DER PROZESS
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Konzerthaus
22. November 2018
Konzertante Aufführung

Musikalische Leitung: HK Gruber

Josef K. - Michael Laurenz
Franz, Onkel Albert, Kanzleidirektor - Tilmann Rönnebeck
Der Aufseher, Ein Passant, Der Fabrikant, Der Geistliche
- Martin Winkler
Willem, Der Gerichtsdiener, Der Advokat - Markus Butter
Frau Grubach - Anke Vondung
Fräulein Bürstner, Frau des Gerichstdieners,
Leni, Ein buckliges Mädchen - Ilse Eerens

Ein Bursche, Erster Herr - Jan Petryka
Der Untersuchungsrichter, Der Prügler - Wolfgang Bankl
Der Student, Der Direktor-Stellvertreter -
Matthäus Schmidlechner

Zweiter Herrl - Martin Kiener
Dritter Herr - Daniel Gutmann
Titorelli - Szabolcs Brickner


Ein unzeitgemäßes Zeitstück
?“
(Dominik Troger)

Das Konzerthaus lud im Rahmen seines Wien Modern-Festivals zu einer konzertanten Aufführung von Gottfried von Einems Oper „Der Prozeß“. Die Oper wurde 1953 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt. Sie beruht auf Franz Kafkas Romanfragment „Der Prozeß“.

Nach den szenischen Produktionen von „Dantons Tod“ (Staatsoper) und „Der Besuch der alten Dame“ (Theater an der Wien) konnte sich das Wiener Publikum in diesem Jahr nun mit einem weiteren Bühnenwerk des 1996 verstorbenen Komponisten bekannt machen. Bereits diesen Sommer bei den Salzburger Festspielen unter der Leitung von HK Gruber konzertant aufgeführt, wurde „Der Prozeß“ jetzt im Konzerthaus in Teils geänderter Besetzung gegeben. Das Interesse war dem Anlass angemessen, aber nicht so groß, dass das Konzerthaus „aus allen Nähten" geplatzt wäre. Und wer sich an diesem Abend – durch die genannten, erfolgreichen Aufführungen von „Dantons Tod“ und „Der Besuch der alten Dame“ ermutigt – an den inzwischen selten gespielten „Prozeß“ gewagt hat, ist im Nachhinein vielleicht sogar ein wenig enttäuscht gewesen: Gottfried von Einems – in chronologischer Sicht – zweite Oper gibt sich „spröder“ als die Obgenannten und ist von der Dramaturgie weniger überzeugend.

Auch die Rezeptionsgeschichte stärkt die Vermutung, dass „Der Prozeß“ langfristig gesehen beim Publikum weniger gut reüssiert hat. Zumindest an den Aufführungszahlen der Wiener Staatsoper lässt sich das deutlich ablesen: Hier liegen „Der Besuch der alten Dame“ (39 Vorstellungen) und „Dantons Tod“ (27 Vorstellungen) weit vor dem „Prozeß“ (14 Vorstellungen – siehe Online-Archiv der Wiener Staatsoper). Die von Franz Kafka inspirierte Oper wanderte von der Salzburger Uraufführung zuerst für vier Vorstellungen ins Theater an der Wien – nach dem Krieg bis 1955 die Ausweichspielstätte der Wiener Staatsoper. 1970 versuchte man eine Neubelebung des Werkes im Haus am Ring, die sich aber nur zwei Saisonen lang auf dem Spielplan halten konnte.

Kafka hat den „Prozeß“ als „Textkonvolut“ hinterlassen, aus dem Max Brod nach Kafkas Tod den 1925 erschienenen Roman „editiert“ hat. Die Handlung wird stark von Kafkas sachlicher Prosa bestimmt, die atmosphärisch ausfüllt, was dem Leser und Josef K. an Wissen über den Prozess, der ihm gemacht wird, abgeht. Die Bedrohungssituation, der sich dieser Josef K. gegenübersieht, ist mehr diffuser Natur, er spürt die Gefahr, aber weiß nichts von ihrer Ursache, er weiß nicht, wie er ihr begegnen könnte, er findet kein Ziel, gegen das sich sein Aufbegehren würde richten können.

