ANDREA CHENIER
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Giordano-Portal

Wiener Staatsoper
23. & 29. April 2018

Dirigent: Marco Armiliato

 

Andrea Chenier - Jonas Kaufmann
Gerard - Roberto Frontali
Maddalena - Anja Harteros
Gäfin Coigny - Donna Ellen
Bersi - Ilseyar Khayrullova
Roucher - Orhan Yildiz (23.4.) Boaz Daniel (29.4.)
Madelon - Zoryana Kushpler
Fleville - Manuel Walser
Tinville - Alexandru Moisiuc

Mathieu - Wolfgang Bankl
Incroyable - Carlos Osuna
Haushofmeister - Marcus Pelz
Der Abbé - Bendikt Kobel
Dumas - Dan Paul Dumetrescu

Schmidt - Ayk Martirossian


„Liebe im Schatten der Revolution“
(Dominik Troger)

Die französische Revolution ist derzeit an der Wiener Staatsoper in Mode: zuerst Gottfried von Einems „Dantons Tod“ als Neuproduktion, jetzt „Andrea Chénier“ in der Otto Schenk-Regie aus dem Jahr 1981. Die folgenden Anmerkungen beziehen sich auf die erste und dritte „Chénier“-Vorstellung der laufenden Serie am Montag, den 23., und am Sonntag, den 29. April.

Anja Harteros und Jonas Kaufmann sind derzeit der deutsche Sopran- und Tenor-Exportschlager. Und wer die beiden gemeinsam auf der Bühne erleben wollte, musste bis dato zumindest nach München reisen. Aber jetzt war endlich auch die Wiener Staatsoper das Ziel der eifrigen Reisetätigkeit der beiden. Harteros und Kaufmann passen optisch sehr gut zueinander, die „Bühnenchemie“ scheint zu stimmen, und das Publikum wünschte natürlich sehnlichst, von der gemeinsamen Lust der beiden an den Umberto Giordano’schen Revolutionsorgasmen mitgerissen zu werden, zu denen Sopran und Tenor im drohenden Schatten der todbringenden Guillotine zusammenfinden.

Aber die erste Vorstellung am Montag schmeckte weniger nach Lust, sondern viel mehr nach harter Arbeit. Jonas Kaufmanns Stimme klang angespannt und der Sänger setzte viel Kraft ein, um ihre dick baritonal gefärbte „Schwerkraft“ zu überwinden, was eigentlich nur in den Momenten starker Giordano’scher Gefühlsaufwallung gelang. Der erste Akt weckte insgesamt wenig Interesse, nicht einmal Kaufmann vermochte ihn mit dem tenoralen Leckerbissen „Un di all’azzurro spazio“ zu beleben und dem dekadenten Schäferidyll eine leidenschaftliche „Kampfansage“ gegenüber zu stellen. Im Gegenteil, er sang es fast verhalten, zerdehnt, ein tenorales Feuer auf Sparflamme, das im Laufe der Vorstellung nur an wenigen Stellen zu „lodernderen Flammen“ aufflackern sollte. Dieses tenorale „Flammenprasseln“ zündete etwa beim „Si, fui soldato“ im dritten Akt, während sich beim „Come un bel die Maggio“ die Stimme wieder nicht wirklich von ihrer baritonalen Verfestigung befreien konnte.

Am Sonntag wirkte der Sänger auf mich insgesamt frischer, und auch die immer mit (zu) spürbarem Krafteinsatz gesetzten Spitzentöne, die wie dunkelglühende, sich schon verfestigende Lava das Auditorium fluteten, kamen ihm nach meinem Eindruck leichter aus der Kehle. So manch heikler Tonansatz (etwa in der Liebesszene im zweiten Akt „Ora soave ... / Possente l’anima ...“) gelang in der Vorstellung am 29. April viel überzeugender. Das finale Liebesduett entfachte dann endlich auch jene Begeisterung, zu der Giordano die Sänger unbarmherzig hintreibt, und als Harteros beim gemeinsamen Solovorhang Kaufmann ein Busserl gab, war das mit dem Publikum geteilte Opernglück perfekt. Kaufmann hatte sich schon während der Vorstellung im Vergleich zum Montag an einem stärkeren Szenenapplaus erfreuen dürfen – womit einmal mehr die Schlussfolgerung gezogen werden darf, dass man die erste Vorstellung einer Aufführungsserie lieber meiden sollte.

