ANDREA CHENIER
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Wiener Staatsoper
6. Jänner 2019

Dirigent: Frédéric Chaslin

 

Andrea Chenier - Gregory Kunde
Gerard - Luca Salsi
Maddalena - Tatiana Serjan
Gäfin Coigny - Lydia Rathkolb
Bersi - Virginie Verrez
Roucher - Boaz Daniel
Madelon - Zoryana Kushpler
Fleville -Igor Onishchenko
Tinville - Alexandru Moisiuc

Mathieu - Wolfgang Bankl
Incroyable - Thomas Ebenstein
Haushofmeister - Marcus Pelz
Der Abbé - Bendikt Kobel
Dumas - Markus Pelz

Schmidt - Ryan Speedo Green


„Französische Revolution am Dreikönigstag“
(Dominik Troger)

Die Wiener Staatsoper hat das zwischen „Zauberflöte“, „Fledermaus“ und „Nußknacker“ oszillierende „Festtagsprogramm“ beendet und mit „Andrea Chénier“ wieder den „normalen“ Repertoirebetrieb aufgenommen.

Die in eine unspektakuläre Otto Schenk-Inszenierung (Premiere 1981) gepackte Aufführung versprach einige interessante Rollendebüts: Gregory Kunde als Chenier, Luca Salsi als Gérard, Tatiana Serjan als Maddalena – seit Jahren auf den Opernbühnen der Welt gefeierte Sängerinnen und Sänger, die an der Staatsoper bis dato kaum oder nur mit einem sehr eingeschränkten Repertoire zu hören gewesen waren. Gregory Kundes belcantistische „Hochblüte“ hat in den 1990er-Jahren die Staatsoper nur „gestreift“, Tatjana Serjan war am Haus bisher nur als Lady Macbeth zu hören gewesen und Luca Salsi hat erst in dieser Saison als Nabucco sein Hausdebüt gegeben.

Ihren Stimmen war gemeinsam, dass sie einerseits dem Gefühlsturm von Giordanos Musik standhielten andererseits aber die Versprechungen ihres stimmlichen Potenzials doch nur punktuell einlösten. Bei Gergory Kunde kam natürlich der Faktor einer schon sehr langen Karriere hinzu: Kunde hat in den späten 1970er-Jahren sein Sängerdebüt gegeben und „Normalsterbliche“ freuen sich in seinem jetzigen Alter auf den Ruhestand. Seine Stimme hat in den letzten 10 Jahren den Sprung vom Belcanto bis zum Verdi-Otello gemacht. Zuletzt ist er hierzulande im Jahr 2012 im Theater an der Wien in „La donna del lago“ und an der Staatsoper in der „Sizilianischen Vesper“ (als Einspringer) aufgetreten.

Inzwischen sind wieder ein paar Jahre vergangen und seine Mittellage klang an diesem Abend einige Male sehr flach und ein wenig kraftlos, die Spitzentöne ertönten nicht mehr mit dieser Mühelosigkeit wie erinnerlich, und ein leichtes, wie es auf Englisch heißt, „wobble“ war auch nicht zu überhören. Für die Lyrismen des „Come un bel di' di maggio“ zum Beispiel erwies sich die Stimme als zu schwerfällig. Die Sinnlichkeit der Chénier'schen Gefühlsaufwallung wurde dadurch in ein steifes Korsett gezwängt, was seinem Auftritt insgesamt ein zu statisches Erscheinungsbild verlieh.

Tatiana Serjan, seine Maddalena, ward aus kräftigem „Holz“ geschnitzt: ein Sopran mit Metallbeschlägen, der die „Verismo-Karte“ bedenkenlos und lautstark ausspielte und damit gegenüber Andrea Chénier an diesem Abend so manchen „Stich“ machte. Auch hier ging es nicht um Nuancen, sondern ums „Ganze“, und Serban hat den emotionalen Notstand der Figur mit kräftigen, leicht angedunkelten Pinselstrichen ausgemalt, was dazu führte, dass sich die vom Komponisten mit wollüstiger „Tristan'scher“ Emphase inszenierten Leidenschaften energiereich entfalten konnten.

Luca Salsi als Gérard hat nach einem guten ersten Akt ein wenig „abgebaut“. Sein Stimme ist schön timbriert und hätte prinzipiell Anlagen, die sie in die „Ahnenreihe“ bekannter italienischer Baritonisten stellten könnten. Aber der Sänger schien oft bemüht, seine Stimme größer zu machen, als sie ist, um Giordanos Musik vor allem über die Lautstärke gerecht zu werden. Das wirkte auf mich dann doch etwas enttäuschend.

Das Umfeld hatte die übliche Spannbreite: vom überaus verlässlichen Roucher des Boaz Daniel und dem ebenso verlässlich markant-gefährlichen „Incroyable“ des Thomas Ebenstein über eine recht „mütterlich“ klingende Zoryana Kushpler als Madelon bis zu einer, vor allem lautstarken Bersi (Virginie Verrez, Rollendebüt am Haus) oder dem raustimmigen Kerkermeister von Ryan Speedo Green (ebenfalls Rollendebüt am Haus). Dem rüden Revolutionsgericht assistierte Wolfgang Bankl als etwas derber, aber für die Rolle nicht unpassender Mathieu. Unspektakuläre Rollendebüts gaben an diesem Abend Lydia Rathkolb als Gräfin de Coigny und Igor Onishchenko als Fléville. Das Orchester unter Fréderic Chaslin suchte mehr die Breite, fand nicht immer den Spannungsbogen in den Arien, war aber eine wichtiger Eckpfeiler für einen in Summe doch einigermaßen respektablen Gesamteindruck.

Die laut Programmzettel 112. Aufführung dieser Inszenierung lässt sich also bequem unter „Repertoireaufführung“ ablegen, der wegen der tenoralen Biographie von Gregory Kunde ein gewisser „Raritätenstatus“ nicht abgesprochen werden kann. Aber nach dieser Aufführungsserie werden die Blicke ohnehin bereits auf den nächsten Mai scharf gestellt, wenn Anna Netrebko als Maddalena an der Staatsoper auftreten soll. Der Schlussapplaus dauerte (gefühlte) fünf Minuten lang, Kunde wurde ein Blumenstrauß geworfen.

Besonders lästig waren an diesem Abend wieder einige ignorante Husterinnen und Huster – lautes Zischen hilft in solche Fällen aber auch nicht. Und nicht jeder ist ein Jon Vickers, der solchem Gehuste ein „Shut up with your damn coughing!“ zu entgegen wüsste. Ob es damals genützt hat, verrät die Märe allerdings nicht. (Man kann sich das auf Youtube anhören: einfach unter „Jon Vickers Shut up with your damn coughing!“ suchen.)