DER PROZESS
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Kammeroper
14. Dezember 2024

Musikalische Leitung: Walter Kobéra
Inszenierung: Stefan Herheim
Bühne: Silke Bauer
Kostüm: Nina Paireder
Licht: Franz Tscheck

Bearbeitung für kleines Orchester von Tobias Leppert, Premiere am 5.12.24

Klangforum Wien PPCM Academy

Josef K. - Robert Murray
Die Frau - Anne-Fleur Werner
Franz / Fabrikant / Der Geistliche - Alexander Grassauer

Willem / Advokat - Timothy Connor
Der Aufseher / Der Kanzleidirektor - Leo Mignonneau
Der Student / Titorelli / 1. Junger Mann - Valentino Blasina
Gerichtsdiener / Der Passant / 2. Junger Mann - Lukas Karzel
Der Untersuchungsrichter / Onkel Albert / 3. Junger Mann - Philipp Schöllhorn

Stumme Figur:
Kafka - Fabian Tobias Huster


Seichte Revue des Grotesken

(Dominik Troger)

An der Kammeroper steht bis knapp vor Weihnachten noch Gottfried von Einems „Der Prozess“ auf dem Spielplan. Das ist eine gute Gelegenheit, um ein wenig Opernhistorie zu betreiben und noch einmal an das Kafka-Jahr zu erinnern: weihnachtlich geht es dabei aber nicht zu.

Einems „Prozess“, gefertigt nach dem gleichnamigen Roman von Franz Kafka, wurde 1953 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt. Neben „Dantons Tod“ und dem „Besuch der alten Dame“ hat Einems aus biographischer Sicht zweites Bühnenwerk aber einen schweren Stand. Augenscheinlich ist die Uraufführung bei den Salzburger Festspielen ein Erfolg gewesen, aber kein sehr nachhaltiger, wobei dieser Erfolg stark auf der szenischen und musikalischen Umsetzung der Uraufführungsproduktion beruht haben dürfte, wie einige zeitgenössische Kritiken vermuten lassen.

Wenn der Musikkritiker und Musikwissenschaftler Hans Heinz Stuckenschmidt seine Eindrücke von dieser Uraufführung unter dem Titel „Der Prozeß – Probleme eines Opernerfolges“ (1) subsumiert hat, dann muss man anerkennen, dass die „Probleme“ mit Einems „Prozeß“ siebzig Jahre später nicht kleiner geworden sind – und die Zahl der Aufführungen ist seit vielen Jahren ohnehin sehr überschaubar.

Vielleicht liegt es daran, dass es der Musik nur phasenweise gelingt, die durch das Libretto arg skelettierte Romanhandlung psychologisch glaubwürdig zu beleben. Grundsätzliche Einwände haben in diesem Punkt bereits Besprechungen der Uraufführung geäußert. Stuckenschmidt schreibt pointiert: „Wenn man bei den gesammelten, grausam klaren Stil Kafkas von einem dichterischen Purismus reden kann, so drängt sich für Einems Musik eher das Wort Potpourrismus auf.“ Und Erik Werba hat es in seiner Besprechung in der Wiener Zeitung (19. August 1953) noch direkter formuliert: „Das Wesentliche bleibt jedoch, daß Einem (...) an Kafka vorbeimusziert.“ Werba hatte den nachvollziehbaren Eindruck, dass sich der instrumentale Teil von der Vertonung des Textes zu stark abhebt. Er schreibt: „(...) man hat oft den Eindruck, instrumentaler Part und vokale Aufgabe seien nicht gleichzeitig entstanden!“.

Es gibt eine auffallende Diskrepanz zwischen der Monotonie des rhythmisch vertrakt durchgegliederten Sprechgesangs und dem die Handlung vorantreibenden Orchester, das den Figuren kaum Charakter verleiht oder eine seelische Entwicklung spürbar macht. Verbunden mit dem „Jazz-Faible“ des Komponisten verschiebt sich das minutiös entwickelte „Bedrohliche-absurde“ von Kafkas Text, das sich weniger in den Dialogen manifestiert, sondern mehr aus der Prosa im Allgemeinen entwickelt, bei Einem stark ins „Groteske“ – bis zu den „showactgemäßen“ Klavierglissandi bei Josef K.s Hinrichtung. So lacht denn also der existentiellen Not des Josef K. aus dem Orchester höhnisch die Fratze des Todes entgegen, sei er Bote und Vollstrecker welchen Gerichtes auch immer. Die Frauenfiguren sind schon bei Kafka von einer mehr klischeehaften Erotik gekennzeichnet, was auf der Bühne schnell in Langeweile kippt – und Einem hat versucht, diese Szenen ein wenig mit Spätromantik und Puccini „aufzupeppen“. Dass „Der Prozeß“ gut in den Strom existentialistischer „Kunst“ der Nachkriegsjahre passt, ist unbestritten, und er ist von Zeitgenossen auch dort verortet worden.

