MARIA STUARDA
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Donizetti-Portal


Theater an der Wien
19. Jänner 2018
Premiere


Dirigent: Paolo Arrivabeni

Inszenierung: Christof Loy
Ausstattung: Katrin Lea Tag
Licht: Bernd Purkrabek


ORF Radio-Symphonieorchester
Arnold Schönberg-Chor

Elisabetta - Alexandra Deshorties
Maria - Marlis Petersen
Roberto - Norman Reinhardt
Talbot - Stefan Cerny
Cecil - Tobias Greenhalgh
Anna - Natalia Kawalek

Stumme Rolle:
Vertrauter der Königin - Gieorgij Puchalski



Zickenkrieg der Königinnen?“
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien macht mit seiner aktuellen Produktion einen Abstecher ins italienische romantische Repertoire: „Maria Stuarda“ von Gaetano Donizetti bringt den Machtkampf zwischen der englischen Königin Elisabeth I. und ihrer schottischen Gegenspielerin Maria Stuart auf die Bühne.

Nach langer Abwesenheit ist Donizettis „Maria Stuarda“ wieder auf eine Wiener Opernbühne zurückgekehrt. Die Wiener Staatsoper hatte das Werk von 1985 bis 1996 im Repertoire. Die Premierenbesetzung lautete: Agnes Baltsa (Elisabetta), Edita Gruberova (Maria), Francisco Araiza (Robert). Die Oper besitzt eine etwas verworrene Aufführungsgeschichte (Uraufführung 1835), die für sich allein schon ein Dissertationsthema wäre. Nach Manuskriptfunden in den 1980er-Jahren gibt es inzwischen eine kritische Edition.

Für die Aufführung im Theater an der Wien wurde allerdings eine eigene Fassung erstellt, die in einigen Punkten von dieser abweicht, folgt man den Aussagen des Dirigenten Paolo Arrivabeni im Programmheft. So wurde laut seinen Aussagen zum Beispiel der Eröffnungschor aus Donizettis Oper „Buondelmonte“ entnommen – bei „Buondelmonte“ handelt es sich um eine Umarbeitung der „Maria Stuarda“, mit der Donizetti auf den Einspruch der Zensur in Neapel reagiert hat. Das Werk wird im Theater an der Wien als zweiaktige Oper gegeben, wie offenbar von Donizetti ursprünglich konzipiert. Eine weitere Frage, die an Spezialisten delegiert werden soll, ist die nach der Besetzung der Elisabetta als Mezzo oder als Sopran: Im Theater an der Wien wird mit Alexandra Deshorties eine herbe Sopranstimme aufgeboten. Jedenfalls sollten sich die beiden tragenden Frauenpartien dieser Oper im Charakter deutlich von einander abgrenzen.

Alexandra Deshorties hat im Frühjahr 2017 am Theater an der Wien in Rossinis „Elisabetta regina d’Inghilterra“ die Titelpartie verkörpert, und dafür einige harsche Kritiken einstecken müssen. Ihr markanter, etwas eng geführter Sopran mit der Neigung zu lautstarken, sehr expressiven Spitzentönen, war schon damals kein Anlass für große Belcanto-Freude gewesen.* Warum sollte sich das in wenigen Monaten geändert haben? Man könnte argumentieren, dass solch harsche Stimme einen starken Gegenpol zur Maria Stuarda bietet und die Machtbessesenheit der Elisabetta gefühlsstark dokumentiert. Aber ist das nicht schon mehr eine Sache des Verismo und die Sängerin bedient hier das falsche Fach?

Belcanto erzeugt beim Zuhören weniger Genuss, wenn man heraushört, dass eine Künstlerin, ein Künstler den Gesang nicht so richtig fließen lässt, dass die Virtuosität schon einige Mühe und Kompromisse erfordert und sich nicht als lockere, kreativ gehandhabte Selbstverständlichkeit generiert. Marlis Petersens Koloratursopran ist auch schon ein wenig in die Jahre gekommen, und die hohen „Effekttöne“, zum Beispiel bei Aktschlüssen, wurden von ihr gemieden. Petersen überzeugte dort, wo sie als Maria weniger der Virtuosität, sondern mehr dem Menschen gerecht werden musste. Marias Beichte, ihr Abschiednehmen klangen geerdeter als bei Sangeskolleginnen (meist einer älteren Generation angehörig und schon weitgehend außer Dienst), die sich anlässlich Marias tragischem Schicksal in seelenvollen Piani verschwendeten, aber man konnte Petersens Maria in diesen Momenten das Mitgefühl nicht versagen.

