ANGELS IN AMERICA
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Museumsquartier Halle E
26. September 2019
Österreichische Erstaufführung

Musikalische Leitung: Walter Kobéra

Inszenierung: Matthias Oldag
Bühne & Kostüm: Nikolaus Webern
Klangregie: Christina Bauer
Lichtdesign: Norbert Chmel

amadeus ensemble wien

The Angel // Voice - Caroline Melzer
Harper Pitt // Ethel // Angel Antarctica - Sophie Rennert
Hannah Pitt // Rabbi Chemelwitz // Henry // Angel Asiatica -
Inna Savchenko

Louis Ironson // Angel Oceania - Franz Gürtelschmied
Roy Cohn // Ghost 1 // Angel Australia - Karl Huml
Prior Walter - David Adam Moore
Joseph Pitt // Ghost 2 // Angel Europe - Wolfgang Resch
Belize // Mr Lies // Woman // Angel Africanii - Tim Severloh

Vokalensemble: Momoko Nakajima, Johanna Zachhuber,
Jorge Alberto Martinez


Engel im Museumsquartier
(Dominik Troger)

Die Neue Oper Wien hat sich wieder einem Werk von Peter Eötvös gewidmet und lud zur Österreichischen Erstaufführung von „Angels in Amerika“ in das Wiener Museumsquartier.

Die 1980er-Jahre hatten es in sich: Aids,Tschernobyl, die Umwälzungen im Ostblock und Ronald Reagen. Der aus New York-stammende Schriftsteller Tony Kushner hat die Summe dieser Ereignisse in seinem Stück „Angels in America“ gezogen. Es wurde Anfang der 1990er-Jahre in zwei Teilen uraufgeführt und mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Die Oper basiert auf einer stark gekürzten Fassung des Stücks, die aber den Gang der Handlung im Wesentlichen beibehält.

Die Figuren, die einem auf der Bühne begegnen, werden vom Schicksal nicht verschont: Prior erkrankt an Aids, sein Freund Louis wird damit nicht fertig. Er geht eine Beziehung mit Joseph ein, der aber verheiratet ist, und der wegen Louis seine tablettensüchtige Frau verlässt. Der zweite Handlungsstrang befasst sich mit dem nach einem realen Vorbild entworfenen, skrupellosen Anwalt Roy Cohn, der ebenfalls an Aids erkrankt und daran stirbt. Er wird bis zuletzt abstreiten, dass er an dieser Krankheit leidet. Phantasien spielen eine große Rolle, Visionen, Halluzinationen, Engelerscheinungen: Prior soll als neuer Prophet wirken, er steigt sogar zu den Engeln in den Himmel auf, weist den Auftrag aber zurück – er möchte einfach nur weiterleben dürfen.

Die Kritik an einem bigotten, homosexuellenfeindlichen, heuchlerischen und unsozialen Milieu im Amerika der 1980er-Jahre ist die bestimmende Konstante des Stücks. Kushner hat sie aber mit einer leicht ironisch gefärbten, esoterisch-kabbalistischen Gedankenwelt unterlegt, aus der die unausweichliche Todesgewissheit der Protagonisten durchaus einen metaphysischen Hoffnungsfunken schlagen könnte. Während er kollektiv gepredigter Glücksverheißung kritisch begegnet, besteht für das Individuum die Chance, sich aus gesellschaftlichen Zwängen zu befreien, mit dem Ziel, ein – auch im transzendenten Sinne – erfülltes Leben zu führen. (Als Beispiel dafür diene die Figur des an Aids erkrankten „Propheten“ Prior Walter oder das „Comingout“ des Mormonen Joseph, der seiner Mutter seine Homosexualität beichtet – eine, wenn auch sehr „amerikanisch-emotionale“, Schlüsselszene. Ihnen steht der Anwalt Roy Cohn gegenüber, der an seiner Lebenslüge festhält.)

Es mag sein, dass diese mögliche spirituelle Ebene des Stücks erst heute, in der historischen Distanz greifbarer wird: Die Aids-Thematik hat ihren apokalyptischen Schrecken verloren, Tschernobyl ist zu einer „coolen“ Touristendestination mutiert, das Staunen über den Zusammenbruch des Sowjetimperiums kennen jüngere Generationen nur noch aus Berichten. Für die Oper müsste die inhaltliche Gewichtung, die Peter Eötvös und die Librettistin Mari Mezei vorgenommen haben, natürlich am Original des Stücks überprüft werden. Außerdem hat am Premierenabend die Übertitelungsanlage erst nach der Pause funktioniert, deshalb belasse ich es bei obigen „Vermutungen“.

