LUCIA DI LAMMERMOOR

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Wiener Staatsoper
5.1.2011


Dirigent: Bruno Campanella

Enrico - Eijiro Kai
Lucia - Annick Massis
Edgardo - Piotr Beczala
Arturo - Gergely Németi
Raimondo - Dan Paul Dumitrescu
Alisa - Juliette Mars
Normanno - Benedikt Kobel


„Durchwachsene Lucia“

(Dominik Troger)

Nach der jahreswechselbedingten „Verfledermausung“ und „Barbierisierung“ meldete sich mit „Lucia di Lammermoor“ an der Staatsoper wieder die „ernste“ Oper ins Repertoire zurück.

Der Abend begann mit einem kostenlosen Gastspiel der „Sternsinger“ alias Kaspar, Melchior und Balthasar vor der Hauptstiege, und ihr kindlich-unschuldiges „Halleluja“ begleitete das erwartungsvoll ins Haus strömende Publikum. Dieses Publikum, darunter viele Touristen, erschien zahlreich. Das Stehparterre war ausverkauft, auch die Galerie zumindest nahe daran.

Doch schon die Orchestereinleitung legte eine „altersweise“ Gemächlichkeit an den Tag, die wenig Spannung verhieß – und zu einem bestimmenden Element von Bruno Campanellas musikalischer Leitung werden sollte. Campanella zählt zwar nicht mehr zu den jüngsten, aber in Kombination mit einem nicht gerade „übermotiviert“ aufspielenden Orchester ergab das eine Donizetti’sche Schlafwagenmusik, die erst nach der Pause etwas Fahrt aufnahm. Leider war auch das Orchesterspiel mehr robuster, unsensibler Natur, und beispielsweise in der Begleitung der Wahnsinnsarie viel zu wenig delikat und einfühlsam.

Das erste Bild geriet ungenügend, aber zum Glück hoben Annick Massis und Piotr Beczala schon im zweiten das Niveau deutlich. Allerdings – und das konnte man an den wenig begeisterten Mienen der Stammbesucher schon in der Pause ablesen – hohen Erwartungshaltungen wurde diese Aufführung nicht gerecht. Piotr Beczala war, wie man mir berichtete, erst von einer Erkrankung genesen – und Annick Massis „Lucia“ erzeugte – neben einigen gelungenen Spitzentönen und Koloraturen – in Summe zu wenig Begeisterungspotential.

Zuerst dachte ich, Annick Massis habe noch mit den Folgen (oder einer beginnenden) Verkühlung zu kämpfen. Im zweiten Bild klang ihr Sopran leicht nasal verschattet, die Stimme klärte sich dann aber. Ihr Timbre zeigte eine leicht fahle, eigentlich recht reizvolle Tönung, die man mit dem Schein eines durch leichte Nebel abgedeckten Mondlichts vergleichen könnte. Das minderte aber für meinen Geschmack den Farbenreichtum ihrer Mittellage, die im Übergang nach oben manchmal fast beengt klang. Dadurch erschien Lucia eine Spur zu gereift, und nicht wie ein junges Mädchen, das Rausch und Schmerz ihrer großen Liebe plagen.

Ihre Stimme ist leicht, und findet ihre Stärken dort, wo sie in Koloraturen wendig agieren kann. Überzeugend gelangen ihr die Spitzentöne und in der Wahnsinnsszene das flötengeechote Zwiegespräch. Sie sang allerdings eine Variante, die im ersten Teil etwas rascher zum Schluss kommt. Was aufgrund der oben bereits ausgeführten Eigenschaften kaum gelang, war ein warm strömendes Legato, das sich um ein ebenso warmes und weiches Piano verfeinert. Eine Synthese von Virtuosität mit romantischem Gefühl wurde dadurch erschwert. Einiges gelang virtuos, vieles blieb eher blass, von einer zu stereotypen Bühnendarstellung begleitet (man müsste mitgezählt haben, wie oft sie sich während der Wahnsinnssarie mit der rechten Hand die Haare aus der Stirn strich).

Piotr Beczalas Edgardo weckte vom Gesangsstil Erinnerungen an Peter Dvorsky, der einstens mit Edita Gruberova als Partnerin viele denkwürdige „Lucia“-Aufführungen gesungen hat. Stimmlich schien Beczala aber nicht in Topform, sein Tenor wurde nicht so locker und souverän geführt wie von ihm gewohnt, und im Schlussbild rettete er sich mit Anstand über die Runden. Einiges tenorales Feuer wurde vor der Pause spürbar, als er Lucias Heirat zur Kenntnis nehmen musste sowie im Turmbild – das an diesem Abend dem Publikum dankenswerter Weise nicht vorenthalten wurde.

Die übrige Besetzung sollte hoffentlich nicht verdeutlichen, wie es um das „Belcanto-Repertoire“ im Staatsopernensemble derzeit bestellt ist. Eijiro Kai sorgte für einen raubeinigen „Schöngesang“. Die Stimme spricht bei Krafteinsatz gut an und kann dann sogar effektvoll klingen, aber in den „zartfühlenderen“ Momenten kann sie Töne produzieren, die einen als Zuhörer schon an eine Indisposition denken lassen.

Auch Dan Paul Dumitrescu hat den Raimondo schon eindrücklicher zur Geltung gebracht. Immerhin wurde die meist gestrichene Szene im dritten Bild zwischen Lucia und Raimondo gegeben. Lichtblick Gergely Németi erwies sich als schön- und zartstimmiger Arturo. Der Normanno von Benedikt Kobel war am Gesamteindruck, den das erste Bild hinterließ, nicht unbeteiligt.

Der insgesamt sehr erfreulich ausfallende Schlussbeifall des Publikums dauerte über fünf Minuten. Vielleicht darf man diesen schon als Anzahlung für die kommenden drei Aufführungen in Rechnung stellen? Ein – zumindest auf der Galerie – deutlich hörbarer „Buhruf“ galt dem Dirigenten.