2018 hat man sich bei den Salzburger Festspielen an das Werk erinnert und unter HK Gruber konzertant aufgeführt. Im November 2018 gastierte diese Aufführung im Wiener Konzerthaus. Von der Produktion mit dem ORF Radio-Symphonieorchester ist auch eine CD erschienen. Die jetzige szenische Produktion der Kammeroper basiert auf einer reduzierten Orchesterfassung von Tobias Leppert, die Aufführungen an den Landesbühnen Sachsen und in Regensburg zugrunde lag. Man hat an der Kammeroper den Figurenkatalog noch etwas verdichtet.

Bei der Uraufführung haben der Regisseur Oscar Fritz Schuh und der Bühnenbildner Caspar Neher über die Szene die bedrohlich-verworrene „Topographie“ von Kafkas Roman wieder in Einems Werk „hereingeholt“. An der Kammeroper hat man sich diesbezüglich erst gar keine Mühe gegeben. Stefan Herheim hat aus dem „Prozeß“ eine klamaukhaftes „Künstlerdrama“ gebaut, bei dem Gottfried von Einem selbst die Bühne betritt. Aber wenn Gottfried von Einem mit seinem bekannten weißwallenden Bart im weißen Nachtgewand im Bett liegt, wird der Bezug zu Kafkas Text endgültig aufgehoben. Was übrig bleibt ist eine seichte Revue des Grotesken, ein vom „motorisch“ aufspielenden Orchester angetriebener „Totentanz“, dem der Komponist selbst voranschreitet. Die erwähnten erotischen Szenen hat Herheim stark sexualisiert, um nicht zu schreiben „pornographiert“.

Diese „Revue“ wirbelt zum Teil schwungvoll über die Bühne, scheitert aber gerade dort, wo sie dem Werk dann doch noch einen „höheren Sinn“ abgewinnen möchte, etwa wenn Herheim plötzlich eine „Jesusfigur“ durch das Zimmer des Advokaten geistern lässt (Sechstes Bild). So große Ratlosigkeit erzeugt bei Rezipienten nicht einmal die Lektüre Kafkas. Die Rede vor dem Gericht im vierten Bild muss Josef K. ganz „sozialkritisch“ und plakativ an das Publikum bei eingeschalteter Saalbeleuchtung richten – und am Schluss liegt Gottfried von Einem wieder im Bett – vielleicht hat er alles nur geträumt? Aber offensichtlich ist es ihm gelungen, eine „Oper“ zu komponieren? Wie dieses eigentlich positiv zu bewertende Finale mit der Hinrichtung Josef K.s in Einklang gebracht werden könnte, wirft allerdings weitere Fragen auf.

Rein handwerklich war diese „Einem-Revue“ sehr gut umgesetzt und das Ensemble hinterließ einen kompakten Eindruck. Die Protagonisten waren gut ausgewählt und überzeugten mit viel singschauspielerischer Qualität. Anne-Fleur Werner hat die Frauenpartien verkörpert, und muss dabei kurz als Modell des Malers Titorelli sogar nackten Busen zeigen. Herheim hat das Frauenbild – wie erwähnt – stark sexualisiert, Werner hat sich intensiv darauf eingelassen und noch dazu mit klarem Sopran geglänzt. Für Josef K. hielt Robert Murray einen lyrisch-nüchternen, in der Attacke schon etwas metallischen Tenor bereit. Von den weiteren Mitwirkenden hinterließ nicht nur Alexander Grassauer als von der Regie zum Bischof beförderter Geistlicher einen starken Eindruck.

Auf der zum Teil transparenten Trennwand zwischen Orchester und Vorderbühne, die sich auch öffnen ließ, wurde nach Bedarf eine Stadtansicht von Salzburg projiziert und einmal  kurz ein Salzburg-Video eingespielt, wahrscheinlich um das „Künstlerdrama“ Gottfried von Einems durch einen Hinweis auf seine nicht friktionsfreie Beziehung zu den Salzburger Festspielen zu „vertiefen“. Das Bühnenbild bestand aus einem Zimmer mit einem Bett, dessen sparsames, antiquiert wirkendes Mobiliar (inklusive Piano) nach Bedarf leicht adaptiert wurde, manchmal öffnete sich auch der Blick aufs Orchester. Auch der Zuschauerraum wurde ins Spiel einbezogen.

Walter Kobéra leitete die Klangforum Wien PPCM Academy, die es mit einem „großen“ Orchester natürlich nicht aufnehmen konnte. Vieles klang mir zu „schmal“– nicht nur die „Fanfaren“ des Gerichtes. Durch die Platzierung des Orchesters im Hintergrund der kleinen Bühne wurde allerdings die Textverständlichkeit verbessert. Das Publikum war, so schien es, mit dem Gebotenen zufrieden und spendete reichlich Schlussapplaus.

Fazit: Mit der erwähnten konzertanten Aufführung im Konzerthaus vor sechs Jahren hat sich dieser Abend nicht messen können, aber dazu waren die Voraussetzungen zu unterschiedlich.

(1) Berichte und Informationen: Österreichisches Forschungsinstitut für Wirtschaft und Politik, 8. Jahrgang, Heft 340 vom 21. August 1953.