RUSALKA
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Staatsoper
26.1.2014
Premiere

Dirigent: Jirí Belohlávek


Regie: Sven-Eric Bechtolf
Bühnenbild
: Rolf Glittenberg
Kostüme: Marianne Glittenberg
Licht: Jürgen Hoffmann
Choreographie
: Lukas Gaudernak

Rusalka - Krassimira Stoyanova
Der Prinz - Michael Schade
Die fremde Fürstin - Monika Bohinec
Der Wassermann -
Günther Groissböck
Die Hexe Jezibaba
- Janina Baechle
Der Heger
- Gabriel Bermúdez
Der Küchenjunge - Stephanie Houtzeel
Der Jäger - Mihail Dogotari
Erste Waldelfe - Valentina Nafornita
Zweite Waldelfe - Lena Belkina
Dritte Waldelfe - Ilseyar Khayrullova



„Märchen im Winterschlaf“
(Dominik Troger)

Die Wiener Staatsoper spielt nach über 20 Jahren wieder Antonin Dvoráks Märchenoper „Rusalka". Die Premiere wurde vom Publikum stark bejubelt. Das Produktionsteam kam mit wenigen Buhrufen davon.

Dvoráks Rusalka wurde im Haus am Ring bisher recht stiefmütterlich behandelt. Die Uraufführung fand zwar schon 1901 in Prag statt, die Erstaufführung an der Wiener Staatsoper erfolgte erst 1987! Bis 1992 gab es 23 Vorstellungen. Dann wanderte die Produktion an die New Yorker Metropolitan Opera, wo sie jetzt noch gezeigt wird. Die damaligen Aufführungen mit Gabriela Benacková als Rusalka, Peter Dvorský als Prinzen, Jewgenij Nesterenko als Wassermann und Eva Randova als fremde Fürstin und Hexe sind legendär. Für die Inszenierung sorgte damals Otto Schenk in den Bühnenbildern von Günther Schneider-Siemssen. (Die Fassung war allerdings gekürzt.)

2014 trat Sven-Eric Bechtolf als Regisseur an, unterstützt von Rolf Glittenberg (Bühnenbild) und Marianne Glittenberg (Kostüme) – und da hatte Dvoráks glühwürmchendurcheilter Märchenwald natürlich keine Chance auf Bestand. In der neuen „Rusalka“ herrscht sibirische Kälte, es liegt Schnee, kahle Bäume ragen in den düsteren Bühnenhimmel, im Hintergrund stehen die nackten (Beton-)wände eines großen, zumindest einstöckigen Hauses. Eisblumen ranken sich über die Fenster im ersten Stock. Und natürlich mangelt es nicht an den erwarteten Albernheiten, wobei Bechtholf im dritten Akt mit dem degustiösen kannibalischen Gemetzel am Küchenjungen beim Publikum vor allem Ratlosigkeit erntete.

Aber der zeitgemäße Regisseur hat den „Subtext" im Auge – oder das, was er dafür hält. Bei „Rusalka“ – wie einige Inszenierungen an anderen Opernhäusern in den letzten Jahren beweisen – lassen sich gut „Familienaufstellungen“ durchprobieren, bis zum übergriffigen, tochterlüsternen Wassermann. Bechtholf hat nun das Märchen nicht in diesem Sinne umkonstruiert, das zu behaupten ginge zu weit. Und interessanter Weise ist das Publikum mit dem Regieteam beim Schlussvorhang wirklich sehr zahm umgegangen, obwohl die Mordaktion am Küchenjungen und das teils verulkte Ballett im zweiten Akt einiges an Provokationspotenzial geboten hätten. Warum?

Bechtolf – mit tatkräftiger Unterstützung einer großartigen Krassimira Stoyanova in der Titelpartie – ist es dank guter Personenführung gelungen, Rusalkas Gefühlsnotstand glaubhaft über die Rampe zu bringen. Auf diese Weise erhielt das „Märchen" einen stark existentialistischen Zuschnitt, der Rusalkas Einsamkeit, ihre Liebeswünsche und ihre Enttäuschung beispielgebend heraushob, umgeben von einer Winterlandschaft, die bei den Zuschauern dieses Gefühl noch verstärkte.

Die Identifikation mit Rusalkas Bühnenschicksal war offenbar so eng, dass das Auditorium der Regie nicht nur die bereits genannten Fragwürdigkeiten, durchgehen ließ: Die Schlussszene beispielsweise, in der Rusalka den Prinzen mit einem schwarzen Band umwickelt und ihn derart an einen Baum bindet, war weit davon entfernt, jenen mystischen, ganz aus der Poesie der Naturstimmung geschöpften, märchenhaften „Liebestod“ zu beschwören, den der Prinz ersehnt und erleidet – und den Dvorák mit dem wagnerisch ausklingenden Finale beschwört. (Nicht nur hier wäre die Lichtregie gefordert gewesen, die insgesamt einen recht stereotypen und phantasielosen Eindruck hinterließ.) Oder der übertrieben agierende Heger samt dem Küchenjungen: Der Heger trat in einem fast schon peinlich zu nennenden „Kostüm“ auf, ein typisches Opfer von Bechtolfs zweifelhaftem Humor, mit nacktem Oberkörper und leicht trachtiger Kniebundhose. Aber alle diese Einwände wurden von Rusalka selbst entgegnet.

