DER GOLDENE DRACHE
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Kammeroper
27. Februar 2023

Musikalische Leitung: Walter Kobéra

Inszenierung: Jan Eßinger
Bühne:
Sonja Füsti
Kostüm:
Benita Roth
Licht:
Franz Tscheck
Sounddesign:
Peter Böhm

Klangforum Wien PPCM Academy

Die junge Frau - Camilla Saba Davies
Die Frau über sechzig - Christa Ratzenböck
Der junge Mann - Felix Heuser
Der Mann über sechzig - Hans-Jürgen Lazar
Der Mann - Peter Schöne


Fauler Regiezahn
(Dominik Troger)

Ein fauler Zahn spielt die Hauptrolle im Musiktheaterstück „Der goldene Drache“ von Peter Eötvös. Die Vertonung des gleichnamigen Theaterstücks von Roland Schimmelpfennig wurde 2014 in Frankfurt am Main uraufgeführt und steht aktuell auf dem Spielplan der Kammeroper. (Premiere war am 14. Februar.)

Die Österreichische Erstaufführung ist sich für die kleine „Dependance“ des Theaters an der Wien am Fleischmarkt nicht ausgegangen, Bregenz (2015) und Innsbruck (2021) waren viel schneller. Aber Wien war seit der Jahrtausendwende ohnehin ein „Hotspot“ des Eötvösschen Musiktheaters. Vor allem Walter Koberá – musikalisch auch für die Produktion in der Kammeroper verantwortlich – hat sich in diesem Zeitraum stark für die Musiktheaterwerke des ungarischen Komponisten eingesetzt, der unter den zeitgenössischen Opernschaffenden, gemessen an den Aufführungszahlen, zu den erfolgreichsten zählt.

Erfolgreich ist auch der „Der goldene Drache“ unterwegs, wurde er seit der Uraufführung doch bereits rege nachgespielt. Der Webauftritt des Schott Verlages listet derzeit an die 70 Aufführungen. Hilfreich ist, dass das Stück von vornherein für eine kleine Besetzung konzipiert wurde. Bereits das Theaterstück von Roland Schimmelpfennig, 2009 am Wiener Akademietheater uraufgeführt, arbeitet mit der Idee, dass fünf Schauspieler den reichhaltigen Figurenkatalog abdecken und in verschiedene Rollen schlüpfen. Peter Eötvös hat für seine Einrichtung des Librettos den Text gestrafft und das Konzept des Rollentausches übernommen.

„Goldener Drache“ ist ein beliebter Name für asiatische Restaurants. Es gibt einen in Wien, in Wieselburg, in Linz, in Gera, in Hamburg, und nur Google weiß, wo sonst noch. „Der goldene Drache“ ist bei Schimmelpfennig und Eötvös zugleich Symbol für das Nebeneinander unterschiedlicher Kulturen und Gesellschaftsschichten, die trotz eines so vitalen Berührungspunktes wie der Nahrungsaufnahme wenig von einander wissen. Das freundliche Lächeln auf den Lippen des chinesischen Serviermädchens gegenüber den Restaurantgästen sagt wenig darüber aus, wie es um die Küche des Hauses wirklich bestellt ist. Die Sozialkritik Schimmelpfennigs, der dort illegale Beschäftigte vermutet, ist der Ausgangspunkt für diese Geschichte, die viele Figuren in rascher Szenenfolge durcheinanderwürfelt – und zu allem Überfluss noch eine Tierparabel in die Handlung einbaut.

Den (blutig)roten Faden durch den „Goldenden Drachen“ zieht der Zahn eines jungen Küchengehilfen, der illegal beschäftigt, weder Geld noch Anspruch auf eine „offizielle“ medizinische Versorgung hat. Seine Kollegen helfen ihm brutal mit einer Rohrzange, den schmerzenden Zahn los zu werden. Er wird daran verbluten. Den Zahn findet eine Stewardess in ihrem Suppenteller, die im Lokal zu Gast ist. Sie wird ihn am Schluss von einer Brücke einen Fluss werfen – von dieser Brücke wurde kurz zuvor die Leiche des verstorbenen Küchengehilfen „kollegial“ in den Fluten entsorgt. Die von Schimmelpfennig in die Handlung montierte Tierparabel von der Ameise und der Grille hat Eötvös beibehalten. Es wird dadurch für das Publikum nicht einfacher, den kurzen Szenen mit Aufmerksamkeit zu folgen. Die Spieldauer beträgt rund eineinhalb Stunden – ohne Pause.

