DIMITRIJ
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Wiener Konzerthaus
Konzertante Aufführung
23. April 2004

Musikalische Leitung: Richard Hickox

RSO Wien
Slowakischer Philharmonischer Chor

Dimitrij - Janez Lotric
Marfa - Dagmar Pecková
Marina - Elena Prokina
Xenie - Krassimira Stoyanova
Basmanov - Peter Mikuláš
Sujskij - Dalibor Jenis
Patriarch - Manfred Hemm
Neborsky - Ales Jenis
Bucinsky - Dimtij Solowjow


Eine Rarität im Gedenkjahr
(Dominik Troger)

Alle Freunde des slawischen Opern-Repertoires konnten sich im Konzerthaus an Dvoráks „Dimitrij“ laben. In einer konzertanten Aufführung wurde damit zugleich an den 100. Todestag Dvoráks erinnert, der am 1.5.1904 in Prag verstorben ist.

Die Oper hat zwar nicht die Urwüchsigkeit von Mussorgskis „Boris Godunow“, behandelt stoffmäßig aber ebenfalls die blutige Zeitspanne russischer Innenpolitik nach dem Tode Iwan des Schrecklichen. „Dimitrij“ nimmt den Handlungsfaden dort auf, wo Mussorgski endet und erzählt das tragische Schicksal des „falschen Dimitrij“ und seiner polnischen Geliebten Marina.

„Dimitrij“ hat eine unübersichtliche Rezeptionsgeschichte. Uraufgeführt wurde das Werk 1882 in Prag. Nach der Uraufführung haben sowohl Dvoráks Verleger Fritz Simrock als auch Musikkritiker Eduard Hanslick zu weitreichenden Abänderungen geraten. Hanslick bekrittelte beispielsweise den Mord an Xenia, und Dvorák hat diesen Änderungswünschen wirklich entsprochen. Er ließ Xenia am Leben und steckte sie ins Kloster. Der Erfolg späterer Fassungen blieb aber hinter dem der Uraufführungsversion zurück und noch zu Dvoráks Lebzeiten begann man, Mischversionen aufzuführen. Seit einigen Jahren gibt es eine neuen kritische Ausgabe der Erstaufführungsfassung – und diese lag der Aufführung im Konzerthaus zugrunde.

Das Werk ist voller dramatischer Momente, sucht die Zuspitzung in schon fast veristischem Sinne, arbeitet stellenweise monumental mit Chören, huldigt dem Genre der „Grand opéra“ und nimmt Anleihen bei der klassischen italienischen Oper. Dazu kommt in der Instrumentation manchmal ein Schuss Wagner, und was zu Beginn des vierten Aktes ziemlich überrascht: eine ganz in Bruckner-Manier gestaltete Orchestereinleitung, malerisches Streicherraunen in das die Holzbläser so charakteristisch einfallen. Wichtig sind noch folkloristisch-tänzerische Anklänge russischer und polnischer Provenienz. Die Entwicklung der Charaktere ist nicht sehr ausgeformt, nur im dritten Aufzug, in einer langen Szene zwischen Marina und Dimitri, gewinnt die mehr schablonenhafte Typologie der Figuren an Eigenleben. Da sieht man plötzlich im historischen Gemälde auch den einen oder anderen psychologischen Faltenwurf.

Genau betrachtet scheint mir der große Aufwand an Mitteln den erzielten Effekt nicht wirklich zu rechtfertigen – wahrscheinlich auch ein Umstand, warum „Dimitrij“ der große Durchbruch schon zu Lebzeiten Dvoráks nicht gelungen ist. Die Konkurrenz von Mussorgski darf man wegen der Ähnlichkeit des Sujets auch nicht unterschätzen: vor die Wahl gestellt, große slawische Oper zu spielen, wird man sich als Operndirektor wohl gleich für „Boris Godunow“ entscheiden. Und damit wird „Dimitrij“ – zumindest außerhalb von Tschechien – wohl weiterhin das Schicksal einer „Jubiläums-Oper“ vorbehalten bleiben; so wie diesmal.

Leicht zu singen (und zu besetzen) ist „Dimitrij“ auch nicht gerade. Man braucht zwei sehr gute Sopranstimmen und einen noch besseren Tenor: denn was sich die Soprane an „Arbeit“ aufteilen, muss der Tenor ganz allein zu Wege bringen. Er hat viel zu singen, und ihm wird Kondition, Durchsetzungsvermögen und Höhensicherheit abverlangt. Aber „Dimitrij“ ist nicht nur Zar, sondern auch verliebt, deshalb sollte er zu allem Überfluss noch über anschmiegsame Phrasierungskunst verfügen. Für Janez Lotric – der kurzfristig eingesprungen war – ist die von Dvorák geforderte, zur selbstbewussten Attacke fähige Dauerpräsenz kein Problem. Lotric kann einen ganzen Abend lang „unter Strom stehen“, und er hat die Partie eindrucksvoll durchgezogen. (Bis auf einen Fauxpas vor der Pause, der den Zuhörern sekundenlang den Angstschweiß auf die Stirne trieb. Da hatte offenbar seine Stromversorgung kurz ausgesetzt...)

Seine Mit- und Gegenspielerinnen, Marina (Elene Prokina) sowie Xenia (Krassimira Stoyanova), blieben dem Zaren nichts schuldig. Während man die Qualitäten von Stoyanova vom Staatsopernrepertoire her sehr zu schätzen weiß, begegnet man dem warmen, schon ins dramatische hinüberspielenden Sopran von Elena Prokina in Wien viel seltener. Eine schöne Stimme mit Ausdruckskraft und Intensität, was den dritten Aufzug – die Auseinandersetzung zwischen Marina und „Zar Lotric“ – zum musikalischen Höhepunkt des Abends machte.

Auch die übrige Besetzung hinterließ einen positiven Eindruck, wobei man gewisse Qualitätsabstufungen nicht wird leugnen können. Auf der Haben-Seite sicher Dalibor Jenis und Ales Jenis; mit etwas abfallender Tendenz der Mezzo von Dagmar Pecková (Marfa) oder auch der Patriarch von Manfred Hemm. Richard Hickox am Pult dirigierte zügig und filterte vor allem im zweiten Teil des Abends die Spannungsbögen sehr gut heraus. Er malte die Partitur im Stile eines großformatigen Historizismus, makart-mäßig, Ringstraßenepoche, was in Anbetracht der Entstehungszeit des „Dimitrij“ durchaus schlüssig erscheint.

Langer und starker Applaus nachher – und ein wehmütiges Seufzen, wenn man daran denkt, dass die Pflege des slawischen Opern-Repertoires in Wien seit Jahren im Argen liegt.