ANDREA CHENIER
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Wiener Staatsoper
20. Mai 2019

Dirigent: Marco Armiliato

 

Andrea Chenier - Yusif Eyvazov
Gerard - Luca Salsi
Maddalena - Anna Netrebko
Gäfin Coigny - Donna Ellen
Bersi - Virginie Verrez
Roucher - Orhan Yildiz
Madelon - Monika Bohinez
Fleville -Manuel Walser
Tinville - Alexandru Moisiuc

Mathieu - Wolfgang Bankl
Incroyable - Carlos Osuna
Haushofmeister - Marcus Pelz
Der Abbé - Peter Jelosits
Dumas - Markus Pelz

Schmidt - Ayk Martirossian


„Revolution in der Jubiläumswoche“
(Dominik Troger)

Das „Haus am Ring“ feiert in wenigen Tagen seinen 150. Geburtstag. Ein „Andrea Chénier“ mit Anna Netrebko ist ein passendes Geschenk für diese Jubeltage. Die Sängerin gab ihr Wiener Rollendebüt als Maddalena, den revolutionären Dichter an ihrer Seite sang Yusif Eyvazov.

Anna Netrebko und Yusif Eyvazov haben sich bereits 2017 an der Mailander Scala als neues Liebespaar in Giordanos Revolutionsoper präsentiert. Luca Salsi steuerte damals wie auch jetzt in Wien den Gérard bei. (Salsi ersetzt(e) in den ersten beiden Vorstellungen Marco Vratogna, am 28. und am 31. Mai wird George Petean einspringender Weise die Partie übernehmen.)

Anna Netrebkos leuchtender Sopran drückte der Vorstellung wie erwartet den „Stempel“ auf, die vom Komponisten wohldosiert gesetzten Höhepunkte auskostend. Der erste Akt gehörte noch nicht dazu, aber Netrebko bemühte sich, Maddalena mit backfischartiger Mimik zumindest in ihrem mädchenhaften Schwarm für Chéniers Poesie aufgehen zu lassen. Das Liebesduett im zweiten Akt mit seinen „tristan’schen“ Steigerungen machte aus Maddalena fast schon eine mit saftigem, dunkel leuchtendem Sopran ausgestattete Isolde, im dritten Akt bekam Maddalenas Willen zur Selbstaufopferung heroische Züge und das „La mamma morta“ schwelgte im satten Klang ihrer Stimme und verfehlte seine starke Wirkung nicht.

Giordano presst aus den Sängern das ganze Gefühl, zu denen sie fähig sind – und diesen musikalischen „Daumenschrauben“ standzuhalten, ist die erste von den Protagonisten eingeforderte Tugend; die zweite: diese emotionale Spannung mit gutem Timing aufzubauen und dann „explodieren“ zu lassen. Netrebko mischte dazu noch einen gehörigen Schuss Pathos, das sich vor allem im Finale an der Seite von Yusif Eyvazov entlud: Beide bestiegen mit erhobener Stirn, wie man so sagt, den Karren der Henkersknechte, beide wohl auch im Bewusstsein, dem stimmlich herausfordernden emotionalen Überschwang des Komponisten manch mitreißenden Moment abgerungen zu haben.

Mit Yusif Eyvazov war das so eine Sache: schwelgerische Poesie vermittelte seine Stimme nicht und das sprödmetallisch klingende Timbre errichtete den tenoralen Leidenschaften wahrlich kein „Federbett“. Diese Eigenschaft beeinflusste stark den Gesamteindruck, den der Sänger hinterließ. Aber Eyvazov hat, mit sicherer Höhe ausgestattet, den Giordano’schen Gefühlsaufwallungen auch packende Momente abgerungen. Ich fand das „Un di all’azzurro spazio“ zum Beispiel vom Aufbau gut gelöst und mit Risikobewusstein gesungen und zu Ende gebracht. Eyvazov hat im ersten Akt nichts für die kommenden Akte „aufgespart“ und auch danach bewiesen, dass er Giordanos Wunsch nach emotionaler Entäußerung nachzukommen versteht.

Luca Salsi benötigte bis zum dritten Akt, um seine Stimme auf Touren zu bringen – und diese zündete erst im Schlussteil des „Nemico della partia“ so richtig. Dann klang sein Bariton freier und nicht mehr so leicht nasal umschattet und indifferent. Von den Sängerinnen und Sängern der vielen Nebenrollen sei stellvertretend Wolfgang Bankl positiv hervorgehoben, dessen revolutionäre Tugenden aktuell auch in Gottfried von Einems Oper „Dantons Tod“ gefragt sind. Den Roucher, den Incroyable hat man hingegen schon „zwingender“ gehört, oder die an diesem Abend stimmlich recht „offensiv" zu Werke gehende Bersi.

Marco Armiliato wählte für diesen Abend teilweise schon auffallend zügige Tempi, das Staatsopernorchester hat den Chénier unter seiner Leitung – unbestritten manch schöner solistischen Einzelleistung – schon differenzierter und in der Dynamik kontrollierter gespielt. Aber natürlich weiß Armiliato, wann die Musik in Gefühlen schwelgen soll, und wie man die Höhepunkte wirkungsvoll herausstreicht. Der Schlussapplaus dauerte fast zehn Minuten lang und schloss alle Beteiligten ein, für die Maddalena der Vorstellung gab es Blumen.

Fazit: Diese „Chénier“-Vorstellungen wird man vor allem wegen Anna Netrebko besuchen, aber das ist jetzt auch nicht wirklich eine Überraschung.