Diese in dramaturgischem Sinn durchaus problematische Stellung verschärft sich in die Oper dahingehend, dass Josef K. der „große Gegenspieler“ fehlt und die Musik Kafkas Prosa atmosphärisch ersetzen muss. Josef K. ähnelt in manchen pathetischen Anwandlungen zwar Gottfried von Einems Opernfigur Danton, aber statt der Konkretheit eines Revolutionsgerichtes, richtet Josef K. sein Aufbegehren gegen eine vage „Dachbodengerichtsbarkeit”, die für das Publikum nur in subalternen, teils grotesken Figuren greifbar wird, an denen das Pathos von Josef K. ebenso abtropft wie seine Verzweiflung. Besonders die Frauenfiguren und ihre wenig ausdifferenzierte Stellung zu Josef K. sind ein Schwachpunkt des Librettos. Auch die Musik hilft hier nicht weiter, die Spannung lässt in diesen Szenen stark nach, eine „spätmahlerische Klanglichkeit“ rührt ans Gemüt. Ulrich Schreiber verwendet in seinem „Opernführer für Fortgeschrittene“ (Band 3, Teil II, 2. Auflage, 2010) dafür den Begriff „klischeehaft“ – und es war auch während dieser Aufführung zu beobachten, wie die Spannung in diesen Szenen stark abflachte.

Einems Musik überzeugt dort, wo sie mit ostinatohaftem Gebrauch ihre Rhythmik forciert und die Bläser ins Rennen schickt. Das Gericht und die davon ausgehende Bedrohung manifestiert sich in diesen Passagen mit einer absurd-grotesken, manchmal fanfarenartig verkündeten Gewalt, der sich alles unterordnen muss – natürlich auch der Sprechgesang der Figuren, die Einem musikalisch an einem sehr straffen „Zügel“ hält. Dazu gesellen sich jazzartige Einsprengsel, die manchmal fast wie Stilbrüche wirken, und die einen als Zuhörer letztlich doch ein wenig fragend zurücklassen: Wenn sich zum Beispiel im Finale Fräulein Bürstner einen Schlager trällernd davonmacht, wird dann das Schicksal des Josef K. von einer Grimasse des Entsetzens begleitet oder handelt es sich um das infernalische Lachen des Gerichtes oder mischt sich gar ein parodistischer Zug in seine Abschlachtung? Vielleicht wird die in der Oper aufgebaute Bedrohungssituation, für das heutige Theater zu wenig greifbar. 1953 hat man dieses vage Gefühl noch mit der Erinnerung an die Schrecken der eben erst erlebten Vergangenheit auffüllen können, was auch die positive Aufnahme der Oper bei und nach der Uraufführung erklären würde. Der existentialistische Zug des Werkes passte bestens zur damaligen Epoche und wirkt heute vielleicht ein wenig “antiquiert“.

Eine Ursache für die angesprochenen Zweifel mag natürlich auch bei der konkreten, konzertanten Aufführungssituation im Konzerthaus zu suchen sein. Wenn man sich den Mitschnitt von der Uraufführungsproduktion anhört, dann ahnt man – wie bereits angesprochen –, dass sich die emotionale Beteiligung der Mitwirkenden damals an sehr konkreten Erfahrungen hat entzünden können (und so eine Besetzung würde man sich natürlich heute noch wünschen): Das stimmlich manchmal schon leicht „gebrochene” heldentenorale Pathos von Max Lorenz gibt Josef K. den tragischheroischen Zug eines Wagnerhelden (sozusagen ein Tannhäuser in der Romerzählung) und Karl Böhms trocken-sachliches Dirigat ist auch nicht zu verachten.

Im Konzerthaus traten HK Gruber und das ORF Radio-Symphonieorchester Wien jetzt immerhin zu einer beachtlichen Ehrenrettung für diese Oper an. Beachtlich auch Michael Laurenz als Josef K., der sich der Figur mehr von einem festen lyrischen Tenor aus näherte, was ihr aber weitgehend das „existentialistische“ Pathos nahm – ihn dafür jugendlicher zeichnete. Ilse Eerens differenzierte die Frauenfiguren vielleicht zu wenig aus, hier ist aber auch Einem wenig „kreativ“ gewesen. Viel Plastizität konnte Wolfgang Bankl aus dem Prügler herausholen, in diese Richtung müsste es bei der Interpretation wohl gehen. Der komturhafte Zug des Geistlichen (sein „Josef K.“ am Beginn der Domszene) lag Josef Winkler weniger, als die anderen drei von ihm verkörperten Figuren. Aufhorchen ließ Szabolcs Brickner als Titorelli mit einem nicht zu markanten, aber Charakter versprechenden lyrischen Tenor. Markus Butter steuerte seinen rund timbrierten Bariton bei. Da und dort hätte man sich bei den vielen Mitwirkenden mehr Ausdruck gewünscht. Die Oper benötigt ein fein abgestimmtes Ensemble, das den vielen unterschiedlichen Figuren und ihrer Stellung in der Handlung minutiös Rechnung trägt.

Das Publikum spendete am Schluss reichlich Beifall – und es war wichtig, diese Oper wieder einmal zur Diskussion gestellt zu haben. Eine szenische Produktion könnte die Frage nach der aktuellen Wertigkeit des Werkes aber wahrscheinlich besser beantworten – oder diesbezüglich zumindest Anregungen liefern.