DREI SCHWESTERN
Aktuelle Spielpläne & Tipps
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Eötvös Portal

Theater a.d. Wien
25.5.2002
Wiederaufnahme einer Produktion der Opéra National de Lyon im Rahmen der Wiener Festwochen

Musikalische Leitung: Peter Eötvös, László Tihanyi
Regie, Szenographie, Licht: Ushio Amagatsu
Bühne, Malerei: Natsuyuki Nakanishi
Kostüme, Maske: Sayoko Yamaguchi
Libretto: Claus H. Henneberg, Peter Eötvös

Orchester: Savaria Symphonieorchester, Klangforum Wien

Uraufführung: 13. März 1998, Lyon

Olga - Alain Aubin
Mascha - Lawrence Zazzo
Irina - Oleg Riabets
Natascha - Gary Boyce
Andrej - Albert Schagidullin
Kulygin - Nikita Storojev
Tusenbach - Olivier Lallouette
Werschinin - Riccardo Lombardi
Tscherbutykin - Peter Hall
Soljony - Peter Fried
Fedotik - Terence Mierau
Rodé - Alexei Grigorev
Anfisa - Jan Alofs


Drei Schwestern...
(Dominik Troger)

Nach der Pause hat mich dann doch ein wenig die Müdigkeit gepackt. Aber das ist wahrscheinlich mehr auf Tschechow zurückzuführen, als auf Peter Eötvös feinfühliges Klangarrangement, dem in den vertrakten Liebesszenen sogar ein wenig Streicherseligkeit aus seiner Komponistenfeder in die Partitur getropft ist...

Und ich bin ihm deshalb gewiss nicht böse. Denn Tschechow hat mich noch nie besonders fasziniert. Mich hat diese plattitütenhafte Wehleidigkeit seiner Figuren schon immer gestört. Dank Eötvös hat sich dieser Eindruck gemildert. In gewisser Weise baut die Musik einen Seelenraum dazu, in dem Sätze wie "Kann nicht mehr leben ohne Sie" ganz anders nachhallen, als wenn sie nur "einfach" gesprochen werden. Das Orchester wird zum Resonanzboden für diese Allerwelts-Gefühle und verschafft ihnen Platz für eine individuelle Dramatik. Ein komponiertes "Psychogramm", einer dramaturgischen Analytik unterworfen, theaterwirksam aufgebaut: Eötvös Oper funktioniert.

Um ganz dieser musikalischen Tonsprache inne zu werden, die die Redseligkeit der Tschechow'schen Figuren in eine Seele kleidet, der man auch die inneren Erschütterungen nachfühlen kann, hat eine Aufführung natürlich nicht gereicht. Aber der richtige "Ton" scheint getroffen, das "Narkotikum" der Konversation wirkt ebenso, wie die Untermauerung des Schmerzes, der aus den Figuren spricht, die allen Erfahrungen zum Trotz weiterleben, geliebt oder ungeliebt, erfüllt von der Sehnsucht nach dem Paradies, das in diesem Falle "Moskau" heißt. Aber die Musik bleibt, wie schon angesprochen, nicht nur bei einem den Konversationston ummalenden Klangarrangement. Wenn im dritten Teil die versammelte Gesellschaft partiturgetreu in Teehäferln rührt und so beiläufig rhythmisches "Gelöffel" von sich gibt, wird die Oberflächlichkeit der handelnden Personen einem zwar gleichsam auf dem "Tablett" serviert. Aber Eötvös lässt nicht nur in leerem Teeschalen klangvoll imaginär Zuckerstückchen löffelgetrieben herumwirbeln, er glaubt an die Verinnerlichung der Figuren in den Momenten ihrer Liebessehnsucht und Weltschmerzattitüden. Das schafft, vor allem in den Liebesszenen, die alle so hoffnungslos zum Scheitern verurteilt sind, jenen emotionalen Background, der aus der Konversation ein Empfindungsdrama schafft. Eötvös ist eben Pragmatiker, auch als Komponist.

