LUCIA DI LAMMERMOOR

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Wiener Staatsoper
20. Juni 2012


Dirigent: Guillermo Garcia Calvo

Enrico - Marco Caria
Lucia - Brenda Rae
Edgardo - Piotr Beczala
Arturo - Ho-yoon Chung
Raimondo - Sorin Coliban
Alisa - Juliette Mars
Normanno - Peter Jelosits


„Erfrischende Lucia“

(Dominik Troger)

Die Wiener Staatsoper lud zum Donizetti-Dauerbrenner „Lucia di Lammermoor“ – und die Aufführung entwickelte sich trotz sommerschwüler Luft und heranschleichenden Gewitterwolken recht erfreulich.

Die Staatsopern-„Lucia“ zählt inzwischen auch schon zu den altgedienten Produktionen. Die schottische Landschaft, das aufwendige, stilistisch in die Epoche der Handlungszeit passende Burginterieur, ebenso die Kostüme, verbreiten das beruhigende Flair einer romantisierenden Ausstattungskunst längst vergangener Zeiten. Es war die 156. Aufführung in dieser Inszenierung – und es war eine überraschend ansprechende.

Im Mittelpunkt dieser positiven Überraschung stand die amerikanische Sopranistin Brenda Rae, die als Einspringerin für die Einspringerin (nach Absage von Daniela Damrau und Hibla Gerzmava) ihr Hausdebüt gleich mit einer der großen Belcanto-Partien der Operngeschichte feiern durfte. Rae ist, wie ein im Web aufgestöbertes Interview verrät, noch keine vier Jahre im professionellen Opernbusiness unterwegs. Sie hat derzeit an der Oper Frankfurt einen sicheren „Hafen“ gefunden – und sie schwärmt (!) für Bellini und Donizetti.

Dieses „Schwärmen“ passt sehr gut zu ihrer Stimme und ihrem gesamten Auftreten, dass ein wenig zart, und von romantischer Mädchenhaftigkeit wie ein frischgepflückter Blumenkranz umflort, in etwa der Verfassung Aminas in einem ihrer „sonnambulischen Zustände“ entsprach. Rae hat noch eine Natürlichkeit – auch des Gesanges – bei der sich der „Effekt“ irgendwie von selbst zu ergeben scheint, ohne bewusst forcierter Virtuosität. Sehr gut war das in der Wahnsinnsarie zu spüren, der bei aller Koloraturfreudigkeit das den Vortrag befeuernde opernkünstlerische Kalkül doch abging, ohne dass man es allerdings stark vermisst hätte.

Bei ihrer Kavatine im zweiten Bild agierte sie noch sehr behutsam. Durch den positiven Zuspruch des Publikums bestätigt, sang sie den Rest des Abends mit selbstsicherer, unprätentiöser Selbstverständlichkeit. Raes Vortrag und Spiel blieb, das „Wahnsinns“-Finale eingeschlossen, sicher und stimmig, und präsentierte sich als eine Art von „biedermeierlichem Gesamtkunstwerk“. Ihr schlanker Sopran rundete sich bis zu den Spitzentönen hinauf recht angenehm, in wie weit er die Staatsoper wirklich zu „füllen“ vermochte, kann ich schwer abschätzen, weil es mich an diesem Abend in das für mich akustisch ungewohnte Terrain einer der vorderen Parterrelogen verschlagen hat.

Piotr Beczala hat sich schon letzte Saison dem Wiener Opernpublikum als Edgardo vorgestellt. Das Debüt verlief damals, als der Sänger an den Nachwirkungen einer Erkältung laborierte, nicht so glücklich. Ganz anders an diesem Abend: Beczala glänzte mit seiner klar tönenden und kultiviert geführten Stimme, und das „Fra poco a me ricovero“ hat man schon lange nicht mehr mit so feinfühligem und elegantem Vortrag gehört. Beczala zählt derzeit für meinen Geschmack zu den stilistisch ansprechendsten Tenören.

Marco Caria debütierte als Enrico. Er spielte recht gut, vermittelte subtiler als von anderen Sängern gewohnt, wie Enrico Lucia beeinflusst, wie Enrico sich während der Hochzeit darum bemüht, Arturo jedes Misstrauen zu nehmen. Und weil das wirkungsvolle Turmbild jetzt offenbar wieder regelmäßig gespielt wird, konnte er zusammen mit Beczala auch für ein zupackendes Bariton-Tenor-Duett sorgen. Caria besitzt eine schön timbrierte, kernige Mittellage, noch etwas jugendlich-schlank und noch nicht so auf „edel“ getrimmt, mit sicherer, leicht focierter Höhe, die er an den diversen Stellen wie im Finale des ersten Bildes gut herausstrich. Zusammen mit Sorin Coliban, der den Raimondo mit (zu?) lautem Bass versah, ergab das eine erfrischende „Lucia“-Aufführung, deren Mitwirkenden es gelang, recht unbeschwert aus dem Schatten von großen Vorbildern und Namen zu treten. Und Ho-yoon Chung gelang es, den Arturo nicht lächerlich wirken zu lassen, alleine das ist schon ein Erfolg.

Am Pult erschien nicht Bruno Campanella, sondern Guillermo Garcia Calvo, der den Abend ohne gröbere Irritationen über die Runden brachte. Das Publikum spendete fast zehn Minuten Applaus und war von der Aufführung recht angetan.