DER BESUCH DER ALTEN DAME
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Theater
an der Wien Musikalische Leitung:
Michael Boder |
Claire Zachanassian
- Katarina Karneus Stumme
Rolle |
Anlässlich von Gottfried von Einems 100. Geburtstag gab im Theater an der Wien seine Oper „Der Besuch der alten Dame“ ein kräftiges Lebenszeichen von sich. 1971 an der Wiener Staatsoper uraufgeführt hat das Werk weder an Aktualität eingebüßt noch an absurd-bösartigem Humor verloren. Neben „Dantons Tod“ – der nächste Woche in der Wiener Staatsoper Premiere haben wird – ist „Der Besuch der alten Dame“ wahrscheinlich Gottfried von Einems publikumswirksamste Oper. Beiden Werken liegen aber auch – wenn man das so salopp formulieren darf – ausgesprochen theaterwirksame Texte zu Grunde. Beim Libretto für den „Besuch der alten Dame“ hat Friedrich Dürrenmatt sogar selbst Hand an sein Erfolgsstück gelegt, um es maßzuschneidern. Aber ist Dürrenmatts Stück nicht schon für sich allein so gut, dass es dazu keine Musik mehr braucht? Nicht unbedingt: Die Oper hat den Vorzug, die Handlung noch stringenter auf den Punkt zu bringen und Gottfried von Einem schrieb dazu eine – wie er es selbst genannt hat – „Theatermusik“, die einerseits die Handlung vorwärtstreibt andererseits dem Publikum auch jene Momente des emotionalen, fast „romantischen“ Ausruhens bietet, in denen das alte Thema dieser Kunstgattung – die Liebe – noch einmal unter ganz besonderen Vorzeichen im Zwiegespräch zwischen der „alten Dame“ Claire Zachanassian und ihrem ehemaligen Geliebten Alfred Ill anklingt Man könnte es jetzt – aus kompositorischer Sicht – kritisieren, dass Einem in seiner etwas eklektizistischen, tonalen Herangehensweise und bei dem für die Sänger nicht leicht zu treffenden parlandoartigen Stil der Singstimmen mehr eine „Filmmusik“ und weniger eine (bezogen auf das Uraufführungsjahr) „zeitgenössische Oper“ geschrieben hat. Aber für das Publikum der Wiener Staatsoper war das Werk damals „modern“ genug – und bei den Vorstellungen Anfang der 1980er-Jahre, die ich noch besucht habe, ist der Stehplatz laut meiner lückenhaften Erinnerung nicht gerade „übergequollen“ vor Besucherandrang und Begeisterung. (Es ist aber schwierig, über so lange Zeiträume die Erinnerung zu befragen – man weiß nie, wie weit man ihr noch trauen darf.) Jetzt wurde aber im Theater an der Wien der Beweis angetreten, dass eine kluge, bissige Regie, die dem Publikum die Geschichte nicht vorenthält, dass das von Dürrematt persönlich aus dem Theaterstück destillierte Libretto, und dass Einems Musik gemeinsam (!) für einen spannenden, witzigen und auch nachdenklich stimmenden Opernabend sorgen können, in dem die Moderne in abgemilderter Form dem auf das Kernrepertoire versessenen Publikum die Hand reicht, um ihm zuzuflüstern: Es gibt auch ein Musiktheater nach dem „Rosenkavalier“. Noch dazu bietet das Werk mit der Partie der „alten Dame“ und ihres auf der Abschussliste stehenden verflossenen Alfred zwei Rollen, die eine lohnende künstlerische Herausforderung darstellen: Da steht die unbeugsame Rachelust der gealterten Claire, die nicht ohne emotionale Anwandlungen in die Kleinstadt Güllen, der Wirkungsstätte ihrer Jugendjahre, zurückgekehrt ist, ihrer Jugendliebe Alfred gegenüber, der sich ihr einst mit sehr unsauberen Mitteln „entledigt“ hat, als sie von ihm schwanger geworden ist. Alfred ist eine jener zwiespältigen Opernfiguren, deren Bühnenexistenz trotz ihrer moralischen Fragwürdigkeit berührt, weil sie eine Entwicklung durchmachen, in der sie plötzlich dem unvermeidlichsten aller menschlichen Schicksale – dem Tod – gegenüberstehen. Und außerdem ist in das Stück eine herbe Kapitalismuskritik verpackt: Claire, die Milliardärin, kauft sich die Güllener, um ihre Rache an Alfred durchsetzen zu können. Sie repräsentiert das Kapital, das die Menschen mit Konsum betäubt und ihnen damit ihr Gewissen abkauft. Dürrematt und Einem haben aber den ideologisch eingefärbten Brecht’schen Zeigefinger vermieden – und dadurch hat die „alte Dame“ an „Zeitlosigkeit“ gewonnen und muss noch lange nicht „in Pension gehen“. Wie schon angesprochen, die Inszenierung von Keith Warner war ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg des Premierenabends. Warner beweist immer wieder, dass eine moderne, anspruchsvolle Opernregie auch möglich ist, ohne die Handlung des Librettos zu verbiegen oder szenisch möglichst unkenntlich zu machen. Warner zeigt