„Seichte Revue des Grotesken“
(Dominik Troger)
An
der Kammeroper steht bis knapp vor Weihnachten noch Gottfried von
Einems „Der Prozess“ auf dem Spielplan. Das ist eine gute
Gelegenheit, um ein wenig Opernhistorie zu betreiben und noch einmal
an das Kafka-Jahr zu erinnern: „weihnachtlich“ geht es dabei
aber nicht zu.
Einems „Prozess“, gefertigt nach dem gleichnamigen Roman von Franz
Kafka, wurde 1953 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt. Neben
„Dantons Tod“ und dem „Besuch der alten Dame“ hat Einems aus
biographischer Sicht zweites Bühnenwerk aber einen schweren Stand.
Augenscheinlich ist die Uraufführung bei den Salzburger Festspielen ein
Erfolg gewesen, aber kein sehr nachhaltiger, wobei dieser Erfolg stark
auf der szenischen und musikalischen Umsetzung der
Uraufführungsproduktion beruht haben dürfte, wie einige zeitgenössische
Kritiken vermuten lassen.
Wenn der Musikkritiker und Musikwissenschaftler Hans Heinz
Stuckenschmidt seine Eindrücke von dieser Uraufführung unter dem Titel „Der Prozeß – Probleme eines Opernerfolges“ (1)
subsumiert hat, dann muss man anerkennen, dass die „Probleme“ mit
Einems „Prozeß“ siebzig Jahre später nicht kleiner geworden sind – und
die Zahl der Aufführungen ist seit vielen Jahren ohnehin sehr
überschaubar.
Vielleicht liegt es daran, dass es der Musik nur phasenweise gelingt,
die durch das Libretto arg skelettierte Romanhandlung psychologisch
glaubwürdig zu beleben. Grundsätzliche Einwände haben in diesem Punkt
bereits Besprechungen der Uraufführung geäußert. Stuckenschmidt
schreibt pointiert: „Wenn man bei
den gesammelten, grausam klaren Stil Kafkas von einem dichterischen
Purismus reden kann, so drängt sich für Einems Musik eher das Wort
Potpourrismus auf.“ Und Erik Werba hat es in seiner Besprechung in der Wiener Zeitung (19. August 1953) noch direkter formuliert: „Das Wesentliche bleibt jedoch, daß Einem (...) an Kafka vorbeimusziert.“
Werba hatte den nachvollziehbaren Eindruck, dass sich der instrumentale
Teil von der Vertonung des Textes zu stark abhebt. Er schreibt: „(...) man hat oft den Eindruck, instrumentaler Part und vokale Aufgabe seien nicht gleichzeitig entstanden!“.
Es gibt eine auffallende Diskrepanz zwischen der Monotonie des
rhythmisch vertrakt durchgegliederten Sprechgesangs und dem die
Handlung vorantreibenden Orchester, das den Figuren kaum Charakter
verleiht oder eine seelische Entwicklung spürbar macht. Verbunden mit
dem „Jazz-Faible“ des Komponisten verschiebt sich das minutiös
entwickelte „Bedrohliche-absurde“ von Kafkas Text, das sich weniger in
den Dialogen manifestiert, sondern mehr aus der Prosa im Allgemeinen
entwickelt, bei Einem stark ins „Groteske“ – bis zu den
„showactgemäßen“ Klavierglissandi bei Josef K.s Hinrichtung. So lacht
denn also der existentiellen Not des Josef K. aus dem Orchester
höhnisch die Fratze des Todes entgegen, sei er Bote und Vollstrecker
welchen Gerichtes auch immer. Die Frauenfiguren sind schon bei Kafka
von einer mehr klischeehaften Erotik gekennzeichnet, was auf der Bühne
schnell in Langeweile kippt – und Einem hat versucht, diese Szenen ein
wenig mit Spätromantik und Puccini „aufzupeppen“. Dass „Der Prozeß“ gut
in den Strom existentialistischer „Kunst“ der Nachkriegsjahre passt,
ist unbestritten, und er ist von Zeitgenossen auch dort verortet worden.
2018 hat man sich bei den Salzburger Festspielen an das Werk erinnert
und unter HK Gruber konzertant aufgeführt. Im November 2018 gastierte
diese Aufführung im Wiener Konzerthaus. Von der Produktion mit dem ORF
Radio-Symphonieorchester ist auch eine CD erschienen. Die jetzige
szenische Produktion der Kammeroper basiert auf einer reduzierten
Orchesterfassung von Tobias Leppert, die Aufführungen an den Landesbühnen
Sachsen und in Regensburg zugrunde lag. Man hat an der Kammeroper den Figurenkatalog noch etwas
verdichtet.
