FEDORA
Aktuelle Spielpläne & Tipps
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Giordano-Portal

Wiener Staatsoper
2.10.2003

Dirigent: Stefano Ranzani

 

Fürstin Fedora Romazoff - Paoletta Marrocu
Gräfin Olga Sukarev - Bori Keszei
Graf Loris Ipanoff - Placido Domingo
De Siriex - Georg Tichy
Dimitri/Ein kleiner Savoyarde - Antigone Papoulkas
Desirè - Cosmin Ifrim
Baron Rouvel - Peter Jelosits
Cirillo - Dan Paul Dumitrescu
Dr. Boroff - Adrian Eröd

Gretch - Goran Simic
Dr. Loreck - Johannes Wiedecke
u.a.

„Unter keinem guten Stern...“
(Dominik Troger)

... stand an diesem Abend das Sänger-Glück von Placido Domingo. Gesundheitlich etwas angeschlagen bescherte ihm diese „Fedora“ eine jener Schrecksekunden auf offener Bühne, in denen jeder Augenblick sich zu Stunden auszuwachsen scheint.

Es war im zweiten Akt und Placido Domingo war gerade dabei in dieser kurzen Arie Fedora seine Liebe zu erklären. Man merkte wohl, dass er mit Bedacht die Noten setzte, man konnte eine gewisse Schwerfälligkeit heraushören, aber nichts deutete darauf hin, dass er wenige Takte später schweigen würde. Es war das plötzliche ansatzlose Schweigen einer unglaublichen Überraschung, die sich bei Domingo breitmachte, und die mit einem kurzem Verzögerungsmoment auf das Publikum übersprang. Das Orchester spielte noch weiter. Domingo bat um einige Minuten Pause, ergriff die sich hilfreich von Paoletta Marrocu ihm entgegenstreckende Hand, und verließ die Bühne. Da hatte das Orchester den ungesungen gebliebenen Teil der Arie schon zu Ende begleitet und schwieg. Alles schwieg. Der Vorhang rauschte herab. Sehr rasch erschien der Direktor vor dem Vorhang, um eine kurze Unterbrechung der Vorstellung anzukündigen. Der Schock saß tief. Nachher löste sich das Rätsel. Holender erklärte, Domingo leide an einer Bronchitis und an hohem Blutdruck, habe sich aber entschlossen weiterzusingen. Das Publikum dankte mit Applaus. Der Vorhang hob sich. Die Arie blieb ein Fragment: man nahm den Faden nach ihr wieder auf – und Domingo meisterte die Herausforderung mit Routine und manchmal sogar mit sängerischer Intensität.

Der Schreiber dieser Zeilen befindet sich jetzt in einer schwierigen Lage. Jeder Vergleich mit glanzvollen Domingo-Abenden könnte dahingehend ausgelegt werden, dass man der Auffassung sei, es wäre bereits die Zeit für solche künstlerischen „Nachrufe“ gekommen. Wie ich den Samstags-Zeitungen entnommen habe – Domingo hatte es (in typisch österreichischer Tradition) mit seinem „Blackout“ auf die Titelseiten gebracht – besteht in Anbetracht dieses Zwischenfalls überhaupt die große Gefahr, dass man hier in eine gewisse Respektlosigkeit verfällt. Domingo selbst tat alles dazu, um sich solch gut gemeinte Ratschläge und Mutmaßungen zu ersparen, und er schien nahe daran, sich dem Applaus überhaupt zu versagen. Er kam nach Ende der Vorstellung meist mit Paoletta Marrocu auf die Bühne, fast ein wenig widerwillig, ließ sie dann alleine zurück und verschwand. Den Blumenstrauß, den man ihm warf, gab er sofort an sie weiter (und sie drückte ihn Bori Keszei in die Hand). Aber den Einzelvorhang, den verweigerte er standhaft, und auch als das noch im Haus verbliebene kleine Grüppchen Fans ein wenig in zaghaftes rhythmisches Klatschen verfiel, da kam er wieder nur in Begleitung von Fedora heraus. Er wollte es nicht anders. Jedenfalls haben wenige Sekunden dieser „Fedora“-Aufführung zu einem zwiespältigen Ruhm verholfen. Und wie viel von dieser Vorstellung noch in Jahren geredet werden wird, kann man sich ausmalen: „Waren Sie damals in der Fedora, als...?“ Es schmerzt, sich das zu vergegenwärtigen.

Ja, ohne Placido Domingo hätte man diesen Abend kaum registriert. Das Werk ist nicht unbedingt das, was man einen Reißer nennt. Im Gegenteil. An der Staatsoper besteht es hauptsächlich aus Pausen. Aus unerfindlichen Gründen wird man schon nach 25 Minuten ins Foyer geschickt, und nach dem zweiten Akt noch einmal. Und der Verve, mit dem Giordano stellenweise seinen „Chenier“ versehen hat, ist in der „Feodora“ zu einer lauen Brise zusammengefallen, in der nicht einmal das Intermezzo im zweiten Akt richtig aufblühende Musik bietet. Einigermaßen spannungsgeladen sind der Schluss des zweiten Aktes und der Schluss des dritten Aktes. Dazwischen tummeln sich zum Gähnen animierende Belanglosigkeiten. Aber das ist natürlich nur meine Meinung. Nein, ich korrigiere mich: Fedoras Todesszene ist sicher von starkem dramatischem Effekt – die ganze dramatische Konstruktion aber ziemlich an den Haaren herbeigezogen. Man lässt sich als Zuschauer ja gerne ein wenig an der Nase herumführen, aber Giordanos Sinn für schreiende Plakativität ist mir manchmal fast unerträglich.

Die Aufführung hatte jedenfalls insgesamt wenig Performance, und das ist in Anbetracht des oben geschilderten Vorfalles und des Werkes auch kein Wunder. Paoletta Marrocu ließ immerhin ein charakterstarke Stimme hören, allerdings teilweise von starkem Vibrato begleitet. Ein Plus war sicher die eingängige, dramatische Darstellung von Fedoras Todeskampf. Ihre Stimme scheint nicht wirklich eine veristische zu sein und so hinterließ sie einen uneinheitlichen Gesamteindruck, bei dem man nicht recht wusste, wie man sie jetzt als Sängerin einzuschätzen habe.

Bori Keszei, eine junge ungarische Sängerin, feierte als Gräfin Olga Sukarev ihr Hausdebüt an der Staatsoper. Ihr leicht soubrettenhaft überhauchter Sopran hat eine gewisse Schmächtigkeit und Blässe, wie Kinder nach einem langen, sonnenarmen Winter. Vielleicht blüht er ja noch auf. Ansonsten bemüht Giordano für seine knappen zwei Opernstunden jede Menge an Personal, das von bewährten Ensemblemitgliedern der Staatsoper abgestellt wurde.

Die Produktion ist vom Bühnenbild ziemlich realistisch gehalten, schönes Interieur, im dritten Akt eine Villen-Terrasse in der Schweiz. Dazu Giordanos komponierte Kuhglocken... Meine erste und bisher letzte Begegnung mit der „Fedora“ liegt über acht Jahre zurück – und ich weiß nicht, wann ich diesem Werk wieder begegnen möchte.

PS: Domingo hat für die Vorstellung am Montag, 6.10. abgesagt. Man spielt statt dessen eine „Tosca“. Die dritte „Fedora“-Aufführung am 11.10. steht derzeit (5.10.) noch auf dem Plan.