PARADISE RELOADED (LILITH)
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Eötvös Portal

Museumsquartier
29.10. 2013

(Uraufführung 25. Oktober 2013)

Musikalische Leitung: Walter Kobéra
Inszenierung: Johannes Erath
Ausstattung: Katrin Connan
Lichtdesign: Norbert Chmel

Orchester: amadeus-ensemble wien

Lucifer - David Adam Moore
Lilith - Annette Schönmüller
Adam - Eric Stoklossa
Eva - Rebecca Nelsen
Orakel 1 / Frau - Avelyn Francis
Orakel 2 / Frau - Christina Sidak
Orakel 3 / Frau - Anna Clare Hauf
Engel A - Gernot Heinrich
Engel B - Andreas Jankowitsch
Engel C - Michael Wagner


Paradise reloaded - 2. Vorstellung

(Dominik Troger)

Eine neue Oper von Peter Eötvös? Das weckt Erwartungen. Aber es ist das Eötvös’sche Schicksal, dass er immer an seiner Tschechow-Oper „Drei Schwestern“ gemessen wird. „Paradise reloaded (Lilith)“ scheint nicht in diese Fußstapfen treten zu wollen.

Peter Eötvös steht heuer im Fokus von Wien Modern des „Festivals für Musik der Gegenwart“, dass alljährlich um diese Jahreszeit vom Wiener Konzerthaus veranstaltet wird. Die Neue Oper Wien steuerte passender Weise im Rahmen des Festivals die Uraufführung der jüngsten Oper des Komponisten bei. Es handelt sich um eine Überarbeitung der in München 2010 uraufgeführten Oper „Die Tragödie des Teufels“.

„Die Tragödie des Teufels“ entstand auf der Basis einer Bearbeitung von Imre Madáchs 1883 uraufgeführtem Theaterstück „Die Tragödie des Menschen“. Die Grundstruktur wurde beibehalten – der Teufel führt Adam und Eva durch Epochen der Menschheitsgeschichte und zeigt ihnen die missratene Schöpfung – allerdings modernisiert und mit einem Mord am Finale: Adam tötet die schwangere Eva im Auftrag von Lilith, die laut jüdischer Mythologie Adams erste Frau gewesen ist. (Ursprünglich stammt der Lilith-Mythos aus Mesopotamien, wo Lilith als weiblich-geflügelte Göttin den Weltenbaum bewohnt hat. Aber bald hat ihr Ruf gelitten und sie wurde mit dämonischen Kräften in Beziehung gebracht. Lilith wird sogar im Alten Testament erwähnt. Jesaja 34,14 sagt Wikipedia, aber viele Übersetzungen umschreiben den Namen.)

In der Neufassung der Oper „Paradise reloaded (Lilith)“ haben Eötvös und sein Librettist Albert Ostermaier die Handlung zu Gunsten von Lilith umgebaut. Das Finale wurde ebenfalls verändert: ein an den Grausigkeiten der Welt verzweifelnder Adam schöpft aus Evas Schwangerschaft neue Hoffnung, Liliths Versuch mit Hilfe Lucifers Adam für sich zurück zu gewinnen scheitert. Sie bleibt alleine – und ebenfalls schwanger – zurück. Es folgt ein Neubeginn für alle Beteiligten – in einem neuen Paradies? Eötvös hat die Musik der Neufassung neu komponiert.

Im Gegensatz zu den „Drei Schwestern“, wo Tschechows Text kunstvoll adaptiert wurde, handelt es sich bei „Paradise reloaded“ um ein Stationendrama in 12 Bildern, das diese „Welt-Geschichte“ recht knapp und in einem nicht gerade sehr wortschöpferisch inspirierten Libretto zusammendrängt. Imre Madáchs sich an Goethes „Faust“ messendes Opus wurde von Ostermaier schon einigermaßen trivialisiert. Der weitgehende Verzicht auf Verfremdungsmechanismen führte außerdem dazu, dass das Bühnenleben von Adam und Eva in unserer „modernen“ Welt zuerst einmal beständig Gefahr lief, als Parodie begriffen zu werden – und die Inszenierung von Johannes Erath hat diesen Eindruck noch verstärkt.