Anja Harteros erwies sich als „emotionale Verstärkung“ für Kaufmanns Tenor, zusammen schwangen sie sich am Sonntag zu einem Liebestod in Tristan’scher Manier auf – und das ist auch in dem Sinne gemeint, dass die beiden stilistisch doch mit eher verhaltener „Italianità“ ans Werk gegangen sind. Harteros spielte im ersten Akt das junge Mädchen mit manchmal fast übertrieben wirkender „backfischartiger“ Gestik, das empfand ich anfangs als etwas gewöhnungsbedürftig. Aber sie füllte die Partie aus, sie gestaltete Nuancen, die Spitzentöne segelten ohne Schärfe übers Orchester.

Bis auf einen an beiden Abenden etwas „flachen“ Beginn hinterließ die Sängerin insgesamt einen starken Eindruck, mit dem „La mamma morta“ als zentralem Gustostückerl. Als Zuhörer konnte man ihrem Rollenporträt genusssüchtig folgen und dabei so manches Detail auskosten: etwa wie sie Chénier innig um Hilfe anflehte oder wie sie ihren Wunsch nach Umarmung im Finale – „Abbracciami!“ – mit leidenschaftlichem Sopranerglühen begehrte. Am Sonntag wurde die Sängerin wegen eines viralen Infektes angesagt, aber dieser blieb zum Glück für die Aufführung ohne Folgen. Eine Einschränkung sei aber gemacht: Ihre Stimme tendierte an beiden Abenden zu einem kurzwelligen Oszillieren, das man punktuell als leicht störend hätte empfinden können.

Roberto Frontali als Gérard sorgte für die positive Überraschung, wobei sein Organ – mehr geradlinig und robust geschneidert – nicht durch besonderen „Schmelz“ von sich Reden machte: Aber die Art wie er sich für diese Musik ins Zeug schmiss, wie er sie bei seiner großen Szene im dritten Akt als emotionale „Schaukel“ benützte, um sich Takt für Takt, Phrase für Phrase, höher zu schwingen, bis sie – von der Giordano’schen Gefühlspresse genötigt – ihre in Noten gepackte Seelennot in das Auditorium schleuderte, das hinterließ einen starken Eindruck.

Dass schon Details den Eindruck verbessern können, zeigte sich an der Figur des Roucher: am Montag war noch Orhan Yildiz für Boaz Daniel eingesprungen, am Sonntag sang dann Daniel selbst – der mehr aus der kleinen Partie herauszuholen vermochte, als der noch junge, solide Einspringer. Der Qualitätssprung betraf aber auch viele andere Mitwirkende, etwa die Bersi der Ilseyar Khayrullova oder Zoryana Kushpler als Mitgefühl weckende Madelon; Carlos Osuna hingegen blieb ein nur mäßig gefährlich wirkender „Incroyable“.

Marco Armiliato stand am Pult und dirigierte auswendig. Die Laustärkenbalance zwischen Bühne und Orchester war nicht ideal, die Sänger wurden phasenweise mit recht „dicken Sound“ konfrontiert. Die Vorstellung am Sonntag gelang insgesamt spannender und belebter. Hübsch wurden vom Orchester die barocken Anklänge im ersten Akt herausgearbeitet und die Höhepunkte wurden mit zupackendem „Handgriff“ entwickelt.

Die Inszenierung von Otto Schenk gab einen praktikablen Rahmen vor – ein Meisterstück ist sie ohnehin nie gewesen. Der Schlussapplaus verebbte nach zwölf oder dreizehn Minuten – und war am Sonntag etwas länger als nach der Vorstellung am 23. April.