Wie schon angemerkt, der Rollentausch ist ein zentraler formaler Aspekt des Stücks, den auch Eötvös beibehalten hat. Nicht nur er sorgt für „Verfremdung“. Schimmelpfennig lässt die Schauspieler außerdem unterschiedliche Positionen einnehmen, sie als handelnde Personen, dann wieder als Erzähler agieren. Ein aus Orchestermitgliedern gespeister „Chor“ streut mit komischem Effekt öfter mal ein gesprochenes: „Kurze Pause“ ein. Peter Eötvös kitzelt mit seinem „Klangtheater“ vielleicht schon zu viel Ironie aus dem Stück, bezieht er zum Beispiel am Beginn die Küchengeräusche im „Goldenen Drachen“ in seine Komposition mit ein: „Alte Köchin mit Wok-Pfanne mit Löffel rührend“ und ihre Kollegen sollen dazu rhythmisch das Gemüse schneiden. Die kurzen Szenen geben dem Geschehen ohnehin einen fast comicartigen Charakter und Eötvös hat über weite Strecken eine etwas spröde „Comicblasenmusik“ komponiert: Geräusche und Klangeffekte für das Kurzzeitgedächtnis, denen rezitativisch ausgerichtete Singstimmen gegenüber stehen. Eötvös betont deshalb, dass es sich beim „Goldenen Drachen“ dezidiert um „Musiktheater“ handle, wegen der Ausrichtung auf die Textverständlichkeit. (Im Programmheft zur Aufführung können die Ausführungen des Komponisten nachgelesen werden.)

Erst im dritten Teil schlüpft die Komposition aus der „Sprechblase“, stellen sich Momente emotionaler Betroffenheit ein – zuerst beim Tod der Grille, dann beim Abschied des Küchengehilfen, dessen Leiche in der vorletzten Szene von einer Brücke in den Fluss geworfen wird. Seine „Seele“ reist über die Weltmeere zurück nach China. Von leicht impressionistischen Aufwallungen in den Bläsern angeregt, schenkt Eötvös der Figur eine melancholische „Sopranarie“, mit der dieser Bühnencharakter Publikum und Welt Adieu sagt. In der letzten Szene wird dieser armen Seele der Zahn auf die Ewigkeitsreise nachgeschickt – und das Schlusswort hat der Chor: „Lange Pause“.

„Der goldene Drache“ bezieht sich nicht nur auf den Namen des Restaurants. Er spielt genauso mit Erwartungshaltungen des Publikums: das Mittagsmenü am Werktag, das mit asiatischen Kunstdrucken und Ornamenten angereicherte räumliche Ambiente, der (oft) sehr günstige Preis, die unverbindliche Freundlichkeit des Personals, die Essstäbchen und die Sojasauce. Diese Merkmale lassen sich in Wien finden, in Wieselburg, genauso wie in Linz oder in Hamburg. Damit einher geht ein charakteristisches „Milieu“ ostasiatischer Lebensart und -organisation, das eng mit dem Restaurantbetrieb verbunden ist. Dieses „Milieu“ lässt sich nicht einfach austauschen und zum Beispiel in eine italienische Pizzeria „umwandeln“. Peter Eötvös hat mit seinem „Klangtheater“ das Stück sogar tonal in diesem ihm ureigenen Milieu verortet, was eine reiche Palette an fernöstlichen Schlaginstrumenten belegt, die von zwei Percussionisten gehandhabt werden.

Ja, und dann kommen ein Regisseur (Jan Eßinger) und ein Dramaturg (Kai Weßler) des Wegs und finden salopp, dass ihnen das mit dem Restaurant nicht gefällt und sie machen aus dem Küchenpersonal eine Putzkolonne. Der sinnvolle Gesamtzusammenhang des Stücks wird buchstäblich „gekübelt“ und der Zuschauerraum der Kammeroper zum Betätigungsfeld von Reinigungsfachmännern und -frauen. Die Welt der Reinigungsfachkräfte generiert jedoch ein ganz anderes Milieu, das weder Schimmelpfennig noch Eötvös abgebildet haben (was sie ohne weiteres hätten tun können) – und hätte Eötvös für eine Putzkolonne nicht eine andere Musik komponiert? Beiden war offenbar klar, dass „Der goldene Drache“ als ostasiatisches Restaurant in seiner Symbolkraft und in seiner Wechselwirkung als Begegnungsstätte unterschiedlichster Gesellschaftsschichten für das Theater weit mehr zu bieten hat, als ein staubsaugerbewährter Putztrupp, der in der Regel zu Tageszeiten operiert, an denen er durch möglichst wenige Menschen gestört werden kann.

