LES MARTYRS

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Museumsquartier Halle E
Ausweichquartier Theater a. d. Wien

18. September 2023

Dirigent: Jérémie Rohrer

Inszenierung: Cezary Tomaszewski
Bühne und Kostüm: Aleksandra Wasilkowska
Licht: Jedrzej Jecikowski
Video: Krzysztof Kaczmarek
Choreographie: Barbara Olech

ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Arnold Schönberg Chor


Pauline - Roberta Mantegna
Polyeucte - John Osborn
Sévére - Mattia Olivieri
Felix - David Steffens
Callisthenes - Nicolò Donini
Nearque -Patrick Kabongo
Un Chretien - Carl Kachouh
Une Femme - Kaitrin Cunningham

sowie sechs Tänzer und vier armenische Frauen


„Sexy Römer, arme Christen“

(Dominik Troger)

Das MusikTheater an der Wien hat mit „Les Martyrs“ die zweite Spielzeit an seinem Ausweichspielort im Museumsquartier aufgenommen. Gaetano Donizettis 1840 in Paris uraufgeführte Oper wurde dabei einem szenischen Verwirrspiel unterworfen, das viel Befremden auslöste.

Das Publikum muss sich noch eine ganze Saison lang mit der Halle E im Museumsquartier zufrieden geben, so die Renovierungsarbeiten am Haupthaus an der Linken Wienzeile rechtzeitig fertig werden. Die Halle bietet zwar von allen Plätzen eine gute Sicht auf die Bühne, aber ihr „Charme“ ist begrenzt. Bei der Akustik dürfte nachgebessert worden sein – zumindest war das mein Eindruck nach diesem Premierenabend (Sitzplatz in einer der obersten Reihen).

Gaetano Donizettis „Les Martyrs“ wurde 1840 in Paris uraufgeführt, es handelt sich um die für die französische Oper adaptiere Fassung des „Poliuto“, dessen Uraufführung in Neapel von der Zensur verboten worden war. Im Zentrum steht Pauline, die mit ihrem christlichen Gemahl Polyeucte im armenischen, von den Römern besetzten Mytilene den Märtyrertod erleidet. Eigentlich hätte sie den römischen Feldherrn Sévère heiraten sollen, aber der ist im Krieg verschollen, und ihr Vater Felix ist auch kein Christenfreund. Zu allem Überfluss taucht Sévère wieder auf und soll als Prokonsul die Christenverfolgung vorantreiben. Aus dieser Mischung ergeben sich viele Möglichkeiten für emotionale Ausnahmezustände, die Donizetti musikalisch effektvoll genützt hat. Vor allem die Ensembles stechen heraus, entwickeln überraschend viel Energie, weisen schon den Weg zu Verdi. Auch Teile des Balletts wurden in die Produktion einbezogen. Die Aufführung dauerte inklusive einer Pause rund drei Stunden.

Musikalisch bot der Abend zwar nicht die ausgefeilteste stimmliche Eleganz, aber gut auf den Höhepunkt getrimmte Arien und Ensembles. Aus dem Orchestergraben tönte ein von Jérémie Rohrer in trocken-polierte „Historizät“ getauchtes ORF Radio-Symphonieorchester Wien. Die Stärken von Rohrers Dirigat lagen eher bei den Massenszenen und dem Ballett, wo er mit Schwung dramatische und repräsentative Akzente setzte.

Den Polyeucte gab John Osborn mit höhensicherem Tenor. Er hat am Theater an der Wien schon als Rossinis „Otello“ und als Arnold („Guilleaume Tell“) reüssiert. Seine Stimme klang etwas trocken, den feineren Gefühlsregungen hätte mehr Schmelz ganz gut getan. Aber das ist bei einem so beharrlichen Glaubenseiferer, der sich nichts sehnlicher wünscht, als dass seine Gemahlin mit ihm in den Himmel auffahren möge, fast schon eine fragwürdige Zugabe. (Polyeucte hat sich heimlich taufen lassen, diesen Schritt aber verschwiegen.) Seine Frau Pauline steht zwischen zwei Männern und zwei Religionen. Roberta Mantegna gelang in der Partie ein guter Kompromiss zwischen zarten Gefühlsregungen und schon etwas forcierten Momenten emotionalen Überschwanges, wobei die Spitzentöne eine Tendenz zur Schärfe zeigten. Die Sängerin hat u. a. bereits Norma, „Troubadur“-Leonora, Elena, Aida im Repertoire: das überrascht dann doch einigermaßen.