In einem Interview mit der Tageszeitung „Der Standard" (online 18. Jänner 2018) hat Petersen „manchmal auch Mut zum Hässlichen“ eingefordert, aber – ganz allgemein gesprochen – das „Hässliche“ darf keine Ausrede für mangelnde Gesangstechnik sein. Im Gegensatz zu ihrer um einige Jahre jüngeren königlichen Gegenspielerin konnte sich Petersen auf eine gut geführte Sopranstimme verlassen, was denn ihrer Leistung in Summe großen Respekt abverlangt – auch wenn die Partie eigentlich nicht für den aktuellen Status ihrer Stimme zu passen scheint.

Man könnte aber argumentieren, dass die Inszenierung von Christof Loy etwas ganz anderes aus dieser Oper gemacht hat: nämlich einen aufwendigen Zickenkrieg und kein gesangliches Psychoduell von Königinnen! Wer kümmert sich noch um „Belcanto“, wenn die beiden Sängerinnen dauern in Bewegung sein müssen, wenn der Chor sie bedrängt, da oder dorthin zerrt, wenn sie sich oft so exaltiert zeigen müssen, dass die entscheidende Szene – ihre Begegnung am Schluss des ersten Teils – als Kulminationspunkt praktisch untergeht. Die Gefühle sollten aus der Musik erwachsen, aus ihrer gesanglichen Vermittlung und nicht aus einer Bewegungschoreographie, die in ihrer übertriebenen Darstellungssucht manchmal fast schon an Satire grenzte. Die Personenführung war aber gut durchgearbeitet, der Chor zum Beispiel – als Hofstaat eingesetzt – wurde individuell geführt. Doch erst im zweiten Teil, mit seinem leicht oratorienhaften Anstrich, stellte sich szenisch mehr Ruhe ein, die der Aufführung insgesamt sehr gut tat.

Der Abend zerfiel szenisch also in zwei Teile – vor und nach der Pause. Das Bühnenbild war immer dasselbe: eine Art Arena, im Hintergrund die Begrenzung, davor eine leere runde Spielfläche, dem Aussehen nach aus Holz gebaut. (Beim langsamen Drehen störte diese große Bühnenscheibe durch ein leises, aber deutlich hörbares Knarren die Aufführung.) Requisiten gab es so gut wie keine, nur das Henkersbeil, Blumen und einen Brief. Im ersten Teil trugen die beiden Königinnen Gewänder in altem Stil, Elisabetta einen weithüftenden Reifrock. Nach der Pause wichen das blaue (Maria) und rosagetönte Kleid (Elisabetta) je einem schwarzen Hosenanzug.

Die szenische Konzeption war mutig, weil sich die Personenführung hinter keinen Kulissen „verstecken“ konnte, aber Loy sorgte vor der Pause für viel zu viel (und auch sehr banale) „Action“ (z.B. verstreute Marie bei ihrem ersten Auftritt manisch Blumen; es gab zusätzliches stummes Personal etc.). Loy hätte mehr darauf achten sollen, dass sich die beiden Königinnen mit Würde und Autorität bewegen und nicht dermaßen überzeichnen – und in der Streitszene schaukelten sich die Emotionen viel zu früh auf (das Gezänke war nur mehr schwer ernst zu nehmen). Am Schluss hob Elisabetta selbst das Beil und schwang es bedrohlich über Maria.

Die übrigen Mitwirkenden waren eher der Kategorie „unauffällig“ zuzurechnen – wobei es erfreulich war zu hören, dass sich Stefan Cernys Bass (Talbot) weiter sehr gut entwickelt. Norman Reinhardt vermochte es wieder nicht, trotz guter Anlagen, seinen Tenor deutlich herauszustreichen. Die Stimme wirkte ein wenig kraftlos, ein wenig blass. Der Arnold Schönberg Chor vereinigte abermals aufwendiges Spiel mit überzeugendem Gesang. Das Radio-Symphonieorchester Wien wurde von Paolo Arrivabeni kapellmeisterlich und mit viel Aufmerksamkeit durch den Abend geführt.

Bei mir hat der Kampf der Königinnen keinen überzeugenden Gesamteindruck hinterlassen, aber die Mehrheit des Publikums war offenbar zufrieden und spendete langen und starken Schlussapplaus. Nur die Regie fasste einige Buhrufe aus.

* Das war nicht nur mein Eindruck von ihrer Rossini-Elisabetta:
https://www.nmz.de/online/edle-einfalt-rossinis-elisabetta-im-theater-an-der-wien
http://der-neue-merker.eu/wien-theater-an-der-wien-elisabetta-regina-dinghilterra
oder auch Die Presse, 19. März 2017: „Alexandra Deshorties besitzt das, was man eine interessante Stimme nennt. (...) Vieles tönt eher dramatisch, als koloraturgewandt, auch manche Schärfen und Brüche treten zu Tage."
Interessant die Anmerkungen zu ihrer Norma in Genf:
https://www.forumopera.com/norma-geneve-coup-de-pied-au-culte