenkönig einen zu unkultiviert geführten, leicht bellenden Bariton. Die übrigen Mitwirkenden erfüllten soweit ihre Aufgaben. Der Arnold Schönberg Chor war wieder von starker Präsenz.

Der Premierenerfolg geht wahrscheinlich auf den sehr geschlossenen, durchaus mitreißenden Eindruck zurück, den die Produktion hinterließ. Auch das Regieteam erntete nur positives Feedback. Musikalisch hätte ich mir die Aufführung deutlich geschmackvoller gewünscht. Der Schlussapplaus dauerte knappe zehn Minuten.