die „Modernisierung“ Güllens unter der Einwirkung von Claires Finanzversprechen von einem mausgrauen Provinznest, in dem die Zeit stehen geblieben ist, hin zu einer modernen Stadt mit Supermarkt und Videowall. Einfache, flotte Umbauten auf offener Bühne während der Zwischenspiele sorgen für rasche Szenenwechsel: Modulartig werden die Bahnhofstoilette oder die „Plakataussicht“ des Konradsweilerwaldes oder Ills Kaufmannsladen ins Zentrum gerückt. Nur der Sarg, der im ersten Akt in einem Karton (der an die Produkte eines bekannten schwedischen Möbelhauses erinnert) angeliefert und dann zusammengebaut wird, ruht den ganzen restlichen Abend an der Rampe – und wird dann mit den Resten, des auf mehrere Müllbeutel verteilten, massakrierten Alfred Ill gefüllt. Im Finale durchbricht dann noch das Führerhaus eines Zuges frontal und in Originalgröße die Kulisse und holt die alte Dame ab – ein Schlusspunkt, der wie ein Sektkorken knallt. Die Szene wurde mit sehr viel Liebe zum Detail entwickelt, von alten Tourismusplakaten bis über die vom Schnürboden hängende Spielzeugeisenbahn, die in luftiger Höhe die Bühne überquert. Ein belebender Einfall war der schwarze Panther, der zum Leben erweckte Kosename Claires für Ill, der die „alte Dame“ drohend begleitete und mit seinem absurden katzenartigen Bühnendasein ein zusätzliches Spannungselement bildete. Die Regie hat sich zudem dem reichhaltigen Figurenkatalog mit Akribie gewidmet: nicht nur zum Beispiel Bürgermeister, Lehrer oder Pfarrer als eigenständige Persönlichkeiten herausgeputzt. Aber vielleicht ist Warner durch einen etwas trockenen britischen Humor ein bisschen der Blick auf die tragische Dimension des „Besuchs“ verstellt worden, auch wenn Ill im Finale durchaus Größe gewann, wenn auch sein Ende mehr deftig, denn mitleidsheischend ausgemalt worden ist. Die Massaker an Ill in der Bahnhofstoilette war eine etwas fragwürdige oder – positiver formuliert – „verschärfende“ Zuspitzung und sollte wahrscheinlich die allgemeine menschliche Enthemmung zeigen, die durch den von Claire Zachanassians versprochenen Geldsegen angeregt worden ist. Auch bezogen auf Claire selbst könnte man einwenden, dass Warner mit „schwarzem Humor“ das „hexenartige“ an der „alten Dame“ besonders betont hat, wodurch die Figur in ihrer Bedrohlichkeit und in ihrem Auftreten als „Femme fatale“ möglicherweise eine Spur zu „eindimensional“ geraten ist. Großen Anteil an dem Erfolg ist auch Michael Boder am Pult des RSO Wien zuzusprechen. Boder hat ein Händchen für „moderne Oper“, weiß ihre Vertracktheiten anschmiegsam zu machen und über der Struktur den Spannungsbogen nicht zu vergessen. Boder ist es auch gelungen, die durchaus klangvolle Partitur sehr gut in das – im Gegensatz zum Uraufführungsort – kleinere Theater an der Wien einzupassen und das Publikum nicht mit Lautstärke zu erschlagen. So blieb die Transparenz im Orchester, aber auch der Singstimmen gewahrt und in den romantischen Konradsweilerwaldpassagen spätmahlerte und frühhenzte es so streicherselig aus dem Orchester, dass es ein Genuss war. Die alte Dame wurde von Katarina Karneus interpretiert: eine Mezzostimme mehr mit Charakter denn klangvoll, aber zur Rolle passend. Ihre Stimme brauchte ein bisschen Anlaufzeit, hätte insgesamt vielleicht durch eine stärkere emotionale Ausgestaltung oder durch den kalkulierten Einsatz von „trügerischem Pathos“ an der Partie mehr Schattierungen anbringen können, und war ganz auf ihr schwarzhumoriges, hexenhaftes Dasein gemäß Regiekonzept eingeschworen. Russel Braun sang einen starken Alfred Ill, dem man die Schmierigkeit seiner Existenz am Beginn vielleicht zu wenig anmerkte, der aber auch dank seines beherzten, kräftigen Baritons in Folge eine starke Leistung bot. Raymond Very lieh dem Bürgermeister, der Ill gerne zum Selbstmord überredet hätte, mehr tenorales als heldentenorales Pathos, die Figur wirkte dadurch aber menschlicher und „verschlagener“. Gelungen war die Charakterstudie von Adrian Eröd als Lehrer, der auch stimmlich mit seinem klaren, artikulationsfähigen Bariton in dieser „Literaturoper“ beispielhaft reüssierte. Ein gelungenes Rollenporträt zeichneten Markus Butter als Pfarrer und Florian Köfler als brutaler Polizist. Viele Mitwirkende hatten nur kleine Auftritte, derer sie sich, wie auch der Arnold Schönbergchor, zur Zufriedenheit des Publikums entledigten. Fazit: Starker Schlussapplaus für eine gelungene Opern-Wiederbelebung. |