Dabei scheinen Eötvös Musik und Ostermaiers Libretto neben durchaus parodistischen Elementen schon auf etwas „metaphysisch Großes und Existentielles“ zu zielen – und Lilith hat (im Gegensatz zu Adam und Eva) das Potential, eine spannende Operfigur abzugeben. (Man müsste für sie nur einen passenden aktuellen Rahmen finden, in dem sie ihre Persönlichkeit zielgerichtet entwickeln kann.) Die Dämonin wird „knallig“ in die Handlung eingeführt: Nach dem Himmelssturz zeigt sie Lucifer gleich einmal wie er an Gott Rache üben kann – indem er diesem Adam und Eva abspenstig macht. Aber dann tritt sie als Drahtzieherin zu stark in den Hintergrund, gewinnt keine Persönlichkeit, und das Publikum erfährt viel zu spät, welche (sehr menschlichen) Motive Lilith antreiben. Als sie endlich „Farbe bekennt“, schreibt der Abend schon das achte Bild. Immerhin ließ sich im Schlussdrittel der Handlung Lilith als „Urteufelin“ und „Höllenrose“ erahnen, als im mythologischen Sinne ältere „Schwester Kundrys“, als komplexes und vielschichtiges Wesen, das quer durch die Zeiten Anlass für dämonischen Hass und für dämonische Leiden ist. Doch in Summe war das zuwenig, um einen das schwach konturierte übrige Personal der Oper vergessen zu lassen.

Musikalisch erreichte Eötvös abschnittsweise viel Dichte, aber diese Momente symphonisch anmutender, sich ineinander schiebender Klangflächen, die noch am ehesten etwas von der „existentiellen Bedeutung“ eines biblischen Stoffes hätten vermitteln können, gingen zu rasch vorüber. Die Banalität des Alltags in Form eines mehr rezitativischen Dahineilens holte den Klangkünstler allzu rasch wieder ein. Der Orchestergraben war vielfältig bestückt, vor allem in den Bläsern reich ausgestattet, aber auch mit exotischen Schlaginstrumenten angereichert. Doch darf das Publikum in Sachen „Paradise reloaded“ nicht die Komplexität und emotionale Kongenialität als Maßstab nehmen, mit der Eötvös den „Drei Schwestern“ ins Herz geschaut hat. Die Koloraturen, mit denen Eva sich im Paradies die Zeit vertrieben hat, waren gewiss hübsch, das Bemühen, dem Text einen gewisse semantische Deutlichkeit zu belassen, grundsätzlich wünschenswert, aber klang das für einen Komponisten Marke Eötvös nicht fast schon ein bisschen zu „verbürgerlicht“?!

Die Inszenierung von Johannes Erath hat mehr die Parodie betont – Adam in grüner Short und Eva im Bikini waren recht nett anzuschauen. Leider ist es Erath und der Ausstatterin Katrin Connan nicht gelungen, die kompakte Handlung klar aufzuschlüsseln (aber daran scheitert schon das Libretto), immerhin schied der optische Rahmen mit den echten (!) Barockornamenten auf der fernen Hinterbühne des Museumsquartiers deutlich den Himmel von der Erde. Womöglich würde sich „Paradise reloaded“ ohnehin besser für eine konzertante Aufführung eignen? Die Bühne selbst wurde durch vier schräge, sich jeweils gegenüber stehende Elemente gekennzeichnet, die an zu flachgeratene Skate Tubes erinnerten. Da konnten die Sängerinnen und Sänger sich immerhin sportlich betätigen und drüberlaufen, entlangrutschen, hinunterpurzeln. Lucifer trug ein Paar netter Flügel (der gefallene Engel). Eifrig wurde mit Licht gearbeitet, das Publikum minutenlang mit Neonröhren geblendet, aber warum sollen immer nur ausführende Künstler im Rampenlicht stehen?

Gesungen wurde zwar mit Microports, aber die Besetzung war trotzdem vorzüglich: Annette Schönmüller mit elastischem Mezzo und starker Bühnenpräsenz als Lilith, Rebekka Nelsen mit einem beweglichen, auch zu zarten Tönen und Verzierungen fähigen Sopran (Eva im Gegensatz zu Lilith vor allem zum Leiden und zur Demut angehalten), sportlich der Adam von Eric Stoklossa mit eher hellem Tenor, und David Adam Moore als Teufel mit parodistischen Zügen. Manuela Leonhartsberger half in dieser Vorstellung den drei Frauen aus, weil eine von ihnen, gesundheitlich angeschlagen, eine schwierig zu singende Stelle auslassen musste. Walter Kobéra und das amadeus-ensemble wien widmeten sich umsichtig und überzeugend der musikalischen Umsetzung. Die Aufführung war sehr gut besucht, der Schlussapplaus stark, aber nicht enthusiastisch.

Fazit: Vielleicht gibt es in einigen Jahren eine neue Oper von Peter Eötvös, die nur mehr „Lilith“ heißt. Denn bekanntlich führen auch Umwege zum Ziel.