Bei der Uraufführung haben der Regisseur Oscar Fritz Schuh und der
Bühnenbildner Caspar Neher über die Szene die bedrohlich-verworrene
„Topographie“ von Kafkas Roman wieder in Einems Werk „hereingeholt“. An
der Kammeroper hat man sich diesbezüglich erst gar keine Mühe gegeben. Stefan Herheim
hat aus dem „Prozeß“ eine klamaukhaftes „Künstlerdrama“ gebaut, bei dem
Gottfried von Einem selbst die Bühne betritt. Aber wenn Gottfried von
Einem mit seinem bekannten weißwallenden Bart im weißen Nachtgewand im
Bett liegt, wird der Bezug zu Kafkas Text endgültig aufgehoben. Was
übrig bleibt ist eine seichte Revue des Grotesken, ein vom „motorisch“
aufspielenden Orchester angetriebener „Totentanz“, dem der Komponist
selbst voranschreitet. Die erwähnten erotischen Szenen hat Herheim
stark sexualisiert, um nicht zu schreiben „pornographiert“.
Diese „Revue“ wirbelt zum Teil schwungvoll über die Bühne, scheitert
aber gerade dort, wo sie dem Werk dann doch noch einen „höheren Sinn“
abgewinnen möchte, etwa wenn Herheim plötzlich eine „Jesusfigur“ durch
das Zimmer des Advokaten geistern lässt (Sechstes Bild). So große
Ratlosigkeit erzeugt bei Rezipienten nicht einmal die Lektüre Kafkas.
Die Rede vor dem Gericht im vierten Bild muss Josef K. ganz
„sozialkritisch“ und plakativ an das Publikum bei eingeschalteter
Saalbeleuchtung richten – und am Schluss liegt Gottfried von Einem
wieder im Bett – vielleicht hat er alles nur geträumt? Aber
offensichtlich ist es ihm gelungen, eine „Oper“ zu komponieren? Wie
dieses eigentlich positiv zu bewertende Finale mit der Hinrichtung
Josef K.s in Einklang gebracht werden könnte, wirft allerdings weitere
Fragen auf.
Rein handwerklich war diese „Einem-Revue“ sehr gut umgesetzt und das
Ensemble hinterließ einen kompakten Eindruck. Die Protagonisten waren
gut ausgewählt und überzeugten mit viel singschauspielerischer
Qualität. Anne-Fleur Werner hat
die Frauenpartien verkörpert, und muss dabei kurz als Modell des Malers
Titorelli sogar nackten Busen zeigen. Herheim hat das Frauenbild – wie
erwähnt – stark sexualisiert, Werner hat sich intensiv darauf
eingelassen und noch dazu mit klarem Sopran geglänzt. Für Josef K.
hielt Robert Murray einen
lyrisch-nüchternen, in der Attacke schon etwas metallischen Tenor
bereit. Von den weiteren Mitwirkenden hinterließ nicht nur Alexander Grassauer als von der Regie zum Bischof beförderter Geistlicher einen starken Eindruck.
Auf der zum Teil transparenten Trennwand zwischen Orchester und
Vorderbühne, die sich auch öffnen ließ, wurde nach Bedarf eine
Stadtansicht von Salzburg projiziert und einmal kurz ein
Salzburg-Video eingespielt, wahrscheinlich um das „Künstlerdrama“
Gottfried von Einems durch einen Hinweis auf seine nicht friktionsfreie
Beziehung zu den Salzburger Festspielen zu „vertiefen“. Das Bühnenbild
bestand aus einem Zimmer mit einem Bett, dessen sparsames, antiquiert
wirkendes Mobiliar (inklusive Piano) nach Bedarf leicht adaptiert
wurde, manchmal öffnete sich auch der Blick aufs Orchester. Auch der
Zuschauerraum wurde ins Spiel einbezogen.
Walter Kobéra leitete die Klangforum Wien PPCM Academy,
die es mit einem „großen“ Orchester natürlich nicht aufnehmen konnte.
Vieles klang mir zu „schmal“– nicht nur die „Fanfaren“ des Gerichtes.
Durch die Platzierung des Orchesters im Hintergrund der kleinen Bühne
wurde allerdings die Textverständlichkeit verbessert. Das Publikum war,
so schien es, mit dem Gebotenen zufrieden und spendete reichlich
Schlussapplaus.
Fazit: Mit der erwähnten konzertanten Aufführung im Konzerthaus vor
sechs Jahren hat sich dieser Abend nicht messen können, aber dazu waren
die Voraussetzungen zu unterschiedlich.
(1) Berichte und Informationen: Österreichisches Forschungsinstitut
für Wirtschaft und Politik, 8. Jahrgang, Heft 340 vom 21. August
1953.