„Aufregung um Carlo Gérard“
(Dominik Troger)
Nach
gut zwei Jahren hat die Staatsoper wieder Umberto Giordanos
„Andrea Chénier“ auf den Spielplan gesetzt. Die erste von drei
Vorstellungen machte mehr durch die Begleitumstände von sich reden,
weniger durch die Aufführung selbst. Luca Salsi war schwer
indisponiert, für das dritte Bild wurde Ersatz vom Theater an der Wien
geholt: Der armenische Bariton David Babayants rettete als Einspringer
den Abend.
Luca Salsi wurde
am Beginn der Vorstellung vom Staatsoperndirektor angesagt – und hatte
schon in seinen ersten Bühnenminuten große Stimmprobleme. Sein Bariton
klang schwer angeschlagen, Salsi hustete, er flüsterte ein „Sorry“ ins
Publikum, und rettete sich in die Pause. Den Fechtkampf im zweiten Bild
würde er schon über die Runden bringen, aber wie hätte man ihm (und dem
Publikum) seine große Szene im dritten Bild zumuten können?
Nach der zweiten Pause gab es also die zweite Ansage. Die Staatsoper
hat beim Theater an der Wien angefragt. Dort sind für Sergei Prokofjews
Komödie „Die Verlobung im Kloster“ gerade eine ganze Menge an guten
Kräften engagiert. Vorstellung war an diesem Abend auch keine
angesetzt, also stand einem sängerischen „Assistenzeinsatz“ nichts im
Wege. Pater Chartreuse, einer von Prokofjews betrunkenen Mönchen,
verwandelte sich für die Staatsoper flugs in einen liebenden
Revolutionär. Es handelte sich um David Babayants,
Solist an der Staatsoper in Yerevan, dort für das übliche
Baritontrepertoire engagiert. Bei der Oper Klosterneuburg hat Babayants übrigens im Sommer 2021
den Don Carlo in „La forza del destino“ gesungen. (Der Name des
Einspringers wurde dem Publikum allerdings erst in einer dritten Ansage
vor dem vierten Bild „nachgereicht“.)
David Babayants nahm am Beginn des Revolutionstribunals mit Notenpult
an der linken Bühnenseite (vom Publikum aus gesehen) Aufstellung und
Luca Salsi spielte dazu schweigend seinen Part. Der Einspringer
benötigte ein paar Minuten, um sich zu „akklimatisieren“, absolvierte
dann das „Nemico della patria“
mit festem baritonalem Schwung und durfte sich über starken und
dankbaren Szenenapplaus erfreuen. Er war davon sichtlich stark gerührt.
Den kurzen Auftritt im vierten Akt hat Lucas Salsi dann wieder alleine
bestritten.
Damit ist aber das Aufregendste dieser Vorstellung schon erzählt. Michael Fabiano
verfügt über eine einnehmende Bühnenerscheinung und eine schlanke,
schöne „lirico“ Stimme, die im Timbre ein wenig an große spanische
Tenorvorgänger der jüngeren Vergangenheit erinnert. Aber ist das
wirklich eine Stimme für den Andrea Chénier? Die emotionalen Ausbrüche
erkaufte sich Fabiano mit (zu) viel Krafteinsatz, die Spitzentöne
klangen „gedeckt“, ohne glanzvollem Squillo.
Sonya Yoncheva verwöhnte
in gelegenen Passagen mit dem weichen, dunkelüberhauchten Timbre
ihres Soprans. Sie hat vor allem mit ihrer großen Arie und dem Finale
der Aufführung ihren Stempel aufgedrückt. Wo sich der geforderten
Überschwang von Giordanos musikalisch aufgeheizten Emotionen mit
Nachdruck bemerkbar machte, musste ihr Sopran diesen allerdings einigen
Tribut zollen. (Vor allem ein langwelliges Vibrato hat mich irritiert,
dass in gefühlsdramatischen „Forte“-Ausbrüchen sich einzuschleichen
gewillt war.)
Bei den vielen Nebenrollen manövrierte die Staatsoper in einem sehr repertoiregemäßen Fahrwasser. Pier Giorgio Morandi
am Pult gelang es trotz der außergewöhnlichen Umstände der Aufführung
ausreichend Spannung zu verleihen und die Höhepunkte zur Geltung zu
bringen. Der Schlussapplaus kam auf knappe fünf Minuten.
|
|