Peter Eötvös ist nicht nur was seine Opernstoffe anbelangt ein „Weltreisender“. Nach dem „Tagebuch der Lady Sarashina“ aus dem japanischen Mittelalter, Anton Tschechovs „Drei Schwestern“ und Jean Genets „Le Balcon“ hat er mit „Angels in Amerika“ auch musikalisch den Sprung über den „großen Teich“ gewagt. Hat ihn beispielsweise bei „Le Balcon“ das französische Chanson inspiriert, so hat er sich für die Musik der „Angels“ Anregungen aus der amerikanischen Musiktradition geholt: Elemente des Musicals, der Popmusik, des Jazz, der Minimal-Music verschmelzen zu einer sehr stark am Klang orientierten, meist zurückhaltenden musikalischen Begleitung, die dem Text den Vortritt lässt und sich am Inhalt der Szenen orientiert – etwa wenn auch jüdische Weisen zu einem jüdischen Begräbnis oder Alltagsgeräusche wie der Verkehrslärm New Yorks am Beginn der Oper einfließen.

Dadurch verdichtet er den atmosphärischen Gehalt der Szenen, ohne sie „symphonisch“ zu überhöhen. Nur den Engel (The Angel), der Prior Walter die Bestellung zum Prophetenamt überbringt, lässt Eötvös in herkömmlichem Sinne „opernhaft“ agieren: eine gesanglich herausfordernde Sopranpartie. Ein Charakteristikum des Werkes ist die vom Komponisten vorgeschriebene elektronischen Verstärkung der Singstimmen, die möglicherweise den Eindruck des „Amerikanischen“ noch steigern soll. Wenn man sich akustisch daran gewöhnt hat, ist das Ergebnis ein für „zeitgenössische Ansprüche“ musikalisch und inhaltlich überraschend „bekömmliches“ Musiktheater, das auch breitere Publikumsschichten ansprechen könnte.

Großen Anteil am Premierenerfolg hatte die Inszenierung von Matthias Oldag, der fokussiert die Handlung trotz der vielen Szenenwechsel nicht aus den Augen verlor. Projektionen von Originalschauplätzen im Hintergrund, einige passende Requisiten im Vordergrund, die schnell getauscht werden konnten, (rutschiger) Bühnenschnee als klimatische und seelische Kälte vortäuschendes „Substrat“, und eine gelungene Personenregie erzählten die Geschichte mit gebotenem Respekt, aber auch mit Humor, wenn er angebracht war. Er hat die Visionen und Engelerscheinungen gut integriert – und die daraus entstandene Verschmelzung der verschiedenen Realitätszustände war durchaus im Sinne des Werkes.

Großen Anteil am Premierenerfolg hatten die überzeugende Besetzung und natürlich das Orchester unter der Leitung von Walter Kobéra. Die Sänger waren besonders herausgefordert. Sie mussten in verschiedene Rollen schlüpfen und sich bei den vielen Szenenwechseln rasch in neue Situationen einfinden. Die Beziehungsgeschichte um Prior, Louis und Joseph wurde von David Adam Moore, Franz Gürtelschmied und Wolfgang Resch im Charakter sehr gut gegeneinander abgestuft präsentiert: Moore in seiner aufwühlenden Darstellung des Aidskranken, Gürtelschmied als sein Freund mit tenoralem Glanz, Resch als Joseph mit lyrischem Bariton zurückhaltend bei der Identitätsfindung. Als Harper Pitt, Josephs Ehefrau, erlitt Sophie Rennert nicht nur den Verlust ihres Mannes, sondern auch Suchtzustände, die sie mitfühlend umsetzte. Karl Huml gab den Anwalt passend unsympathisch mit griffigem Bass. Caroline Melzer steuerte den Engel bei, der vom Schnürboden schweben durfte, und von Eötvös gesanglich am stärksten herausgefordert wurde. Countertenor Tim Severloh sang den unermüdlichen Krankenpfleger. Inna Savchenko steuerte überzeugend Josephs Pitts Mutter bei.

Fazit: Großer Beifall in der nahezu bis auf den letzten Platz gefüllten Halle E des Museumsquartiers nach etwas mehr als zweieinhalb Stunden (inklusive einer Pause). Weitere Vorstellungen gibt es noch am 28. und 29. September sowie am 1. Oktober 2019. Am 10. und am 12. Oktober gastiert die Produktion im Budapester MÜPA.