LE BALCON
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Museumsquartier
22.10.2005

Musikalische Leitung: Walter Kobéra
Inszenierung: Stephan Bruckmeier
Ausstattung: Christof Cremer
Lichtdesign: Norbert Chmel
Libretto nach dem gleichnamigen Theaterstück von Jean Genet von: Francoise Morvan, Peter Eötvös, André Markowitz

Orchester: Amadeus Ensemble Wien

Irma - Anna Clare Hauf
Carmen - Jowita Sip
La Fille - Maida Karisik
L'Eveque - Liviu Burz

Le Juge - Gernot Heinrich
Le Général - Dieter Kschwendt-Michel
Arthur - Stefan Cerny
Le Chef de la Police - Robert Rosenkranz

Roger - Bartolo Musil
L'envoyé de la Cour - Andreas Jankowitsch
Revolutionäre - Klara Steinhauser, Alexander Eschig, Robert Sadil


Opern-Chanson

(Dominik Troger)

„Le Balcon“ – die zweite Oper von Peter Eötvös wurde von der Neuen Oper Wien im Museumsquartier zur österreichischen Erstaufführung gebracht. Das Libretto folgt dem gleichnamigen Theaterstück von Jean Genet.

„Le Balcon“ ist als Auftragswerk der Festspiele in Aix-en-Provence entstanden und 2002 uraufgeführt worden. Die Oper hat einen starken Frankreichbezug. Eötvös betont im Programmheft, dass man das Werk wegen der engen Verbindung zwischen Sprache und Musik nur in Französisch aufführen könne. (Im Museumsquartier mit deutschen Übertiteln.) Genet hatte in Frankreich zu Lebzeiten einiges an Skandalpotential (die Uraufführung von „Le Balcon“ kam 1960 erst über mehrere Umwege zustande) – für österreichische Verhältnisse ist das kaum von Belang.

Genet spielt mit Identitäten: die Besucher des Bordells „Le Balcon“ zahlen dafür, sich als Bischof, Richter, General „ausleben“ zu dürfen. Am Schluss wird die Bordellbesitzerin im Zuge eines revolutionären Umsturzes sogar zur neuen Königin ausgerufen; auch Bischof, Richter, General, übernehmen auf „sanften Druck“ des Polizeichefs hin ihre „gespielte“ Existenz in die „Realität“. Aber was ist schon real? Genet strickt ein lockeres, groteskes Handlungsmuster, revueartig und frivol. Bezogen auf die Opernfassung fällt auf, dass sich „Le Balcon“ dramaturgisch in zwei Hälften teilt. Zuerst wird das „Innenleben“ des Bordells präsentiert, die Neigungen von Bischof, Richter, General, hinauf bis zur Chefin werden dargestellt – ab dem Auftritt des Polizeichefs wird mit dieser Grundkonstellation „gearbeitet“. Der Polizeichef hält die Fäden in der Hand. Am Schluss sprengen drei Revolutionäre das Bordell in die Luft (szenisch habe ich das allerdings überhaupt nicht mitbekommen). Nur der Gesandte stapft Richtung Zuschauerraum davon, zumindest er dürfte überleben.

Eötvös entwickelt die Klangfarbe einer fraulich-rauchigen französischen Chansonstimme, die man als Zuhörer gut Irma, der Chefin des zwielichtigen Etablissements, zuordnen kann. Diese wird von filigranem Klangwerk umlagert, verquickt mit Jazzelementen, manchmal sogar von derberem Zirkusgetöne. Sie steigert sich von einem kurzen, revuehaften Beginn kontinuierlich und erreicht in einer langen, sehr intim komponierten Gesprächsszene zwischen Irma und einem ihrer „Mädchen“ den Höhepunkt. Eötvös feinstrukturierte, sehr solistisch orientierte Musik ist dann in ihrem Element. Sie funktioniert, solange sie auf die seelischen Befindlichkeiten der Bühnenfiguren eingehen kann, aber sie versagt, wo diese Befindlichkeiten von der fortschreitenden Handlung überrollt werden.

Konkret gesprochen: ab dem Auftritt des Polizeichefs fehlt ein musikalischer, vorwärtstreibender Kristallisationskern, der der veränderten Bühnensituation gerecht würde. Es fällt in diesem Zusammenhang auf, dass Eötvös als Konsequenz der Uraufführung das Orchester um eine Hammondorgel erweitert hat, die kleine Orchesterbesetzung von zwanzig Musikern „auffettend“. Ihm scheint die Problematik der solistischen Vereinzelung im Orchester schon bald bewusst geworden zu sein, die sich – wie ich das sehe – mit zunehmender Dauer einem Stück verweigert, bei dem (wie es Eötvös im Programmheft selbst formuliert hat) „die Bühnenaktionen explodieren“. Das Resultat für mich als Zuschauer war wenig zufriedenstellend: rasant schlug meine zunehmende Begeisterung nach rund einer Stunde in eine erträgliche (dank Eötvös klangkünstlerischem Genie) Langeweile um.

Die Inszenierung stellte „Le Balcon“ als karg eingerichteten Setzkasten auf die Bühne: Parterre vier Zimmer, erster Stock drei Zimmer. Das Bühnenbild lebte von gut gelösten Beleuchtungseffekten – förderte die „Vereinzelung“ der Bühnenfiguren aber mehr als ihr „Zusammenwirken“. Das brachte Vorteile, wenn die Neigungen von Bischof, Richter, General vorgeführt werden, verlor an Stringenz, wenn das Revolutionsgeschehen unmittelbar in die Geschehnisse eingreift. Abgesehen von Maschinengewehrsalven und Explosionsgeräuschen reduziert sich diese Revolution auf drei Soldaten – das Bühnengeschehen läuft quasi ohne „Öffentlichkeit“ ab (es sei denn, man wollte die Zuschauer dazuzählen?). Die Personenregie war gut auf die Musik abgestimmt, sehr gelungen fand ich das Zwiegespräch zwischen Puffmutter und Mädchen, während beide lange weiße Bänder aus Wäschegummi spannen, zusammenlegen, ornamental ins Bühnenbild einbauen. Je mehr die Handlung in den Vordergrund rückte, um so mehr verblasste die Inszenierung. Eigentlich schreit das Stück nach einer frivolen Show, geradezu kabarettartig, ein wenig ins Absurde übersteigert, aber das wurde nur hin und wieder angerissen (findet sich auch nur sehr bedingt in der Musik).

Die musikalische Umsetzung lief ohne Irritationen ab – soweit man das bei einem zeitgenössischen Werk, das man zum ersten mal hört, beurteilen kann. Die Sänger litten unter der schwierigen Akustik, die Töne verlieren sich schnell in der hohen Halle, eine intime Nähe zum Publikum, wie sie das Sujet erforderte, konnte sich nicht einstellen. Das Ensemble war gesanglich und schauspielerisch engagiert bei der Sache und wie immer muss man als Publikum dankbar sein, dass solche Produktionen trotz angespannter Kulturbudgets eine regelmäßige Auseinandersetzung mit aktuellstem Musiktheater ermöglichen. Die Aufführung war nicht ausverkauft, aber relativ gut besucht. Manche Sänger hatten auch ihren eigenen „Fanclub“ dabei. (Besprochen wurde die zweite Aufführung von Samstagabend.)