Mattia Olivieri gab den römischen Feldherrn, ein kerniger Bariton, von der Regie als fescher „Life-Ball-Römer“ in Szene gesetzt. Sein Gesang passte gut zu den martialischen Seiten des Charakters, auch bei ihm wäre etwas mehr Schmelz im Vortrag ein zusätzliches Plus gewesen. Dem Bass von David Steffens als Felix und Vater Paulinens hätten etwas dunklere Stimmfarben geholfen, um die bedrohlichen Seiten des Bühnencharakters zu unterstreichen. Die übrige Besetzung war solide, stark wieder der Arnold Schönberg Chor.

Die Inszenierung des polnischen Regisseurs Cezary Tomaszewski hat versucht, drei unterschiedliche Ebenen unter einen Hut zubringen: Die armenisch-christlichen Märtyrer des dritten Jahrhunderts aus der Oper Donizettis wurden in eine für das Publikum wenig greifbare Science-fiction-Zukunft des Jahres 3389 verlegt, um den Völkermord des Osmanischen Reichs im I. Weltkrieg an den Armeniern zu thematisieren. Das klingt nicht nur kompliziert, das war es auch. (Da ist es empfehlenswerter, Franz Werfels Roman „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ zu lesen.)

Außerdem ertrank die Szene in erotischen Bordelltönen von Rosa bis Rot, garniert mit geschändeten Stoffpuppen, verschämten Christen in fleischfarbenen Trikots und brutalorgiastischen, drogengetriggerten „Pin-up“-Römern. In diese stark sexuell aufgeladene, ironisch überzeichnete „Regenbogenparade“ mischten sich vier Darstellerinnen in armenischen Trachten, die sich selten genug in das Geschehen einbringen durften, um die moralische „Werthaltigkeit“ des Regiekonzepts zu beweisen. Die Bühne selbst war praktikabel konzipiert: eine halbrunde Wand als Kernelement, drehbar, die man auch als Arena deuten konnte (im vierten Akt werden die Christen den Löwen vorgeworfen – aber die Oper endet vorher).

Dabei zeigte Tomaszewski eigentlich ein gutes Gespür für die dramatischen Höhepunkte, die Überblendungen zwischen den Szenen haben gut funktioniert, zumindest der Gefahr, die Handlung mehr oratorienhaft „herunterzubeten“, ist er entschlüpft. Im Finale werden den erwähnten Stoffpuppen weiße T-Shirts mit aufgedruckten armenischen Frauennamen zugeordnet, um die drei genannten Ebenen zusammenzuführen. (Schon während der Ouvertüre waren Sätze auf die Bühne projiziert worden, um den Völkermord an den Armeniern zu problematisieren. Insofern war dieses Finale nicht ganz unvorbereitet, auch wenn es zwischen den Projektionen am Beginn und dem erwähnten plakativen Schluss kaum präsent war.) Die vielen Buhs, die dem Regieteam beim Schlussapplaus entgegenschlugen, legen allerdings nahe, dass es dem Regisseur nicht gelungen ist, die überwiegende Mehrheit der Anwesenden von seinen Überlegungen zu überzeugen.

Die Premiere war sehr gut besucht, der Saal aber nicht ganz gefüllt. Ein Blick in den Onlineverkauf wies am Nachmittag des Premierenabends noch einige Dutzend verfügbare Plätze aus. Auch für die Folgevorstellungen werden noch ausreichend Karten angeboten. Das Publikum war während der Vorstellung beim Szenenapplaus etwas zögerlich, der musikalische Teil wurde am Schluss fast zehn Minuten lang einhellig beklatscht.

PS: Erfreulicher und praktikabler Weise sind im Programmheft (im Gegensatz zur vorigen Saison) wieder kurz die Biographien der Mitwirkenden angeführt.