Die szenische Lösung war insgesamt etwas eigenartig. Der Bühnenhintergrund war mit einem roten Vorhang abgetrennt worden, davor waren ein paar Theatersessel angebracht auf denen Statisterie als „Publikum“ saß. Die Fläche davor wurde bespielt, ebenso wie der Zuschauerraum. Gleich rechts beim Eingang hat man eine Publikumsgarderobe mit großem Wandspiegel hingestellt. Ein paar Putzkübel standen herum, ein Staubsauger war einsatzbereit. Zwei Sängerinnen und drei Sänger steckten in ihrer Putztruppkluft und kamen ihrem Job nach.

Natürlich hätte man die raschen Szenenübergänge für das Publikum prägnanter gestalten, die Szenen selbst – etwa durch mehr Requisiten – deutlicher und satirischer ausarbeiten können. Dadurch wäre es dem Auditorium leichter gefallen, der Handlung zu folgen. Aber spätestens dann, wenn die sexuell ausgebeutete Grille, die von einem jungen Tenor gemimt wird, weitgehend nackt und in oranger Unterhose herumläuft, ist man wieder bei dem gleichen szenischen Schmarrn angekommen, der sich landauf landab nur mehr in der Farbe der Unterwäsche voneinander unterscheidet. Ich schreibe bewusst „Schmarrn“. Eine Besucherin hat es nach der Vorstellung beim Stauen im engen Stiegenaufgang der Kammeroper etwas deftiger ausgedrückt. Zum großen Glück waren die Ausführenden textdeutlich unterwegs, und was die Regie verabsäumt beziehungsweise umgemodelt hat, konnte man sich auf diese Weise doch noch richtig zusammenreimen. (Die Übertitelanlage ist je nach Sitzplatz nicht so ideal angebracht, außerdem sah, wer mit den Augen an der Lesezeile klebte, von den oft im Raum agierenden Mitwirkenden zu wenig.)

Die dankbarste Rolle hatte Camilla Saba Davies, die als junge Frau den zahngeplagten Küchenjungen beisteuerte – und die ihren finalen ariosen Abschied für ergreifende Bühnenmomente nützte. Christa Ratzenböck bestach als herrisch-heuchlerische Ameise, die über den Tod der Grille so empört ist, weil sich mit ihr jetzt keine Geschäfte mehr machen lassen. Felix Heuser lieh der Grille einen sensiblen, lyrischen Tenor, der recht gut zu dieser erst lebenslustigen, dann gequälten Kreatur passte. Hans-Jürgen Lazar war ein bestimmter „Mann über sechzig“, der mit der Rohrzange umzugehen weiß und Peter Schöne stellte seinen „Mann“ bei. An der musikalischen Ausführung gab es ohnehin nichts auszusetzen und Walter Koberá am Pult der Klangforum Wien PPCM Academy hielt die Zügel straff in der Hand. Der Raumklanggenuss durch die links und rechts auf der Galerie postierten Percussionisten war natürlich vom Sitzplatz abhängig und auf den billigen Plätzen am Saalende weniger optimal.

Als szenische Schlusspointe öffnete sich der rote Vorhang und gab den Blick auf eine bühnenhohe mit Schachteln vollgeräumte Stellage frei. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte ich mein für das Regieteam wenig schmeichelhaftes Urteil über die Inszenierung ohnehin schon gefällt. Es gibt noch Aufführungen am 1. und am 3. März. Wer sich für das Werk von Peter Eötvös interessiert, sollte die Produktion trotz der gemachten Einwände nicht versäumen. Wer weiß, wann wieder die Gelegenheit dazu besteht. Die Vorstellung am Montagabend war sehr gut besucht, aber nicht ausverkauft. Es gab noch Plätze für Schnellentschlossene an der Abendkasse.