Krassimira Stoyanova hat diese Figur beseelt. Ihr Auftritt als „beflosstes“ Wasserwesen mit dem langen Schleppenkleid und den trippelnden unsicheren Schritten wirkte zuerst irritierend und plump, aber schnell wurde klar, wie hier die Begrenzung der Fortbewegung für die Grenzen steht, in die Rusalkas Gefühle eingebunden sind, von denen sie bedrückt wird, die sie überwinden möchte. Stoyanovas Rusalka erfüllte eine deutlich zum Ausdruck gebrachte Gier nach Leben, die sie über die naiven, sentimentalen Träume einer prinzenverliebten Nixe hinaushob – und umso stärker musste sie die Zurückweisung durch den Prinzen, stellvertretend für alle Menschen, empfinden. Rusalka kämpfte an diesem Abend gegen ihr fremdbestimmtes Schicksal – und es war im ersten Akt nicht das berühmte „Lied an den Mond“, dass mich mitriss, sondern der Freiheitswille Rusalkas, die sich von Jezibaba selbstbestimmt und mutig in eine für sie ganz neue und andere Welt „transformieren“ ließ. Damit gelang Stoyanova das Kunststück, die Opferrolle Rusalkas aufzusprengen – und Bechtolfs Inszenierung zu retten. Stimmlich hat Stoyanova sowohl den lyrischen, als auch den stürmischeren Passagen entsprochen, ohne Schärfe bei den Spitzentönen. Ihr Sopran hat im Timbre einen leichten Zug ins Nüchtern-klare und ist in den letzten Jahren etwas dramatischer geworden, und so liegen seine Stärken von vornherein dort, wo Bechtolf Rusalka augenscheinlich platzieren wollte.

Um Stoyanova scharte sich ein treffliches Ensemble. Günther Groissböck sang einen feinfühligen Wassermann, weich timbriert und prächtig anzuhören. Angetan mit langem silbernen Nixenhaar und in eine schwarze „Kluft“ gekleidet wirkte er nicht unbedingt wie eine Märchenfigur, aber auch sein Stimme schöpfte nicht wie ein „echt“ slawischer Bass“ aus mythischen Tiefen. Dieser Vorbehalt – wenn es denn einer ist – über keine „native“ slawische Stimme zu verfügen, trifft auch Michael Schade. Schade fand sich in der Partie bis auf wenige heikle, etwas beengt klingende und dann auch ein wenig grell färbende Spitzentöne sehr gut zu recht.

Jezibaba hätte stimmlich etwas mehr „Gas geben“ können, wobei Janina Baechle darstellerisch die gerissene Hexe gut zur Geltung brachte. Die fremde Fürstin, hier in einem dunkelroten „Federkleid“ und etwas frickaartig im Gehabe (siehe Bechtolfs Staatsopern-„Ring“), ist eine undankbare Partie, muss im zweiten Akt praktisch im Alleingang den Umschwung der Handlung herbeiführen. Monika Bohinec konnte das nur zum Teil vermitteln. (Der zweite Akt spielte in einem schräg auf die Bühne gesetzten, kahlen Zimmer, mit einem großen vereisten Fenster vor einer Terrasse und einem Doppelbett.) Gabriel Bermúdez sowie Stephanie Houtzeel (Küchenjunge) und die Waldelfen hinterließen ebenfalls gesanglich und darstellerisch einen guten Eindruck.

Das Orchester war ein weiterer Erfolgsgarant an diesem Abend: Mit Jirí Belohlávek stand ein Dirigent am Premieren-Pult, der diesem Prachtorchester keinen „polierten und globalisierten“ Einheitsklang entlockte, sondern weicher spielen ließ, sinnlich, bedrohlich, exakt und nicht ohne polternder „böhmischer“ Sinnenlust (und da manchmal etwas lautstark). Belohlávek zeigte zudem viel Gefühl für Strukturen, die herausgearbeitet wurden, ohne das sprichwörtliche „Ganze“ über dem Detail zu verlieren. Zumindest im Orchester fanden sich die Naturstimmungen und -farben, die den Besuchern auf der Bühne vorenthalten wurden, und das machte ausgezeichneten Effekt. Das Ergebnis war eine überzeugende Mischung aus „märchenhafter Romantik“ und analytischem Gespür. Der Applaus im sehr gut besuchten Haus war stark und dauerte knapp über zehn Minuten lang.

Fazit: Musikalisch ein unbestrittener Erfolg, szenisch eine Gradwanderung, die sich erst im Repertoire beweisen muss.