Dabei haben er und Claus H. Henneberg das Originalstück filetiert und einzelne Scheibchen in drei großen "Sequenzen" samt einem Prolog zusammengesetzt. Es wird jeweils drei Mal im Grunde dieselbe Geschichte erzählt, einmal aus dem Blickwinkel Irina's, einmal aus dem Blickwinkel Andrej's, einmal aus dem Blickwinkel Mascha's. Dabei wird auch die Linearität von Tschechow's Drama durchbrochen - auch innerhalb der einzelnen Sequenzen. Durch dieses formale Arrangement werden bestimmte grundlegende Handlungsmomente, wie beispielsweise der Brand oder der Abzug des Regimentes (=der Abschied) über einzelne Sequenzen parallelisiert, auch musikalisch, was Erinnerungseffekte erzeugt und die Gemeinsamkeit der zugrundeliegenden Konflikte herausstreicht. Wenn es da schon im Prolog heißt "Alles wird zur Erinnerung, und für uns beginnt ein neues Sein" (im Prolog, der sich bezeichnenderweise aus den Schlussworten des IV. Aktes von Tschechow's Drama speist), dann kann dieser Satz auch als grundlegendes Konzept aufgefasst werden, nachdem Eötvös und Henneberg vorgegangen sind. Und Eötvös "Drei Schwestern" werden so zur Erinnerung an Tschechow's Stück, so, wie man es nach einem langen Theaterabend morgens träge aus dem Halbschlaf erwachend noch in "Erinnerung" haben könnte. Da liegt dann vielleicht der Grundkonflikt, der sich weiter und weiter ins Hoffnungslose perpetuiert, offen da, und das andere hat sich zu Musik verdichtet und aufgefächert, manchmal auch ein wenig ironisiert, wie Sonne ihr Licht zwischen Birkenblätter einer weiten russischen Landschaft streut, und da und dort einen weißen Kiesel aufblitzen lässt auf einem Gartenweg. Und so wie dieses gestreute Licht, streut Eötvös seine Klänge, vom fast derben, verzerrten Bläserton, der das "Thema" des Betrunkenen als Mischung aus Rülpsen und klagender Eingeweide stoßartig in den Raum speit, bis zum melodiensuchenden Klavier, das Mascha im "Kopf" herumklimpert, ein paar Phrasen denen sie nachsinnend nachspürt, denen sie nachhängt, wie ihren Erinnerungen: "Man machte mich zur Ehefrau. Ich war gerade achtzehn Jahre alt...".

Keine Frage, dass dahinter auch eine komplexe musikalische Struktur steckt, aber deren eingehende Würdigung sei der Musikwissenschaft überlassen. Einiges dazu kann man auch im Programmheft nachlesen, etwa über die Zuordnung von einzelnen Instrumenten zu bestimmten Personen oder über die kompositorische "Verwertung" der "Dreizahl" beispielsweise durch den Einsatz von Terzen. Eötvös lässt auch zwei Orchester spielen, ein kleines (von Musikern des Wiener Klangforums besetztes) im Orchstergraben und ein größeres (das Savaria Symphonieorchester) hinter der Bühne. (Das löst dann auch am Schluss, wenn sich plötzlich noch ein Zwischenvorhang in die Höhe hebt und man das zweite Orchester im Bühnenhintergrund erspäht, einen kleinen "Aha"-Effekt aus.) "Wenn aber die Sänger nicht laut sein dürfen, dann darf ich das Orchester vorn auch nicht laut haben" wird der Komponist im Programmheft zitiert. Interessanterweise merkt man das nicht wirklich, dass hier ein zweites Orchester werkt, wie ein "Verstärker" - es spricht für Eötvös, dass er die Möglichkeiten, die sich ihm bieten sehr dosiert und prägnant einsetzt. Das "Ambiente" bleibt letztlich fast durchwegs kammermusikalisch intim. Es ist die auf das genaueste berechnete Wirkung, was so besonders fasziniert, die Filigranarbeit eines Goldschmieds, die aus der Entfernung Effekt macht und doch auch im Detail so fein gearbeitet ist. Und je nach Lichteinfall lösen sich unterschiedliche Farbenspiele daraus, hüllen die melancholischen Leiden der Figuren in ein glitzerndes, manchmal auch etwas derbes oder ein wenig bloßstellendes musikgewirktes Kleid.

Über die japanisch-abstrahierende Inszenierung von Ushio Amagatsu bin ich mir weniger im Klaren. Die drei Schwestern, Countertenöre, ein von Eötvös gesetztes Verfremdungsmoment, um die Konflikte noch besser herauszuarbeiten, bewegen sich sehr gestisch langsam, in lange kimonoartige, weiße Kleider gesteckt, viel Rouge um die Augen und einen schwarzen etwas überschulterlangen Haarzopf rechtsschläfig herabhägend. Die helle, auf die Bühne aufgebrachte Spielfläche begrenzen im Hintergrund drei große, schwebend aufgehängte Rechtecke. Es gibt auf der Bühne keine Requisiten. Einmal wird ein Kerzenständer hereingetragen. Die vier Ecken der Spielfläche markieren an dünnen Seilen vom Schnürboden herabhängende Waagen. Die Bühne ist meist zu hell. Das Geschehen auf ihr wirkt statisch, auch wenn Amagatsu versucht, durch kleine Gesten, zu Handbewegungen tieferer Symbolik auszuholen. So bleibt mein Eindruck, dass die Musik und die optische Umsetzung sich nicht überdecken, dass erstere Emotionen sucht und zweitere aus dem Ganzen eine Art von "Zen"-Rätsel macht - und das ist der emotionalen Apperzeption nicht wirklich förderlich.

Das Theater an der Wien war sehr gut besucht, aber nicht ausverkauft - vor allem Plätze in "Randlagen" waren leer geblieben. Starker Beifall nachher für Peter Eötvös, aber auch für das sehr gut eingestellte Ensemble und die beiden Orchester. Wien hat inzwischen schon ein eingefleischtes Publikum für zeitgenössische Oper, und zumindest eine Festwochen-Premiere lässt sich damit auch im Theater an der Wien (fast) voll bekommen.