LUCREZIA BORGIA

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Wiener Staatsoper
2.10.2010
Konzertante Aufführung

Dirigent: Friedrich Haider

Don Alfonso I. - Michele Pertusi
Lucrezia Borgia - Edita Gruberova
Gennaro - José Bros
Maffio Orsini - Laura Polverelli
Jeppo Liverotto - Gergely Németi
Don Apostolo Gazella - Adam Plachetka
Ascanio Petrucci - Dan Paul Dumitrescu
Oloferno Vitellozzo - Benedikt Kobel
Gubetta - Hans Peter Kammerer
Rustighello - Peter Jelosits
Astolfo - Marcus Pelz
Usciere - Oleg Zalytskiy
Un Coppiere - Konrad Huber
Voce di dentro - Hiroyuki Ijichi


„Gala-Abend für Edita Gruberova“

(Dominik Troger)

Fünf Jahre nach Bellinis „Norma“ ist Edita Gruberova wieder in einer konzertanten Aufführungsserie an der Staatsoper zu hören. Diesmal gilt sie der „anrüchigen“ Lucrezia Borgia, der Gaetano Donizetti eine seiner vielen Opern gewidmet hat.

Dass es Opernhandlungen mit der Historie meist nicht sehr genau nehmen ist bekannt – diese Tatsache trifft auch hier zu. Donizettis „Lucrezia Borgia“ lässt nichts „anbrennen“, am Schluss gibt es sechs männliche Tote – wobei vor allem der Tod des ersten Tenors, Gennaro, von Donizetti genüsslich ausgeschlachtet wird, handelt es sich dabei doch um Lucrezias Sohn!

Inzestuös angehauchte Muttergefühle, die Perfidie einer Giftmischerin und natürlich die Liebe einer glutvollen Frau mischen sich in der Titelpartie zu einer anspruchsvollen Herausforderung, die unbedingt einer ganz großen Bühnen- und Sängerinnenpersönlichkeit bedarf. Die anderen Mitwirkenden müssen da deutlich zurückstehen, bieten guten Interpreten aber einige Möglichkeiten – wobei Gennaro natürlich eine Löwenanteil der Aufmerksamkeit auf sich ziehen darf.

Donizetti hat aber auch der „Hosenrolle“ des Orsini im zweiten Akt ein effektvolles Trinklied spendiert und Don Alfonso I. eine von Rachedurst erfüllte, zupackende Kavatine am Beginn des ersten Aktes. Der Chor spielt zudem eine nicht unwesentliche Rolle. Viele Nebenfiguren dürfen da und dort ein paar Sätze singen – und müssen sich teilweise der Giftmörderin als Opfer zur Verfügung stellen.

Man könnte kritisieren, dass es sich „nur“ um eine konzertante Aufführung gehandelt hat. Aber der Vorteil war schnell klar: Die Stimmmagie Edita Gruberovas wurde keinen visuellen, inszenierungsbedingten Einschränkungen unterworfen. Außerdem agierte sie mit José Bros, Gennaro, sehr harmonisch. Die Emotionen kamen passend und intensiv zur Geltung, ein Bühnenbild war unter diesen Voraussetzungen ebenso wenig zwingend erforderlich wie eine führende Hand. Gruberova selbst trug übrigens ein geschmackvolles silberfarbenes Abendkleid mit elegant eingearbeiteter, etwas heller gehaltener Schleppe.

Auffallend war, dass das Orchester unter Friedrich Haider sich diesmal ambitionierter auf Donizetti einließ, als von diversen Repertoireabenden gewohnt. Die Akustik scheint mir freilich bei konzertanten Aufführungen nach wie vor nicht ideal – aber dafür wurde das Haus auch nicht gebaut. Die Sänger, an der Brüstung des gedeckelten Orchestergrabens stehend, haben den auf der Bühne platzierten Chor und das Orchester im Nacken. Was eigentlich ein Vorteil sein sollte, hat möglicherweise den Nachteil, dass der Chor und auch die bereits etwas höher gesetzten Bläser in den Ensembles zu starke Präsenz erlangen.

Edita Gruberova hat die Lucrezia Borgia erst in den letzten Jahren für sich entdeckt und zuletzt szenisch in München erarbeitet. Die Rolle scheint für ihr jetziges Karrierestadium ideal. Sie bietet alles, was Gruberovas unvergleichliche, verzierungslüsterne Gesangeskunst ausmacht in wohldosierter Form. Dabei stellt sie ihre Stimme immer in den Dienst des Ausdrucks. Leid erfüllt und innerlich gebrochen erlebt sie das Sterben ihres Sohnes mit, fährt ihr die schreckliche Todesgewissheit erschaudernd in die Seele. Aber auch die Feinheiten kamen nicht zu kurz: Schon allein das langgehaltene, gehaltvolle Piano, mit dem sie in das Stretta-Finale des Prologs überleitete, durfte als Demonstration eines preziösen Belcantos gelten, auf den man nur süchtig werden kann.

Gruberovas „Lucrezia“ überzeugte durch die Verbindung eines bestens darauf abgestimmten technischen Raffinements mit viel Lebenserfahrung, die die Aufführungsgegenwart in die mystisch anmutende Zeitlosigkeit eines sich nach wie vor erfüllenden und verantwortlich gelebten Künstlertums transferiert. Dass sie einige Partien nicht mehr singt – für Dezember ist zum Beispiel ihre letzte „Violetta“ als konzertante Aufführung im Musikverein angekündigt – passt ebenso in dieses Bild, wie die anhaltende Begeisterung, die sie mit ihrem derzeitigen Repertoire zu wecken vermag.

In einem Interview in der aktuellen Ausgabe der BÜHNE (10/2010, Seite 33) wird die Sängerin mit der Meinung zitiert, man könne mit 30 nicht dasselbe empfinden wie mit 60: „Diesen großen Roman des Lebens aber kann man in die Kunst hineinbringen. Das macht mir Spaß.“ Dem Publikum gefällt es ebenso – und das Bravorufen ging an diesem Abend schon los, bevor noch ihr letzter Ton der abschließenden Kabaletta ganz verklungen war.

Das ambitioniert aufspielende Orchester wurde bereits erwähnt, die spannenden Momente, etwa die Schlusssteigerung im ersten Akt, wurde mit viel Schwung gespielt. José Bros ist in Sachen gefühlvoller Donizetti-Interpretation ein gefragter Sänger. Er führt seine helle, phasenweise leicht ins nasale spielende Stimme geschmackvoll und differenziert. Die Höhen klingen bei ihm allerdings nicht so brillant. Bros harmonierte bestens mit seiner „Mutter“ und sang ein zu Herzen gehendes Finale.

Michele Pertusi hat den Don Alfonso I. vielleicht zu wenig nachdrücklich präsentiert. Sein weicher, angenehmer Bass erzeugte zwar Belcanto-Gefühle, aber den Wunsch nach unerbittlicher Durchsetzung herzöglicher Rachegelüste hat man ihm wohl nicht abgenommen. Laura Polverelli bot in der „Hosenrolle“ des Orsini ein ansprechendes Hausdebüt. Das manchmal für meinen Geschmack schon zu starke Vibrato zeugte vielleicht auch von Nervosität.

Der Schlussapplaus dauerte knappe 20 Minuten. „Edita“-Rufe hallten durch die Staatsoper. Drei Blumensträuße wurden überreicht. Direktor Meyer wohnte der Vorstellung bei und beteiligte sich lange am Applaus. Überhaupt hat man das Gefühl, dass jetzt ein kunstsinnigerer Geist im Hause wohnt und es mit freundlich-kompetenter Gelassenheit durchströmt.